Rezension: „Demokratie braucht Religion“ von Hartmut Rosa

Hartmut Rosa, ein renommierter deutscher Soziologe, argumentiert in seinem Buch für die Bedeutung der Religion in der modernen Gesellschaft, die zunehmend von ökonomischen Rationalitäten bestimmt wird. Angesichts der aktuellen Krisen der Demokratie, in denen Populisten wieder Einfluss gewinnen und grundlegende demokratische Werte infrage gestellt werden, erweist sich Rosas Diskussion über die stabilisierende Rolle der Religion als zeitgemäß. Das Buch basiert auf einem Vortrag, den der Autor 2022 beim Würzburger Diözesanempfang gehalten hat.

Rosa forscht und lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist bekannt für seine Beschleunigungstheorie, Beiträge zur kritischen Theorie der Moderne und die Resonanztheorie als Gegenentwurf zur allgegenwärtigen Entfremdung. Seine Forschungen fokussieren auf die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft und die Auswirkungen moderner Lebensbedingungen auf soziale Resonanzbeziehungen. Sie bilden auch den Rahmen für das vorliegende Büchlein.

Der Autor argumentiert, dass in einer Welt, die von Beschleunigung und ständigem Wachstumsdruck geprägt ist, traditionelle Bindungen und moralische Orientierungen schwinden. Hier sieht er die Religion einerseits als eine notwendige Kraft zur Vermittlung von Werten, wie Mitgefühl, Nächstenliebe und eine grundsätzliche Achtung vor dem Leben, die nach seiner Beobachtung in politischen und sozialen Diskursen immer seltener zu finden sind. Andererseits, und das ist das wirklich neue in seinem Ansatz, eröffne Religion Resonanzräume, die es Individuen ermöglichen, über ihren materiell und technokratisch geprägten, eng getakteten Alltag hinaus sinnstiftende Beziehungen zu knüpfen. Innerhalb solcher Räume können Menschen „sich anrufen lassen“, sich vom anderen anrühren lassen. Rosa verbindet damit die Hoffnung, dass „durch dieses wechselseitige Erreichen wechselseitige Transformation stattfindet“. Religionen können ihm zufolge das schaffen, was modernen Gesellschaften zunehmend abhanden kommt: Zwischenmenschliche Verbindungen und Resonanz, die als Gegenpol zur Entmenschlichung durch übermäßige Ökonomisierung letztlich auch essenziell für die Aufrechterhaltung einer funktionierenden Demokratie sind.

Ich finde Rosas Argumentation überzeugend. Seine Idee, dass Religion notwendig ist als Gegenkraft zu den modernen Herausforderungen, bietet einen erfrischenden Blick auf die Rolle, die religiös-spirituelle Praktiken in einer demokratischen Gesellschaft spielen können.

Rosas Buch ist nicht nur für ein wissenschaftlich vorgeprägtes Fachpublikum eine bereichernde Lektüre, sondern auch für alle, die sich für soziologische und politische Themen interessieren und offen sind für neue Perspektiven auf die oft übersehene Verbindung zwischen Religion, gesellschaftlichem Zusammenhalt und dem politischen System. Leserinnen und Lesern, die sich mit den aktuellen Herausforderungen der Gesellschaft auseinandersetzen, bieten sich wertvolle Einsichten, wie religiöse Resonanzräume zur Stärkung demokratischer Strukturen beitragen können.

Christian Schmitt

Bibliographische Angaben der Deutschen Nationalbibliothek:
Demokratie braucht Religion : Mit einem Vorwort von Gregor Gysi
Autor: Hartmut Rosa
München: Kösel-Verlag
Erschienen: 2022
Umfang: 80 Seiten
ISBN: 978-3-641-30185-9

Das Buchcover ist in Druckauflösung verfügbar unter https://www.penguin.de/Paperback/Demokratie-braucht-Religion/Hartmut-Rosa/Koesel/e612837.rhd

Hörtipp:
Im DOMRADIO.DE Interview spricht Professor Rosa über die Resonanzqualität der Religion und wie speziell die Leiblichkeit der katholischen Kirche Möglichkeiten bietet, diese Resonanzräume zu entdecken.

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Text: Christian Schmitt
In: Pfarrbriefservice.de