Für Europa auf die Straße gehen
Ein Interview mit dem Gründer der „Pulse of Europe“-Bewegung, Daniel Röder
Patriotische Europäer, die gegen dies oder jenes auf die Straße gehen. Menschen, die sich darüber ärgern, dass in Brüssel zu viel oder zu wenig geregelt wird, dass sie zu wenig mitbestimmen dürfen, ganz im Gegensatz zu vielen Lobbygruppen. In Zeiten von Brexit, Trump und der AfD hat es Konjunktur, gegen die EU zu wettern.
Da mutet es geradezu antizyklisch an, dass Sonntag für Sonntag Menschen in Deutschland auf die Straße gehen, um für Europa und für die Europäische Union zu demonstrieren. Genau das aber macht die Bewegung „Pulse of Europe“, gegründet von einem Frankfurter Rechtsanwalt und seiner Frau. Es demonstrieren immer mehr Menschen mit, Ableger gibt es inzwischen in vielen deutschen und auch europäischen Städten. Ein Gespräch mit dem Gründer Daniel Röder.
Herr Röder, was ist so gut an Europa, dass Sie dafür auf die Straße gehen?
Röder: Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, ganz vieles. Wir von „Pulse of Europe“ kommen im Grunde von der ganz einfachen Erkenntnis, dass Europa, die Europäische Union letztlich eine Frage von Krieg und Frieden ist. Wenn Sie sich die Geschichte anschauen, dann haben sich auf unserem Kontinent die Mitglieder der heutigen Union über Jahrhunderte mehr oder weniger in Kriegen verstrickt, und seit es die Union gibt, gibt es in diesem Kontext keine einzige kriegerische Auseinandersetzung mehr. Das ist das Allerwichtigste für uns. Die wirtschaftlichen Themen sind auch wichtig, stehen aber deutlich hinter dieser Frage zurück.
Nun ist es aber außergewöhnlich, für etwas auf die Straße zu gehen, das es schon gibt. Warum?
Röder: Wir haben durch die beiden großen Ereignisse 2016 – das Brexit-Votum und die Wahl von Donald Trump – erkannt, dass die Dinge, die wir für Jahrzehnte als selbstverständlich erachtet haben, das politische Gefüge, das uns so lange getragen und stabilisiert hat, dass das Gefüge auseinanderdividiert werden kann, und zwar von einem auf den anderen Tag, dass Dinge, die wir als selbstverständlich erachtet haben, dass die USA von einem demokratisch überzeugten Präsidenten geführt wird, dass diese Dinge nicht mehr selbstverständlich sind.
Und wenn wir die Erosionen, die es in Europa gibt – und ich meine damit nicht nur Großbritannien, sondern auch die Entwicklungen etwa in Osteuropa, Polen, Ungarn, wo Staaten sich von Demokratien in etwas anderes, was bislang in der Form noch gar nicht existierte, verwandeln, dann haben wir große Sorge. Und diese Sorge hat uns letztlich auf die Straße getrieben, denn das, was die Europäische Union ausmacht, Demokratie, Rechtsstaat, Mitmenschlichkeit, Sicherung der Grundrechte, die Grundfreiheiten, das scheint, ins Wanken zu geraten, und deswegen ist es nicht mehr so selbstverständlich. […]
Warum ist es denn besser, für etwas auf die Straße zu gehen als dagegen?
Röder: Das ist eine sehr abstrakte Frage. Wir sind nun mal ganz überzeugt und dezidiert für Europa und deswegen wollen wir auch dafür eintreten. Abgesehen davon muss ich sagen, dieses für etwas sein hat auch eine unglaubliche Kraft. Unser Ziel war, diese negativen Energien, die negative Stimmung und diese Antihaltung, die sich allenthalben zeigt und die auch auf den Straßen sichtbar war, diesen Stimmungen etwas Positives entgegenzusetzen, mit Haltung auf die Straße zu gehen und zu zeigen, hier gibt es etwas Erhaltenswertes, bitte bedenkt, das sind unsere Grundlagen, die wir sowohl in der Bundesrepublik in unserem Grundgesetz wiederfinden als auch in den europäischen Verträgen. Und da das wirklich so erhaltenswert ist und unsere Gesellschaft seit Jahrzehnten in einer positiven Art und Weise prägt und uns Freiheit und Sicherheit gewährt, lohnt es sich auch, ganz dezidiert dafür einzutreten.
Abstrakt ist ja nicht nur die Frage, sondern abstrakt ist auch für viele Menschen die Europäische Union. Tatsächlich ist die EU-Skepsis ja aktuell ziemlich groß, vor allem, weil es so wahnsinnig schwierig ist, in vielen Fragen Kompromisse zu finden. Da ist die Flüchtlingspolitik ja nur ein Beispiel. Für Sie ist also alles gut so wie es ist?
Röder: Nein, das kann man nicht sagen. Wir als „Pulse of Europe“ sind – und das haben wir von Anfang an gesagt, in unseren Grundaussagen auch niedergelegt – keine EU-Romantiker. Es ist nicht so, dass wir die Augen verschließen vor dem, was nicht gut funktioniert. Das bedeutet aber nicht, dass wir die Europäische Union, ein vereintes Europa per se in Frage stellen müssen. Unser Leitmotto ist dann eher, erhalten um zu reformieren, und man könnte das sogar auch umdrehen und sagen, reformieren um es zu erhalten, denn tatsächlich ist die Verfasstheit der Europäischen Union in der jetzigen Form scheinbar nicht satisfaktionsfähig. […]
Das Interview führte Sarah Zerback.
Quelle: Deutschlandfunk, 03.03.2017, www.deutschlandfunk.de, In: Pfarrbriefservice.de
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Dateigröße: 0,03 MB
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Text: Sarah Zerback, www.deutschlandfunk.deIn: Pfarrbriefservice.de