Angesichts der anhaltenden Kirchen- und Glaubenskrise in Deutschland und weiten Teilen Westeuropas wird oft gefragt, wie denn heute von Gott die Rede sein müsse, damit die Menschen wieder Zugang zu ihm finden. Für Wilhelm Bruners, Priester in Mönchengladbach und geistlicher Schriftsteller, unterschätzt diese Herangehensweise Gott – und überschätzt die Rolle und die Möglichkeiten des Menschen. Als ob Gott nur da wäre, wo „wir“ – die Christen – ihn hinbringen!
Mit Blick auf das Erlebnis des Propheten Elija am Berg Horeb, dem Gott nicht im Sturm, Erdbeben oder Feuer begegnet, sondern in leisem Säuseln, erinnert Bruners daran, dass Gott ein Gott der leisen Töne ist, der dabei offensichtlich in Kauf nimmt, überhört zu werden. Bruners ist überzeugt, dass Gott immer schon und überall „da“ ist – dass es also nicht nötig ist, ihn erst zu den Menschen zu bringen, sondern dass die Christen neu lernen müssen, ihn im Alltag und in der Sprache der Menschen zu entdecken.
Auf die Menschen hören
Dazu gehört zu allererst die Bereitschaft, zu hören. Auf das Wort Gottes und auf die alltäglichen Worte der Menschen – auf ihre Sehnsüchte, Ängste, Hoffnungen. Gott ist vornehmlich da zu finden, wo Kreuze aufgestellt sind, so Bruners. „Sie sind Hilferufe Gottes in unserer Zeit, die SOS-Botschaft in den Chaosfluten der heutigen Geschichte. Sie sind die ‚Lieblingsverstecke‘ Gottes, in die der Jude Jesus mitzukommen uns einlädt.“
Mit einer wohltuend positiven (gleichwohl nicht unkritischen) Sicht auf die Welt und dem Vertrauen, dass Gott in allen Winkeln dieser Welt anzutreffen ist, legt Wilhelm Bruners Spuren aus, um „Gottes hauchdünnes Schweigen“ wahrnehmen zu können – mit allen Sinnen. (Borromäusverein)
Wilhelm Bruners: Gottes hauchdünnes Schweigen. Auf seine Stimme hören (Franziskanische Akzente, Band 20). - Würzburg: Echter 2019. - 84 S.; 8,90 €
(Als „Religiöses Buch des Monats“ benennen der Borromäusverein, Bonn, und der St. Michaelsbund, München, monatlich eine religiöse Literaturempfehlung, die inhaltlich-literarisch orientiert ist und auf den wachsenden Sinnhunger unserer Zeit antwortet.)
Ab dem 15. Januar 2020 ist bei Angabe der Quelle der freie Abdruck des Textes erlaubt.