Die Sunniten
Strömungen im Islam (2)
Die Sunniten sind die Mehrheit der Muslime, etwa 85 Prozent. Sunna heißt Tradition des Propheten. Die Sunniten beziehen sich auf die vier islamischen Rechtsschulen, die Hanafiten, die Malikiten, die Hanbaliten und Schafi’iten, die sich im 9. Jahrhundert gebildet haben. Sunna ist die Lebensweise, die auf einer rechtlichen Auslegung des Korans und den Hadithen, den Worten und Handlungen des Propheten, beruht.
Nach dem Tod Mohammeds spaltete sich die islamische Gemeinde, die Umma. Die Spaltung zwischen den Sunniten und Schiiten geht auf die Machtfrage nach dem Tod Mohammeds zurück. Der Prophet fühlte sich nicht berufen, seine Nachfolge zu regeln. Deshalb entstand die Frage, ob ein leiblicher Verwandter des Propheten oder der Muslim, der dafür am besten geeignet sei, zum Haupt der Umma eingesetzt werden sollte. Die Schiiten sahen in Ali, dem Neffen des Propheten, den natürlichen Nachfolger Mohammeds. Andere, und das war die Mehrheit, haben Abu Bakr, den Weggefährten Mohammeds und Vater der jüngsten Frau des Propheten, als Kalif akzeptiert.
Die Tradition als Rechtsquelle
Der Sunnismus entwickelte sich erst langsam. Denn die ersten Kalifen aus der Dynastie der Abbasiden haben die Rationalisten, die Muʿtazila, unterstützt, die nicht der Tradition, sondern der Vernunft den Vorrang gaben. Dagegen regte sich der Widerstand der Frommen, die die Tradition als maßgeblich für das Verständnis von Richtig und Falsch erachteten. Sie haben die Tradition, die Mohammed durch seine Worte und Handlungen, seine Sunna oder Hadithen begründete, neben dem Koran als eine verbindliche Rechtsquelle ausgearbeitet. Sie begründeten ihre Interpretation, indem sie sich auf die Überlieferung des Propheten beriefen. Die Sammlungen der Hadithen waren schon im 9. Jahrhundert vorhanden. Hadith spielt im sunnitischen Islam eine so große Rolle, dass die Begriffe Sunna und Hadith als gleichwertig gesehen werden.
Zurückgehender Einfluss der Rechtsschulen auf die Gesetzgebung
Seit dem 17. Jahrhundert wird die Stellung der vier Rechtsschulen angefochten, weil manche Muslime gegen ihre Erstarrung und gegen den Traditionalismus vorgehen wollten. Sie verlangten die Rückkehr unmittelbar zum Koran und zum Wort des Propheten als einzigen Quellen der Wahrheit und des Rechts. Die Regierungen in den verschiedenen muslimischen Ländern wollten auch mehr Einfluss darauf nehmen, was man „islamisches Recht“ nennt und dies nicht den Rechtsgelehrten überlassen. Diese Tendenzen haben sich im 20. Jahrhundert in den neu gegründeten Nationalstaaten verstärkt. Obwohl die Lehrmeinungen der Rechtsschulen vielfach Eingang in die nationale Gesetzgebung gefunden haben, haben die Rechtsschulen selbst ihre Autorität und ihren Einfluss weitgehend eingebüßt. Die Entwicklung des nationalen Rechtssystems ist ebenso wie die Rechtssprechung selbst in die Hände der Juristen übergegangen, die ihre Ausbildung an den Universitäten erhalten, die weniger unter religiösem Einfluss stehen.
Vladimir Pachkov, In: Pfarrbriefservice.de
Vladimir Pachkov (geb. 1972) ist ein russischer Jesuit. Er ist schon als Kind mit dem Islam in Berührung gekommen, hat in Ägypten arabische Sprache und Islamwissenschaften studiert und hat in Kirgisien gearbeitet.
s. auch die Reihe „Christentum und Islam im Vergleich"
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Text: Vladimir PachkovIn: Pfarrbriefservice.de