Die Freiheit nehme ich mir. Aber was ist mit der Verantwortung?
Ein Gespräch mit Matthias Wjst über Einsichten aus Corona- und Klimakrise.
Gabriele Wenng-Debert: Wieviel Freiheit können wir uns im Hinblick auf Klimakrise und Umweltzerstörung noch leisten?
Matthias Wjst: Es steht sogar im Grundgesetz, dass jeder seine Persönlichkeit frei entfalten darf. Aber dann stellt man doch sehr schnell fest, dass es nicht so weit her ist mit der großen Freiheit. Irgendwie nützt mir die Forschungsfreiheit nicht viel, wenn mir niemand meine Studien bezahlt. Und die Pressefreiheit nützt dem Journalisten nichts, wenn er von dem Honorar nicht leben kann. Freiheit ist also keine angeborene Eigenschaft wie die Menschenwürde, sondern sie muss aktiv erkämpft werden.
Dass unsere Freiheit in Corona-Zeiten vorübergehend eingeschränkt werden musste, war den meisten Menschen schnell einsichtig. Für einige wurde die Freiheit dann allerdings zu einem Kampfbegriff, wenn auch an der völlig falschen Front.
Wieviel Freiheit wir uns leisten können? Die „völlig freie“ Marktwirtschaft wird immer mehr zu einer Planwirtschaft direkt in den Untergang. ‚Unsere Wirtschaft tötet‘, so Papst Franziskus in Evangelii Gaudium, sie vernichtet unwiderruflich unsere Umwelt und damit unsere Lebensgrundlage, wenn alles so wie bisher weiterläuft.
Und damit beginnt unsere Verantwortung…
Matthias Wjst: Genau, die Frage nach der Freiheit des Einzelnen oder der Gesellschaft kann man nicht von der Verantwortung für die Folgen trennen. Als Verursacher haben wir prinzipiell die Verantwortung für die Folgen, juristisch sowieso, politisch meistens, moralisch selbst dann noch, wenn wir sie ablehnen. Die Verantwortung ist so groß, wie die Freiheit zur Entscheidung davor gewesen war.
Die Freiheit des Einzelnen mit seinem Lebensstil steht gegen die Freiheit aller. Dennoch fällt es uns schwer, vernünftig zu handeln.
Matthias Wjst: Wer erinnert sich noch an Hans Jonas und sein berühmtes Buch Prinzip Verantwortung? Seine Ethik spielt zwar heute nur noch eine Außenseiterrolle, aber es war der erste große Ethikentwurf der technologischen Moderne in dem „die Frage nicht ist, wieviel der Mensch noch zu tun imstande sein wird, sondern wieviel davon die Natur ertragen kann.“ Ganz im Gegensatz dazu steht das aktuelle Pippilotta-Prinzip „Ich mach mir die Welt so, wie sie mir gefällt“.
Bei Corona kann aber nun ein verantwortliches Handeln direkten Nutzen bringen, etwa dass es uns einen Krankenhausaufenthalt erspart. Aber nun nicht mehr in Urlaub fliegen? Um CO2 zu reduzieren, nur damit es vielleicht ein Grad weniger in den nächsten 30 Jahren hat? Die Klimaveränderung ist zwar kein abstraktes, aber eben auch kein unmittelbares Problem. Weniger akute Probleme schieben wir gerne auf. Vielleicht lösen sie sich ja von selbst? Aus wissenschaftlicher Sicht spricht allerdings hier nichts für eine Selbstheilung. Die Klimamodelle sind jedenfalls vielfach genauer als die Corona-Statistiken. Bereits 2004 kam ein langer WHO-Report unmittelbar nach der SARS-Epidemie zu der klaren Aussage, dass Klima, Biodiversität, Globalisierung und infektiöse Krankheiten direkt etwas miteinander zu tun haben. So schaffen Urbanisierung und Massentierhaltung neue Umweltfaktoren. Durch Flugzeuge wird eine Epidemie nun mit 900 km/h verbreitet, während die Influenza 1918 sich noch mit 5 km/h verbreitete.
Es ist das Zeichen einer extrem egoistischen und unsolidarischen Gesellschaft, wenn sich nun vor allem die Jüngsten um ihre Zukunft auf der Erde Gedanken machen müssen.
Können wir aus der Corona-Krise etwas für unser Handeln bezüglich Umwelt und Klima lernen?
Matthias Wjst: Es gab in der Corona-Krise eine unerwartete Allianz von Impfgegnern, Deep-State- Weltverschwörern, Reichsbürgern, Anti-WHO-Aktivisten, die hier mit FDP und AfD auf der Straße waren. Diese Zweckgemeinschaft wird wohl schon bald wieder auseinanderfallen. Sie zeigt allerdings, wie wenig wir mit rationalen Argumenten allein eine Klimawende bewerkstelligen können.
Auf der anderen Seite zeigt die Corona-Krise eine breite Solidarität quer durch die Gesellschaft, welche die massiven Maßnahmen mitgetragen hat. Das macht Hoffnung. Und viele Menschen haben in der kurzen Zwangspause gelernt, dass der Konsum eigentlich doch nicht das Wichtigste im Leben ist.
Wissenschaftler warnen seit Jahrzehnten vor den Folgen der Klimakrise. Warum hören wir eigentlich nicht darauf? Hätten sie – auch in der Öffentlichkeit – deutlicher werden müssen?
Matthias Wjst: Wissenschaft und politischer Aktivismus vertragen sich nicht so gut, Wissenschaft braucht Objektivität und Unabhängigkeit. Es gibt also eine naturgemäße Grenze für Wissenschaftler in der politischen Diskussion. Wenn man sich aber die Geschichte der Klimaforschung durchliest, dann fragt man sich schon, was Wissenschaftler denn noch mehr hätten sagen sollen.
Wird die Umweltproblematik beim Wieder-Hochfahren der Wirtschaft eher aus dem Blickwinkel geraten? Oder haben Sie Hoffnung, dass die Chance, etwas zu verändern, ergriffen wird?
Matthias Wjst: Ich bin kein Prophet und auch froh darüber, denn den Propheten Israels bekam die Gesellschaftskritik nicht besonders gut. Der Legende nach wurde Jesaja in zwei Teile zersägt, Ezechiel gevierteilt. Aber Hoffnung auf eine Wende - die habe ich schon, Hoffnung, dass die Einsicht wächst. Glaube, Hoffnung, Liebe, als die Trias, die uns der Apostel Paulus im Römerbrief nahelegt. ‚Hoffnung ist eine anthropologische Konstante‘, sagt der Bonner Philosoph Markus Gabriel. Sie hängt mit der Freiheit zusammen, dass die Welt in der Zukunft doch anders sein könnte, wenn wir wissenschaftliche Erkenntnisse nicht ignorieren würden.
Matthias Wjst (*1958) studierte evangelische Theologie und Humanmedizin und habilitierte sich in Epidemiologie. Er wohnt in Gröbenzell, wo er auch Mitglied des Kirchenvorstandes der Zachäuskirche ist.
Gabriele Wenng-Debert, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Gabriele Wenng-DebertIn: Pfarrbriefservice.de