Die Schönheit der Bibel neu entdecken

Interview mit Prof. Ballhorn zur neuen Einheitsübersetzung

Fehler korrigieren, neue Worte finden – die neue Einheitsübersetzung der Bibel orientiert sich stark an den hebräischen und griechischen Urtexten. Professor Dr. Egbert Ballhorn hat die Psalmen neu übertragen, er findet: Die Schönheit der alten Texte wird jetzt deutlicher. Im Interview mit dem stadtgottes-Magazin erklärt er, warum.

Wofür brauchen wir eigentlich eine neue Übersetzung der Bibel? Haben die alten Übersetzer schlecht gearbeitet?

Prof. Ballhorn: Nein, die alten Übersetzer haben gut gearbeitet. Die Einheitsübersetzung ist der fraglos akzeptierte Text im katholischen Bereich, sie ist geschätzt, und man hat sich auch in der Liturgie eingehört. Aber mit der Zeit hat sich bei den Exegeten Unwohlsein angesammelt, denn an vielen Stellen sind Formulierungen unpräzise. Heute ist man viel sensibler für den Urtext, und so kam die Idee auf, einige Stellen zu überarbeiten. Das Unternehmen hat dann aber eine große Dynamik entwickelt, allein bei den Psalmen hat es mehrere hundert Änderungen gegeben, manche Bücher sind sogar ganz neu übersetzt worden.

Also doch keine gute Übersetzung?

Prof. Ballhorn: Vor 40 Jahren hat man einfach anders gearbeitet. An manchen Stellen hat man sehr in den Text eingegriffen, Worte umgestellt, gemeint: „Ach der Vers gehört gar nicht dahin“ … Die Übersetzer haben den Text möglichst lesbar gemacht, aber ihn vielleicht zu sehr geglättet.

Warum?

Prof. Ballhorn: Die Einheitsübersetzung war die erste katholische und verbindliche Übersetzung im deutschsprachigen Raum. Sie war vermutlich die erste Vollbibel, die in viele katholische Haushalte eingezogen ist. Da wollte man den Leuten einen guten Zugang ermöglichen und den Text möglichst auch „glatt“ machen, damit diese Bibel gut lesbar und brauchbar war. Heute ist man viel sensibler für den Urtext.
Dazu kommt: Seit den 1980-er Jahren hat es ja einen regelrechten Bibelfrühling in der katholischen Kirche gegeben, es gibt Bibelkreise und Bibelgruppen, man arbeitet mit den Texten. Die Bibel ist ein wichtiges Buch geworden. Und deshalb kann man heutigen Bibellesern auch etwas zutrauen.

Es gibt so viele Bibelübersetzungen und –übertragungen, langsam verliert man den Überblick. Brauchen wir denn so viele Übersetzungen?

Prof. Ballhorn: Ja! Der Urtext im Griechischen und Hebräischen hat so viele Aspekte, die von einer Übersetzung allein nicht eingeholt werden können. Ich bin froh, dass es einen verbindlichen katholischen Text gibt, den wir überall im Gottesdienst hören, aber es ist immer hilfreich, wenn man mehrere Übersetzungen nebeneinander legt. Das sage ich auch immer meinen Studierenden: Wenn Sie kein Griechisch, kein Hebräisch können, vergleichen Sie die Übersetzungen, damit Sie ein Gespür für die Nuancen des Textes bekommen. 

Aber manche Texte klingen gar nicht mehr so, als stammten sie aus der Bibel, etwa bei der „Bibel in gerechter Sprache“ oder „Die Gute Nachricht“ … Das kann doch nicht alles richtig sein?

Prof. Ballhorn: Die Fachleute sprechen von einer „ausgangsprachenorientierten“ oder einer „zielsprachenorientierten“ Übersetzung. Ausgangssprachenorientiert heißt: Ich bilde in der Übersetzung den Urtext so gut es geht ab und bin damit ganz nahe beim Griechischen oder Hebräischen. Dann wird es holprig klingen, muss es auch. Oder ich will ganz in die Zielsprache gehen, damit die Leute verstehen, worum es geht. Ich übersetze nicht wörtlich, sondern nehme ein anderes Wort, was bei uns dieselben Assoziationen wachruft.

Und was würden Sie empfehlen?

Prof. Ballhorn: Beides hat Vor- und Nachteile. Für Menschen, die mit dem Bibellesen neu anfangen, würde ich eine stark zielsprachenorientierte Übersetzung empfehlen, etwa eine „Gute-Nachricht-Bibel“, damit man dem Verlauf des Textes leichter folgen kann und nicht durch ungewohnte Formulierungen „herausgeworfen“ wird. Aber für Leserinnen und Leser, die mit den Texten sehr vertraut sind, kann es ganz gut sein, einmal so eine „holprige“ Übersetzung zu verwenden, bei der man sich wundert, vielleicht sogar befremdet wird. 

Für welche Methode entscheidet sich denn die Einheitsübersetzung?

Prof. Ballhorn: Sie muss beides schaffen, das ist die Schwierigkeit. Sie muss dem Erstleser die Möglichkeit des Verstehens geben, aber sie soll auch denjenigen, die in Bibelkreisen oder im Brevier in jahrelanger Auseinandersetzung diese Texte immer wieder neu abtasten, noch Nahrung bieten.

Ist Ihnen das gelungen?

Prof. Ballhorn: Ich hoffe es! Das war für mich beim Übersetzen eine Wonne und eine Last zugleich: Tragen die Formulierungen, die du wählst? Eröffnet das jemandem einen Text, gibt es ihm Nahrung, kann er in zwanzig oder dreißig Jahren mit dieser Formulierung immer noch leben? Die Psalmen wandern in die Breviere ein, die Geistlichen werden es beten, in den Klöstern wird es gesprochen – ist es besser als vorher? Das war schon eine Verantwortung.

Sagen Sie mal einige Beispiele!

Prof. Ballhorn: Psalm 1 fängt an: „Selig der Mann, der nicht im Rat der Gottlosen sitzt.“ Im Hebräischen eindeutig „der Mann“. Aber sollen denn nur Männer diese Texte lesen? Das ist doch der Eröffnungsvers für den gesamten Psalter! Gezeichnet wird hier das Idealbild des Gläubigen. Also habe ich gebeten, dass wir schreiben: Selig der Mensch! In der letzten Redaktionsphase ist es dann leider wieder zum „Mann“ zurückgearbeitet worden. Es ist nicht falsch, weil es dem Wortlaut entspricht und auch als Anspielung auf König David als Psalmensänger gelesen werden kann, aber ... Beide Übersetzungen sind nicht richtig und nicht falsch, aber „der Mann“ holt die heutigen Leserinnen nur schwer herein. 

Noch ein Beispiel?

Prof. Ballhorn: Die alte Einheitsübersetzung schreibt in Psalm 23: „Er stillt mein Verlangen ...“ Wörtlich heißt es: „Er bringt meine Seele zurück.“ Das ist etwas ganz anderes! „Seele“ im Hebräischen meint die Lebenslust und die Lebenssehnsucht des Menschen. „Er macht mich satt“ heißt das eigentlich. Das haben wir dann geändert in „Meine Lebenskraft bringt er zurück.“ Denn: „Er stillt mein Verlangen“ ist viel zu abstrakt.
Oder: „Er leitet mich auf rechten Pfaden“ heißt es in der alten Einheitsübersetzung. Das ist zu blass. Da denke ich beim Hören: einfach geradeaus. Das Hebräische sagt: „Pfade der Gerechtigkeit“. Man fragt sich beim Lesen: Was sind Pfade der Gerechtigkeit? Damit ist der Text ein bisschen sperriger und man kann über etwas nachdenken. Über solche Formulierungen bin ich froh, weil der Text aus seiner vordergründigen Eindimensionalität herausgeholt wurde.

Es waren aber nicht nur einzelne Worte falsch oder strittig, sondern auch Formulierungen, die uns ganz vertraut sind. 

Prof. Ballhorn: Das liegt daran, dass das Hebräische kein Tempussystem wie die deutsche Sprache kennt, sondern nur abgeschlossene und unabgeschlossene Handlungen. Die Einheitsübersetzung hat einfach vieles ins Präsenz übersetzt. „Der Herr denkt an uns, er wird uns segnen.“ Richtiger wäre: „Der Herr hat an uns gedacht.“ Das ist die Grundlage, die schon gelegt ist. Und weil er schon an uns gedacht hat und das die Gegenwart prägt, deswegen segnet er uns. 
Noch ein Beispiel: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts fehlen“, so heißt es im Psalm 23. Ich kann das auch präsentisch übersetzen: „Mir fehlt nichts“. Das Hebräische meint die Gegenwart, aber auch die Zukunft und den Wunsch. Ich habe meine Studierenden gefragt: Wie findet ihr das? Sie sagten: „Mir wird nichts fehlen“ klingt offener, auch wie eine Verlagerung ins Jenseits. Wenn ich sage „mir fehlt nichts“, ist das gegenwartsorientierter. Was ist aber mit dem, der sagt: Mir fehlt doch etwas? Spannend, wenn man die alten Texte neu hört. Auf jeden Fall haben wir versucht, die Bildsprache stärker zu berücksichtigen. Und wenn im Originaltext ein Wort mehrfach vorkommt, ist das ein Leitwort mit entscheidender Bedeutung für den Text.

Haben Sie auch ein Beispiel aus dem Neuen Testament?

Prof. Ballhorn: In der Offenbarung heißt es: „Er wird ihr Gott sein und sie werden sein Volk sein“. Das ist die alte Bundesformel aus dem Alten Testament. Aber in der griechischen Handschrift heißt es: „Sie werden seine Völker sein“. Das ist ganz bewusst so gesetzt, weil der Bund Israels um die anderen Völker erweitert wird. Da steckt eine starke theologische Aussage drin! So etwas hat man jetzt geändert.

Diese Texte werden jetzt auch in die liturgischen Bücher übernommen. Aber im Gotteslob stehen die alten Übersetzungen ...

Prof. Ballhorn: Ja, und das ist sehr schade! Wir Übersetzer der Psalmen hatten die Maßgabe: Die Psalmen müssen gregorianisch singbar sein. Das sind die alten nicht, deshalb sind sie auch so schwer zu singen. Wir haben uns deshalb immer wieder mit der Gruppe aus der „Gotteslob“-Redaktion getroffen, die für die Gregorianik zuständig war, haben diskutiert und gestritten, wie wir übersetzen, damit man es singen kann. Alles unter höchstem Zeitdruck. Und dann ist das Ärgerliche passiert, dass die neue Gotteslob-Auflage nicht die revidierte Psalmenübersetzung bekommen hat, sondern die alte Einheitsübersetzung. Das ist sehr schade!

Wie ist das passiert?

Prof. Ballhorn: Der Rest der neuen Übersetzung war noch nicht fertig. Rom wollte aus verständlichen Gründen nur die ganze Übersetzung approbieren, und dann hat man halt die alte Einheitsübersetzung ins Gotteslob übernommen. Und das ist der einzige Ort, wo man die Singbarkeit braucht! Das bedauere ich sehr.

Meine alte Bibel ist ja jetzt eigentlich überflüssig. Werfe ich die jetzt weg?

Prof. Ballhorn: Seine Bibel, die einen als Buch begleitet hat, die man gelesen hat, wo Gebetszettel und Anstreichungen drin sind – die soll man selbstverständlich behalten und weiter benutzen. Aber der Trend geht zur Zweitbibel. Als Exeget sage ich: Man kann gar nicht genug Bibeln im Haus haben! Auf jeden Fall brauchen Lektorinnen, die sich auf Lesungen vorbereiten, Religionslehrer und Leute, die neugierig sind, die neue Übersetzung. Und wer jetzt eine Bibel kauft, sollte immer die neue Einheitsübersetzung wählen und sie achtsam neben die anderen stellen.

Interview: Christina Brunner
aus: stadtgottes 11/2016, Magazin der Steyler Missionare, www.stadtgottes.de. In: Pfarrbriefservice.de

Zur Person

Dr. Egbert Ballhorn, 48, ist Professor für Katholische Theologie an der TU Dortmund und stellvertretender Vorsitzender des Katholischen Bibelwerks. Zusammen mit den mittlerweile verstorbenen Professoren Erich Zenger und Frank-Lothar Hossfeld hat er für die neue Einheitsübersetzung die Psalmen übertragen.

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Der Wortlaut der Bibel wurde neu übersetzt - Interview für den Pfarrbrief

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Text: Christina Brunner, www.stadtgottes.de
In: Pfarrbriefservice.de