Den andern erwischen, wie er mir Gutes tut

Wenn man bewusst das Positive wahrnimmt und es dem andern auch sagt, werden die guten Kräfte in einer Beziehung gestärkt.

„Den andern dabei erwischen, wie er mir etwas Gutes tut“ – diese Anregung wird jungen Paaren in so genannten EPL-Kursen gegeben. Das sind Gesprächtrainings für Paare, die von der katholischen Kirche in vielen Diözesen angeboten werden (www.epl-kek.de). Meistens greifen die Paare diese Anregung gerne auf: für eine bestimmte Zeit – etwa einen Abend lang – alles aufmerksam zu registrieren, was einem der andere Gutes tut. […]

Wenn Paare länger zusammen sind und die Liebe schon einige Schrammen abbekommen hat, kann es damit schwieriger werden. Da gibt es eher viele Situationen, wo einen das Verhalten des anderen ärgert. Manchmal geht es sogar so weit, dass man sich gar nicht mehr ernst genommen fühlt. Vorwürfe könnte man leicht formulieren – aber dass der andere einem auch Gutes tut?

Wenn man trotzdem bewusst hinschaut, kann man manches entdecken, was sonst einfach als selbstverständlich hingenommen wird: dass der Kühlschrank und der Autotank immer wieder gefüllt sind, dass die Arbeit im Haus und außer Haus Tag für Tag erledigt wird, auch wenn das oft mühsam und wenig aufregend ist. Dass man sich auf den andern verlassen kann. Wenn ich bewusst das Positive wahrnehme und es dem andern auch sage, werden die guten Kräfte in einer Beziehung gestärkt.

Dabei geht es nicht darum, Kritik und Ärger […] nur herunterzuschlucken.

Aber wenn ich in mir nur noch den Vorwürfen Raum gebe und dem anderen überhaupt nicht mehr zutraue, dass er mir auch Gutes tun will, dann wird sich das in einer fatalen „self fulfilling prophecy“ auch erfüllen. Ich trage also selbst dazu bei, dass ich den anderen nur noch negativ erlebe, denn er hat keine Chance mehr, mit seinem Tun mein Herz zu erreichen. Es ist hart geworden, undurchdringlich, verschlossen. Hartherzig – so wird in der Bibel diese Sturheit genannt, die nichts und niemanden an sich herankommen lässt. Jesus wird nicht müde, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie sich so ihr eigenes Unglück schaffen. Er empfiehlt Barmherzigkeit im Umgang miteinander. Das bedeutet nicht, alles mit sich machen zu lassen, aber doch offen zu bleiben.

Wenn der andere mich schon oft enttäuscht und verletzt hat, ist das ziemlich schwer. Jesus wusste das. Einem anderen wirklich zu vergeben und einen Neuanfang zu wagen, fällt nicht leicht. Es ist viel einfacher, den anderen schuldig zu sprechen und die innere Bindung zu ihm abzubrechen. Das zeigt die Geschichte von der Ehebrecherin. Auf frischer Tat ertappt, zerren die Pharisäer die Frau vor Jesus hin. Nach jüdischem Gesetz wurde dieses Vergehen mit Steinigung bestraft. Aber Jesus sagt zu den aufgebrachten Männern: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Wer hartherzig geworden ist, sieht die Schuld nur beim andern. Für die eigenen Unzulänglichkeiten ist er blind.

Aber wie soll man lernen, die eigenen Fehler nicht zu verdrängen?

„Seid barmherzig, wie es auch euer Vater im Himmel ist“, sagt Jesus. Denn Gott liebt uns, obwohl er unsere Schwächen und Unzulänglichkeiten kennt. Wer sich von Gott anschauen lässt, lernt sich tiefer kennen: die große Sehnsucht, geliebt zu werden, und die oft mühsamen Versuche, selbst zu lieben. Aber gerade diese Selbsterkenntnis macht uns sensibel für die Zeichen der Zuneigung und Liebe des anderen. Wer selbst erfahren hat, dass Gott barmherzig ist, kann sein Herz für den anderen wieder öffnen und ihn dabei erwischen, wie er etwas Gutes tut.

Mechthild Alber, Referentin im Fachbereich Ehe und Familie, Diözese Rottenburg-Stuttgart. Morgenandacht vom 28.07.2012, Deutschlandfunk

Der Link zum Text: http://www.dradio-dw-kath.eu/beitrag.php?id=1342  

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Text: Mechthild Alber
In: Pfarrbriefservice.de