„Die Dankbaren sind die Glücklichen“

Ein Interview mit dem Psychologen Gert Kowarowsky über ein erstrebenswertes Lebensgefühl

Dankbarkeit wirkt für den Psychologen Gert Kowarowsky wie ein Breitbandtherapeutikum. Dankbare Menschen fühlen sich körperlich und seelisch wohler. Das Hoffnungsvolle daran ist: Dankbarkeit lässt sich trainieren. Ein Gespräch mit ihm über dieses erstrebenswerte Lebensgefühl und wie sich damit sogar eine positive soziale Spirale in Gang setzen lässt.

Herr Kowarowsky, Sie haben gemeinsam mit der Grafikerin Christina v. Puttkamer ein Dankbarkeitstagebuch entwickelt. Was ist die Idee dahinter?

Gert Kowarowsky: Wenn ich mir abends Zeit nehme und zwei, drei Dinge aufschreibe, die mir heute positiv aufgefallen sind, dann ist das noch einmal eine neuronale Verstärkung und ein tieferes Bewusstwerden, dass es heute Freude gab und Dinge, für die ich dankbar sein kann. Indem ich es aufschreibe, passiert etwas Interessantes: Die Selektivität meiner Wahrnehmung verändert sich. Mit jedem Tag des Aufschreibens werden die Sinne sensibler, also das Sehen, Riechen, Hören, Schmecken, Tasten und Fühlen. Sie werden eingestellt auf das, was es wahrzunehmen und wertzuschätzen gibt.

Die Wertschätzung ist wichtig?

Gert Kowarowsky: Ja. Wenn Dinge, auch ganz kleine und ganz selbstverständliche, wertgeschätzt werden, lässt das auf natürliche Weise die Dankbarkeit wachsen – ein Gefühl, das das Gute in uns verstärkt. Und wenn wir das zusätzlich von Hand aufschreiben, werden weitere Areale im Gehirn aktiviert. Das Gehirn selbst wird dadurch positiv verändert.

Dankbarkeit ist ...

Gert Kowarowsky: ... in ihrer gesunden Form immer fern jeglicher Verpflichtung oder des Gefühls, jemandem etwas schuldig zu sein. Das ist mir ganz wichtig. Dankbarkeit ist immer frei von dem Gefühl, eine Gabe erhalten zu haben, die im großen Buch des Lebens als Schuldenposten geführt wird, der zurückzuzahlen wäre. Auf gesunde Weise dankbar bin ich dann, wenn ich mich nicht abhängig oder schuldig dem Gebenden gegenüber fühle, sondern hell und strahlend und voller Freude darüber bin, all das Dankenswerte erfahren zu dürfen. Es muss auch keinen Adressaten für meine Dankbarkeit geben. Ich kann Dankbarkeit empfinden für den wunderschönen Morgen, die Blumen am Weg oder den Vogelgesang.

Was sagen Sie Menschen, die davon überzeugt sind, dass sie sich alles selbst erarbeitet und verdient haben?

Gert Kowarowsky: Da muss man einfach naturwissenschaftlich realistisch sein. Wir leben alle in Interdependenzen. Nehmen wir zum Beispiel unser Gespräch via Videokonferenz: Wer hat den Bildschirm gemacht? Wer hält die Leitung aufrecht? Warum funktioniert das Mikrofon? Ohne viele Menschen im Hintergrund könnten wir unser Gespräch gar nicht führen. Die Vorstellung, niemanden zu brauchen und alles, was man hat, nur sich selbst zu verdanken, hat einen sehr begrenzten Horizont.

Warum ist Dankbarkeit wichtig?

Gert Kowarowsky: Alle Menschen wollen glücklich sein. Dankbarkeit hilft ganz wesentlich dabei. Dabei sind nicht die Glücklichen dankbar, sondern die Dankbaren sind glücklich. Unser Glücksempfinden hängt wesentlich davon ab, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Das bedeutet nicht, dass wir alles Negative in der Welt ignorieren. Natürlich ist es wichtig, das Negative, Gefährliche oder Ungerechte klar zu sehen und etwas dagegen zu tun, sofern es uns möglich ist, bei uns und in der Welt. Nur sollten wir uns vom Negativen nicht überwältigen lassen.

Welchen Menschen kann mehr Dankbarkeit im Leben helfen?

Gert Kowarowsky: Ganz klar, jedem Menschen. Ich denke, wir alle sind weit davon entfernt, achtsam und wertschätzend für das zu sein, was uns geschenkt ist und was uns erspart bleibt.

Das heißt aber auch, Dankbarkeit lässt sich trainieren.

Gert Kowarowsky: Definitiv. Durch Wahrnehmungsübungen für die Sinne etwa, durch das Zählen und Aufschreiben von Positivem, durch das Führen eines Dankbarkeitstagebuches oder indem ich mich immer wieder bedanke, mündlich oder in Form eines Briefes oder auch über eine kurze SMS oder Whatsapp-Nachricht. Dass dankbares Erleben durch Training zunimmt, lässt sich messen anhand eines psychologischen Fragebogens, der eigens dafür entwickelt wurde.

Was sind die Auswirkungen einer größeren Dankbarkeit?

Gert Kowarowsky: Insgesamt liegen mehr als 270 wissenschaftliche Studien zum Thema Dankbarkeit vor, davon wurden mehr als 50 Prozent in den vergangenen 15 Jahren durchgeführt. Sie zeigen, dass eine höhere Grunddankbarkeit weniger Angst, weniger Depressivität und ein erhöhtes Dankbarkeitsverhalten nach sich zieht. Körperliche Messungen ergaben, dass das psychovegetative System stabiler wird gegen Alltagsstress und das Stresshormon Cortisol im Blut sinkt. Außerdem kann man beobachten, dass Menschen, die den Fokus auf Dankbarkeit legen, eher an gesunden Aktivitäten interessiert sind, sich gesünder ernähren und achtsamer mit sich selbst umgehen. Vorstudien deuten darauf hin, dass eine erhöhte Grunddankbarkeit chronischen Krankheiten vorbeugen kann. Dankbarkeit ist sozusagen ein Breitbandtherapeutikum gegen körperliche und seelische Zipperlein.

Das ist beeindruckend.

Gert Kowarowsky: Ja. Ganz viele Studien bringen Dankbarkeit in verlässliche wissenschaftliche Verbindung mit erhöhtem Wohlergehen, höherer Zufriedenheit, häufigeren Glücksgefühlen und einer stärkeren Widerstandskraft in schwierigen Situationen. Und was ich immer wieder in meinem Wartezimmer beobachten kann: Je dankbarer jemand wird, umso eher geht er mit seinen Mitmenschen sozialer und liebevoller um. Was diese wiederum dankbarer machen und deren Verhalten ändern kann. Daraus entsteht unter günstigen Bedingungen eine richtige Dankbarkeitsspirale.

Interview: Elfriede Klauer, In: Pfarrbriefservice.de

Das Dankbarkeitstagebuch mit Anleitung

Gert Kowarowsky, Christina v. Puttkamer: Ein Kurs in Dankbarkeit – in 108 Tagen Zuversicht gewinnen, innere Stärke aufbauen und Zufriedenheit finden. PAL Verlagsgesellschaft, München, 160 Seiten. 16,80 Euro

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Text: Elfriede Klauer
In: Pfarrbriefservice.de