Der italienische Ordensmann Ermes Ronchi geht davon aus, dass Beten nicht nur etwas für die besonders Frommen ist, sondern ein Grundbedürfnis aller Menschen – und so richten sich auch seine Betrachtungen zum Gebet an alle, die mit Gott ins Gespräch kommen wollen. Wer sich noch kaum mit dem Thema auseinandergesetzt hat, wird überrascht sein, wie vielschichtig es sich hier präsentiert. Aber auch wer sich schon lange mit dem Thema Beten beschäftigt, wird hier noch Neues und Überraschendes finden.
Soll man bitten?
Ronchi betrachtet ausführlich die Psalmen, das große Gebetbuch für Juden und Christen, er untersucht die verschiedenen Gebetsformen, von denen der Apostel Paulus schreibt, und zwei der großen Gebete des Evangeliums, Marias „Magnificat“ und den Lobgesang des Zacharias. Ronchi spart aber auch die großen Fragen, die sich beim Thema Beten stellen, nicht aus: Soll man im Gebet überhaupt bitten? Einerseits sagt Jesus doch, wir sollen nicht viele Worte machen – unser himmlischer Vater wisse schließlich schon, was wir brauchen. Andererseits enthält dann gerade das Vaterunser sieben Bitten. Für Ermes Ronchi kein Widerspruch: Jesus lehrt uns damit nämlich, vor allem um das Wesentliche zu bitten – sehr oft bitten wir in unseren Gebeten nämlich um viel zu wenig.
Hört Gott?
Und was ist, wenn unsere Bitten nicht erhört werden? Ronchi antwortet auch hier auf überraschende Weise und meint, wir sollten zunächst einmal die Frage umdrehen: Hören wir denn Gottes Bitten? Letztlich geht es beim Beten vor allem um Vertrauen: Wir dürfen Gott um alles bitten, auch um konkrete Dinge, wir sollen es sogar tun, gleichzeitig sollen wir aber darauf vertrauen, dass Gott auch dann seine Verheißungen erfüllt, wenn er unsere konkreten Bitten nicht erhört. (Sankt Michaelsbund)
Ermes Ronchi: Beten ist menschlich. Variationen über ein Grundbedürfnis. München : Verlag Neue Stadt, 2019. – 231 S.; 20,00 €
(Als „Religiöses Buch des Monats“ benennen der Borromäusverein, Bonn, und der Sankt Michaelsbund, München, monatlich eine religiöse Literaturempfehlung, die inhaltlich-literarisch orientiert ist und auf den wachsenden Sinnhunger unserer Zeit antwortet.)
Ab dem 15. Juni 2019 ist bei Angabe der Quelle der freie Abdruck des Textes erlaubt.