„Du hast unseren Hass nicht verdient“

Menschlichkeit bewahren

„Umsonst & Draußen“-Festival, Würzburg. Auf der „Draußen-Bühne“ spielt die Band Egotronic, deren Song „Rannte der Sonne hinterher“ es immerhin auf die Liste meiner Lieblingssongs geschafft hatte. Die Gruppe macht in meinen Ohren launige Punk-Musik, mit groovig eingesetzten elektroakustischen Stilelementen der ersten Heimcomputer-Ära, Anfang der 80er.

Um mir diese Musik einmal live anzuhören, bin ich an dem Abend mit dem Zug nach Würzburg gefahren. Nach dem Spaziergang vom Hauptbahnhof zum Festivalgelände an der Talavera habe ich mir an einem der Getränkestände ein Bier besorgt und mich unter die Fangemeinde gemischt. Trotz Fußball-EM hat sich eine ansehnliche Zahl von Menschen vor der Bühne versammelt. Torsun, der Lead-Sänger begrüßt mit den Worten: „Ich freue mich, dass in diesem Moment gerade Deutschland spielt – so sind heute die ganzen Deppen nicht da und wir können hier ungestört abfeiern.“ Dieser Spruch wird sogleich mit lautem Jubel beantwortet.

Die Band heizt uns vom Start weg gehörig ein und es herrscht schnell eine ausgelassene Stimmung. Die Musik gefällt mir live noch viel besser als aus der Konserve. Die Leute singen bei vielen Songs mit, sie scheinen die Texte gut zu kennen. Ich merke, dass ich weit davon entfernt bin, denn ich achte bei Musik meist auf den Groove, eher selten auf den textlichen Inhalt. An diesem Abend liegt es vielleicht auch an der räumlichen Nähe, dass ich zum ersten Mal wirklich höre, was die Musiker da eigentlich singen. Der Refrain von „Raven gegen Deutschland“ lautet „Wir haben euch was mitgebracht: Bass, Bass, Bass. Für’s Nazi- und Rassistenpack gibt’s: Hass, Hass, Hass“. Eine Ansage des Leadsängers, zwischen zwei Songs gesprochen, ist mir noch genau im Ohr: „Gegen Nazis ist jedes Mittel recht – jedes!“. Dieser implizite Aufruf zur Gewalt schockiert mich dann doch und hinterlässt in mir nachhaltig ein Gefühl des Unbehagens. Welcher Geist weht hier eigentlich?

Wo ziehe ich die Grenzen meiner Toleranz?

„Toleranz“, geht es mir zuerst durch den Kopf: „Ich muss ja nicht alles gutheißen, was der da singt und sagt, doch ich kann es erdulden.“ Wenn da nicht eben jener Song mit dem gleichnamigen Titel wäre, in dem die Künstler selbst ihrem Ärger über eine falsch verstandene Toleranz Luft machen: „Eure Toleranz kotzt mich an!“ singen sie da. Sie beklagen darin eine Toleranz, die vom Verständnis für die Situation eines Menschen getragen ist und damit scheinbar jedes Verhalten entschuldigt: „Er ist halt arbeitslos und ohne Perspektive“. Wenn er deswegen „gerne mal auf Schwarze losgeht“, dann „muss man sich kümmern und muss das akzeptieren“, prangern die Sänger mit bitterem Unterton an.

Auch für mich ist klar: Toleranz hört spätestens dort auf, wo andere Menschen verbal erniedrigt, wo ihnen Gewalt angedroht oder gar angetan wird. Egotronic aber, so kommt es mir vor, verfällt ins andere Extrem. Ich sehe ihr engagiertes Auftreten gegen Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft, das Unterstützung und Anerkennung verdient. Jedoch heißt die Band offenbar alle denkbaren Mittel gut, Menschen mit Rechtsaußen-Positionen zu begegnen. Nun mag man einwenden, ganz ohne Gewalt geht das manchmal gar nicht. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass jemand auf der Straße tätlich angegriffen wird, muss ich einschreiten. Wenn Flüchtlingsheime brennen, muss der Staat die Täter mit aller Härte verfolgen und zur Rechenschaft ziehen. Dennoch hat das, was jene Musiker auf der Bühne propagieren, für mich etwas von „den Teufel mit dem Belzebub austreiben“. Und es lässt mich Rückschlüsse auf die Logik ziehen, die vermutlich dahinter steht. Es ist der alte Dualismus, welcher die Welt in Gut und Böse einteilt, in Schwarz und Weiß. Danach ist es legitim, den „Nazis“ und „Rassisten“ die Menschenrechte abzuerkennen, weil sie ja menschenfeindliche Haltungen und Ansichten pflegen.

Ich wünsche mir, Egotronic fände mit ihrer Kunst andere Wege

Letztlich vermisse ich dabei eine präzise Unterscheidung zwischen dem, was eine Person sagt und tut, und dem eigentlichen Menschen dahinter. Ich finde, alle Menschen haben ein Recht auf menschenwürdige Behandlung, ganz gleich welche Gesinnung sie an den Tag legen. Genau betrachtet nimmt schon die Etikettierung „Nazi“ oder „Rassist“ Personen einen Teil dieser Würde. Denn es handelt sich dabei um einen Akt des Abstempelns und des „In die Schublade steckens“. Indem ich das tue, begehe ich denselben Fehler, den ich dem „Feind“ zum Vorwurf mache. Ich werte den Menschen als Ganzes ab, indem ich unzulässigerweise verallgemeinere.

Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in unserer Gesellschaft sind sehr ernstzunehmende, traurige Tatsachen, die entschieden bekämpft werden müssen. Doch anstatt dabei den ganzen Menschen anzuprangern, ihn zu erniedrigen und auszugrenzen, sollte das Statement lauten: „Wir verurteilen das, was du sagst und tust. Und wir stellen uns dir in den Weg, wenn du versuchst deine und unsere Nächsten mit Worten oder Taten niederzumachen. Aber wir werden dich immer als Menschen respektieren. Denn du hast unseren Hass nicht verdient.“

Christian Schmitt, In: Pfarrbriefservice.de

Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für September 2019

Vor dem Herunterladen:

Datei-Info:
Dateiformat: .doc
Dateigröße: 0,02 MB

Sie dürfen den Text in sozialen Medien nutzen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, etc.)

Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen

Text: Christian Schmitt
In: Pfarrbriefservice.de