Über Umwege zum weißen Jesus
Warum wir uns Jesus als Europäer vorstellen – und das ändern sollten
In vielen Köpfen hat Jesus weiße Haut – aber warum eigentlich, wenn er doch aus dem Nahen Osten stammte? Ein Blick in die Geschichte zeigt Jesusbilder mit unterschiedlichen Funktionen und wenig Sinn für die Realität – und manchmal sogar einem gefährlichen Machtanspruch.
Wie darf oder soll man sich Jesus vorstellen? Die meisten Menschen weltweit haben da ein klares Bild vor Augen: hoch gewachsen, hager, lange, dunkelblonde bis hellbrünette Haare, blaue Augen, weiße Haut. Es ist also ein Europäer – präziser, ein Mitteleuropäer –, der in den Köpfen der meisten Menschen unabhängig von ihrem Wohnort oder ihrer religiösen Ausrichtung vorherrscht. Und das bei einem Mann aus dem Nahen Osten?
Im Zuge der „Black Lives Matter“-Bewegung und der wachsenden Sensibilisierung für das immer noch weit verbreitete und die Gesellschaft beeinflussende koloniale Erbe ist auch die Diskussion um die Darstellung von Jesus entfacht. Der US-Aktivist Shaun King forderte im vergangenen Jahr gar Zerstörungen: „Ich glaube, die Statuen eines weißen Europäers, der Jesus sein soll, sollten gestürzt werden. Sie sind eine Form der weißen Vorherrschaft – und waren es immer.“ Erzbischof Justin Welby, Primas der anglikanischen Kirche von England, wollte sich dieser Forderung zwar nicht anschließen. Doch auch er forderte, die Vorstellung von Jesus als weißem Mann zu überdenken.
Wie Jesus tatsächlich aussah, ist völlig unklar. Die Bibel liefert nur wenige biografische Daten: Er kam in Bethlehem in der Nähe von Jerusalem zur Welt (Mt 2,1), seine Familie stammte aus dem nordisraelischen Nazareth (Lk 1,26). Dass Judas bei der Auslieferung Jesu den Soldaten extra ein Zeichen vorgeben musste (Mt 26,48), könnte darauf schließen lassen, dass Jesus keine besonderen körperlichen Merkmale hatte und nicht auffiel. Informationen über die Haut, Haare oder Größe Jesu gibt die Bibel aber nicht. Dagegen hat sich die Forschung bereits mit dem wahren Aussehen Jesu auseinandergesetzt. Nach verbreiteter Ansicht hatte Jesus wahrscheinlich olivfarbene bis braune Haut, dunkelbraunes oder schwarzes Haar und braune Augen – also in etwa die Physiognomie der Menschen, die auch heute noch etwa im Irak leben.
Keine Bilder aus der Lebenszeit Jesu
Der weiße Jesus hat also einen anderen – kunsthistorischen – Ursprung. Dazu ist zunächst einmal wichtig anzumerken, dass es aus der Lebenszeit Jesu und der Zeit des frühen Christentums so gut wie keine bildlichen Darstellungen Jesu gibt – und zwar ganz bewusst. Denn wie im Judentum herrscht auch in den frühen Jesusgemeinden die Auffassung vor, dass Jesus nicht dargestellt werden dürfe – es gibt schließlich das Bilderverbot im zweiten Gebot. Im 4. Jahrhundert fragt die Schwester des damaligen römischen Kaisers Konstantin den Kirchenvater Eusebius von Caesarea nach einem Bild von Jesus. Sie bekommt zur Antwort, dass sie dafür einfach die Bibel aufschlagen solle.
Die ersten bis heute überlieferten Christusdarstellungen stammen aus römischen Katakomben, in denen sich die verfolgten Untergrundgemeinden treffen. Sie stellen Jesus als guten Hirten und damit ganz klassisch als ein Trostbild dar: Mit weißer Haut, Tunika und kurzem, lockigen Haar – also sehr römisch. Nachdem durch Kaiser Konstantin das Christentum von einer verfolgten zur Staatsreligion wird, tauchen neue Jesusbilder auf, die nun der sich gewandelten gesellschaftlichen und politischen Position des Christentums Rechnung tragen: Er ist nun der strahlende allmächtige Herrscher, mit Bart und langem Haar, heutigen Darstellungen also schon recht ähnlich.
Woher kommen diese Bilder? Es ist ganz entscheidend festzustellen, dass Bilder in der damaligen Gesellschaft eine andere Funktion hatten als heute: Noch bis ins Mittelalter hinein spielt die lebensechte, individuelle Darstellung einer Person wenn überhaupt nur eine eher untergeordnete Rolle. Die Entdeckung der Individualität ist eine Errungenschaft der Renaissance. Die Bilder der Antike sollen vielmehr eine Rolle abbilden – und zwar sowohl bei den Christen des guten Hirten in der Verborgenheit wie auch beim Herrscher-Christus der jungen Staatsreligion: Ziel ist nicht ein individuelles, sondern eine klar wiedererkennbare Funktion des Dargestellten. […]
Koloniale Karriere
Die große Karriere des europäischen Jesus als weltweites Phänomen geht mit der Kolonisierung einher: Europäische Missionare verbreiten auf Reisen ihre Jesusbilder in aller Welt und beeinflussen dadurch das Gottesbild auch fernab von Europa. Damit geht eine Hegemonisierung der Hautfarben einher: Die mit der weißen Haut herrschen, die anderen folgen. Unter anderem in Lateinamerika, später aber auch in Afrika wird so das Jesusbild von den Kolonialherren instrumentalisiert, um den Menschen eine klare Rangordnung aufzuzwingen. In diesen Prozess spielen etwa auch eigens für Sklaven „redigierte“ Bibelausgaben hinein, aus denen jede Art von Widerstand gegen Obrigkeiten getilgt sind. Nicht-Weißen wurde Jesus in Altarbildern, Kirchenfenstern und Buchillustrationen immer wieder mit seinem Weiß-Sein als Merkmal der Herrschenden präsentiert.
Selbstverständlich gab und gibt es auch im Zeitalter des Kolonialismus Bilder eines Nicht-Weißen Jesus, doch sie bleiben Randerscheinungen. Die Europäer haben Jesus inkulturiert – genau das aber Menschen in anderen Ecken der Erde vorenthalten. Zu groß ist in dieser Zeit anscheinend die Gefahr, Jesus nicht mehr als Garant der eigenen „gottgegebenen“ Vorrangstellung benutzen zu können. Die Darstellung des weißen Jesus ist also keinesfalls neutral, sondern zeugt auch vom Missbrauch der Religion (und der bereitwilligen Teilnahme deren Vertreter) an der Unterwerfung anderer.
Was nun? Der US-Jesuit James Martin schreibt dazu in einem Artikel: „Wir sollten für Jesusdarstellungen werben, die in die Kulturen passen, in denen wir jetzt leben. Trotz allem: Er ist auferstanden und allerorts zu finden.“ Das bedeute auch mehr Vielfalt: Mal einen schwarzen Jesus in den österreichischen Alpen vielleicht. „Jesus findet man am besten, wenn man die eigene Komfortzone verlässt“, so Martin.
Womit wir wieder beim Anfang und bei Justin Welby wären, der sich im besten Wortsinn „buntere“ Jesusbilder auch in Europa wünscht. Denn dass wir uns Jesus nicht nur in Europa, sondern auch darüber hinaus als Weißen vorstellen, hat nichts mit seiner wirklichen Erscheinung zu tun (auch wenn das manche leider immer noch glauben mögen), sondern mit einem Identifikationsbild, das sich Europäer gemacht haben. Dazu hatten sie damals und haben sie heute jede Berechtigung. Das Problem ist die repressive Nutzung dieses Bildes gegen andere. Jetzt kann die Zeit sein, dass die Inkulturation auch mal in die andere Richtung funktioniert.
Christoph Paul Hartmann, www.katholisch.de, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Christoph Paul Hartmann, www.katholisch.deIn: Pfarrbriefservice.de