Ein süßes Gift …
Warum Idealisierungen unbarmherzig sind
Es war das erste Interview von Papst Franziskus mit einem deutschen Journalisten in der Wochenzeitschrift DIE ZEIT. In diesem Gespräch erlebt man den Papst unmittelbar und authentisch. Seine nachträglichen Korrekturen am fertigen Text waren wohl ganz spärlich. Papst Franziskus hat die Fähigkeit, offen und ohne Scheu von sich zu erzählen: was ihn bewegt und bedrängt, worüber er lachen kann – und was ihm zusetzt und ärgert.
Ich bin an einer Stelle besonders hängengeblieben, nämlich als der Journalist den Papst auf seine Rolle als Vorbild anspricht. Hier wird Franziskus brummig: „Ich bin ein ganz normaler Mensch, der tut, was er kann. So fühle ich mich. Und wenn dann jemand wer weiß was über mich sagt, dann tut mir das nicht gut.“ Das ist keine Koketterie, auch keine zur Schau getragene Demut. Papst Franziskus ist ein guter Menschenkenner, der dem süßen Gift einer Schmeichelei nicht so leicht auf den Leim geht, denn nüchtern setzt er hinzu: „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Idealisierung eines Menschen stets auch eine unterschwellige Art der Aggression ist. Wenn ich idealisiert werde, fühle ich mich angegriffen.“
Eine Art von Aggression
Selbstinszenierungen gehören in einer medialen Welt selbstverständlich zum Alltagsgeschäft: Photos prominenter Zeitgenossen in den Printmedien sind fast immer „bearbeitet“ und idealisiert. Politik arbeitet mit der Selbststilisierung und Idealisierung ihrer Protagonisten. In der Industrie geht es um idealisierte Arbeits- und Produktionsabläufe, bei denen nicht selten die Möglichkeiten und Grenzen des Menschen zu wenig Beachtung finden. Aber auch ein Körper-, Ernährungs- und Fitnesskult folgt einer Idealisierung des Menschen, wie er eigentlich zu sein hat. Eine „unterschwellige Art der Aggression“?
Papst Franziskus hat Recht. Denn jede Idealisierung ist eine Verweigerung und Feindseligkeit gegenüber der Wirklichkeit. Man will nicht sehen oder kann nicht akzeptieren, wie etwas oder jemand tatsächlich ist. Wo Menschen idealisiert werden oder Menschen Idealisierungen zu folgen haben, herrscht eine gewisse Unbarmherzigkeit: Fehler, Versagen, Schwächen und Grenzen sind dann etwas, was nicht sein kann und nicht sein darf.
Fehler annehmen, weil Gott es auch tut
Ganz anders der christliche Glaube: Gott kennt den Menschen. Vor Gott darf der Mensch sein, wie er ist. Er kennt die Schwächen. Er weiß um die Fehler und Makel. Er kennt aber auch die Sehnsucht des Menschen nach Heil. Jesus hat sich gerade den Schwachen und den Unvollkommenen zugewandt, denen die nicht dem Idealtypos entsprachen: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.“ (Mk 2,17). Menschen, die schuldig geworden sind, hat er Versöhnung ermöglicht und Vergebung zugesprochen.
Papst Franziskus hat Recht: Die Idealisierung eines Menschen ist stets auch eine unterschwellige Art der Aggression. Sie ist ein süßes Gift, das zunächst schmeichelt, dann aber unbarmherzig seine Wirkung zeigt.
Die österliche Bußzeit zeigt einen anderen Weg: Sie ist eine Zeit der Ermutigung, sich den Schattenseiten des eigenen Daseins ehrlich zu stellen und die Selbstinszenierungen im eigenen Leben zu entlarven. Und die Botschaft lautet: Du bist geliebt, mit allem und trotz allem… Nur auf diesem Weg der Versöhnung findet der Mensch zu einem dauerhaften inneren Frieden. Eine Weisheit der alten Kirche sagt: Nur was angenommen ist, kann auch erlöst werden!
Dr. Udo Bentz, www.spurensuche.info, In: Pfarrbriefservice.de
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