Frieden finden

Was die Bibel dazu sagt

Mit uns selbst, mit unseren Eltern, unter den Völkern. Die ‚Leben jetzt‘ Autorin Xenia Frenkel über ein großes Thema – vielleicht eines der größten.

Vergangenes Jahr fiel Anfang November überraschend Schnee. Als ich aufwachte, war das übliche
morgendliche Lärmen der Stadt einer friedlichen Stille gewichen. Der Schnee hatte Büsche, Bäume und Straßen bestäubt und, ganz demokratisch, den Dächern der Armen und Reichen gleichermaßen dicke, weiße Hauben aufgesetzt. Angesichts dieser Märchenwelt verrauchen wenigstens für einen Augenblick Groll und Sorgen und so etwas wie Frieden zieht ins unruhige Herz. Aber natürlich kann Schnee auch ganz anders. Nie vergesse ich, wie sich an einem strahlenden Wintertag unweit von uns plötzlich eine meterhohe Lawine donnernd ins Tal wälzte. Die Natur führt uns deutlich vor Augen, wie nah Schrecken und Schönheit bisweilen beieinanderliegen. Krieg und Frieden fallen allerdings nicht wie Flocken vom Himmel, sie sind menschengemacht.

Wieder mal leben wir in friedlosen Zeiten. Zwar ist laut „Global Peace Index“ die Welt im vergangenen Jahr erstmals seit fünf Jahren friedlicher geworden. Gleichwohl floss im gleichen Zeitraum weltweit die schier unvorstellbare Summe von fast 2000 Milliarden Dollar in militärische Ausgaben. Damit nicht genug. Jeden Tag liest oder hört man, wie Politiker, die sich nicht selten als gläubige Christen bezeichnen, angesichts von Konflikten in eine schauerliche Kriegsrhetorik verfallen. Wir blicken fassungslos nach Afghanistan, Mali, in den Nahen Osten, die Ukraine und fragen uns, wie es so weit kommen konnte.

Die Bibel fordert Gewaltverzicht. Im ersten Buch Mose steht der verstörende Satz, „denn das Sinnen und Trachten des Menschenherzens ist böse von Jugend auf“. Denkt Gott wirklich so schlecht von uns? Oder ist er vielleicht nur realistisch? Wenn ich die Geschichte von Noah richtig verstehe, deutet einiges darauf hin. Nach der Sintflut beschließt Gott, den Mensch zu nehmen, wie er ist. Deshalb schließt er mit ihm einen ersten Bund. Damit die Welt, in der es nun einmal Unrecht und Gewalt gibt, nicht davon bestimmt wird. So fordert eines der sogenannten noachidischen Gebote, Gerichte einzuführen, um das Rechtsprinzip zu wahren. Gewalt soll begrenzt und eingehegt werden. Dafür steht auch das oft missverstandene „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, was eben gerade nicht meint, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Es geht vielmehr um die Begrenzung von Vergeltung und Blutrache. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bahnte in den alten Stammesgesellschaften den Weg, erlittenes Unrecht mit einem Schadensersatz zu sühnen, nicht durch Rache und Gewalt. Können wir unsere Feinde lieben?

Die bekanntesten Referenztexte des Neuen Testaments im Hinblick auf eine Gewaltbegrenzung finden sich in der Bergpredigt: Geboten sind der Verzicht auf Gegengewalt und die Feindesliebe. Wir sollen unseren Feinden verzeihen? Sie gar noch lieben und für ihr Seelenheil beten, wenn sie uns nach dem Leben trachten? Eine Zumutung. Wir tun uns ja schon schwer, eine dumme Bemerkung zu überhören. Der erste Impuls ist da nicht selten der, es mit gleicher Münze heimzuzahlen. Doch so kommen wir aus dem Teufelskreis einer durch Gewalt erzeugten Gewalt nicht heraus. Jesus wusste das, und wir wissen es auch. Spätestens seit Martin Luther King. Es mangelt wahrlich nicht an Friedensvisionen, eher schon an deren Umsetzung im Großen wie im Kleinen. Sagt Gott deshalb, wir seien „böse von Jugend auf“? Ich verstehe diesen Satz so, dass Bosheit, Niedertracht, Eifersucht und Neid nicht angeboren sind, sondern erworben werden. Menschen sind sehr wohl fähig, anders miteinander umzugehen, sich dem Guten und Gerechten zuzuwenden. Die Entscheidung überlässt Gott uns. Weil er groß von uns denkt. Jeder kann sich auf die eine oder andere Weise für ein friedlicheres Miteinander einsetzen. Vielleicht fällt gläubigen Christen hier sogar eine besondere Verantwortung zu. Jesus hat sich jedenfalls nicht in seine private Komfortzone zurückgezogen, sondern deutlich gemacht, dass die Quelle von Konflikten in bestehendem Unrecht zu erkennen
ist. In vielen seiner Begegnungen zeigt er auf, dass Frieden und Gerechtigkeit, Frieden und Recht untrennbar zusammengehören, so wie es in dem hebräischen Wort für Frieden zum Ausdruck kommt: „Shalom“ bedeutet nichtallein die Abwesenheit von Krieg, sondern Gerechtigkeit, Sicherheit und Wohlergehen für alle in der Welt. Von der rechten und der linken Wange.

Irgendwo habe ich diese Geschichte aufgeschnappt: Ein junger Mann wird an einem Winterabend auf dem Weg nach Hause überfallen. Widerstand ist zwecklos, also händigt er dem Ganoven, ohne zu zögern, sein Geld aus. Doch als sich dieser aus dem Staub machen will, ruft er ihm hinterher: „Willst du nicht noch meine Jacke? Es ist kalt, und du bist sicher noch etwas länger unterwegs.“ Der Straßenräuber bleibt verdutzt stehen, die beiden kommen ins Gespräch, und am Ende gehen sie beinahe als Freunde auseinander. Ob nun wahr oder ausgedacht – diese Anekdote veranschaulicht recht gut, was die Apostelworte meinen, „lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute“ (Röm 12,21).

Frieden bedeutet Arbeit, in erster Linie an uns selbst Manchmal kann es hilfreich sein, einen Konflikt erst einmal zu überschlafen. Etwas Distanz tut aufgebrachten Herzen gut. Das allein reicht jedoch nicht. Groll und Wut verschwinden nicht einfach über Nacht, sie schwelen weiter, um sich bei nächster Gelegenheit umso heftiger Luft zu machen. Was also tun? Einer der Grundpfeiler der Konfliktbewältigung ist das Gespräch. Doch einer muss es beginnen. Warum nicht ich selbst? Wenn ich etwas ändern will, und das will ich, weil unterschwellige Misstöne so wenig wie Gleichgültigkeit eine Option sind, muss ich schon auch bereit sein, die Initiative zu ergreifen.

Dabei hilft es ungemein, mir nicht stets aufs Neue die Geschichte zu erzählen, dass es der oder die nur darauf anlegt, mir das Leben schwer zu machen. Letztlich ist uns allen bewusst, dass jeder mit seinen Gefühlen und Wahrheiten ringt – und gehört werden möchte. Für ein friedliches Miteinander müssen wir uns gegenseitig zuhören, eigene Überzeugungen respektvoll zum Ausdruck bringen und irgendwann auch bereit sein, die Mitschuld an einem Konflikt einzugestehen und uns zu versöhnen.

Das dem heiligen Franziskus zugeschriebene Friedensgebet fordert auf, uns zu den dunklen und hellen, schwachen und starken Seiten in uns zu bekennen. Es lebt aus der unverbrüchlichen Hoffnung, dass bei allem Scheitern nicht das letzte Wort gesprochen ist – und befreit zur Tat.

Frieden ist möglich, und vielleicht können wir damit beginnen, im Anderen nicht den Gegner zu sehen, sondern unseren Nächsten, der ist wie wir.

Xenia Frenkel, Quelle: Leben jetzt. Das Magazin der Steyler Missionare, www.lebenjetzt.eu, In: Pfarrbriefservice.de

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Schwerpunktthema für November und Dezember 2023

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Text: Xenia Frenkel, Quelle: Leben jetzt. Das Magazin der Steyler Missionare, www.lebenjetzt.eu
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