Ein Sonntag für die Tiere
Eine Geschichte für Kinder
„Tagein, tagaus dasselbe!“, sagt der Esel, „Tag für Tag muss ich die schweren Lasten schleppen für meinen Herrn! Hierhin und dorthin und wieder zurück“, jammert er.
„Könnte es für uns Tiere nicht auch einen Sonntag geben?“, fragt er die Katze.
„Einen Sonntag für uns Tiere? Das klingt gut!“, sagt die Katze.
„Und wann soll für dich Sonntag sein?“, fragt sie den Esel.
„Oooh!“, schwärmt der Esel, „Sonntag ist dann, wenn ich ohne Lasten durch die Wiese spaziere und wenn der Wind meinen Rücken streichelt. Und, und ja,“ träumt er laut, „wenn ich im duftenden Gras sitzen darf und Purzelbäume schlage. Sonntags bin ich nicht einfach der schäbige Packesel! Sonntags bin ich einfach nur ich!“
„Schön“, schnurrt die Katze, „und weißt du, wann für mich Sonntag ist?“
„Wenn du drei kugelrunde, dicke Mäuse fängst!“, antwortet der Esel.
„Aber nein! Mäuse sind viel zu gewöhnlich!“, sagt die Katze.„Nein! Sonntag ist für mich, wenn es Rosinenbrot zum Frühstück gibt. Und wenn ich mit allen meinen Katzenkindern und meinem Kater gemeinsam beim Frühstückstisch sitze. – Ja, dann ist für mich Sonntag! Sonntags soll mein Kater nicht zur Jagd und meine kleinen Kätzlein sollen nicht zur Schule. Sonntag, das soll der Tag sein, der nur uns gehört. An diesem einen Tag wollen wir ganz beisammen sein“, schwärmt die Katze, „und nach dem Frühstück im Gänsemarsch über die Dächer spazieren und uns dabei alles erzählen, was wichtig ist.“
"Und was ist mit mir?“, fragt der Hahn. „Tag für Tag muss ich als Erster aus dem warmen Bett. Tag für Tag muss ich pünktlich zum Sonnenaufgang krähen. Tag für Tag muss ich die vielen Eier zählen. Tag für Tag muss ich ...“
„Ich weiß was für dich“, unterbricht ihn die Katze, „sonntags sollst du schlafen, so lang es dir gefällt. Du musst nicht frühmorgens aus deinem Bett. Du musst keine Eier zählen. Sonntags musst du gar nichts müssen!“
„Schöön!“, jubelt der Hahn. „Dann putze ich sonntags mein Federkleid, bis es schimmert und glänzt. Und dann will ich Lieder singen, tanzen und fröhlich sein. Sonntags muss ich nichts müssen“, gackert er und setzt sich zufrieden zwischen Esel und Katze.
„Bitte ausweichen!“, rufen zwanzig Ameisen, die in einer Kolonne dahermarschieren, „wir haben es eilig!“
„Halt!“, ruft der Hahn, „wir wollen einen Sonntag für Tiere! Macht ihr mit?“
„Keine Zeit!“, sagt der Ameisenführer, „wir Ameisen sind immerzu fleißig. Wir sammeln und putzen. Wir schleppen und bauen. Wir schaffen und werken. Keine Stunde ist frei. Keine Minute ist leer.“
„Schneller Leute! “, kommandiert er, und die Kolonne zieht eilig davon. Nur die letzte Ameise bleibt zurück. „Was? Einen Sonntag wollt ihr? Auch für mich?“, fragt sie schüchtern.
„Ja, auch für dich!“, antwortet die Katze.
„Oooh!“, sagt die kleine Ameise, „sonntags will ich auf einem Grashalm schaukeln und meine Beinchen baumeln lassen. Dann will ich an einer Blume schnuppern und in ihrem Schatten rasten und meinem Herzschlag lauschen. Sonntags habe ich Zeit zum Langsam-sein, da habe ich Zeit zum Rasten und Zeit zum Träumen! Sonntags hab ich Zeit für die Zeit!“, schwärmt die kleine Ameise.
„Sonntags will ich in der Speisekammer sitzen und alle meine Nüsse fein schlichten und stapeln!“, sagt die Maus.
„Mmmh! Lecker! Wie viele sind es?“, gackert der Hahn.
„Siebenhundertundzwölf!“, sagt die Maus. Und plötzlich kommt es ihr tatsächlich sehr viel vor.
„Nein! Ich hab eine andere Idee!“, quietscht sie, „sonntags koche ich Nusspudding! Ja! Sonntags sollt ihr alle meine Gäste sein!“
„Oooh!“, staunen die anderen.
„Auch ich?“, fragt die Katze.
„Auch du! Mitsamt deinem Kater! Und mitsamt deinen Kätzchen!“
„Aber sind wir nicht eigentlich Feinde?“, wundert sich die Katze.
„Ja, eigentlich schon!“, sagt die Maus, „aber sonntags sollen Feinde Freunde werden. Sonntags soll man sein Herz weit aufmachen für das Gute und es festhalten. Das macht stark für alle anderen Tage!“
„Jetzt bist du dran!“, sagt der Esel zum bunten Schmetterling, der die ganze Zeit über still auf seinem linken Ohr hockt und zuhört. „Was machst du am Sonntag?“, fragt ihn der Esel.
„Ach, wisst ihr“, antwortet der Schmetterling, „ich mache nichts Großes. Sonntags, da will ich Gott einfach nur danken.“
Und dann fliegt er fröhlich davon. Immer höher schwebt er zu den Wolken hinauf, bis man nichts mehr von ihm sieht.
„Interessant!“, sagen die Tiere und schauen ihm mit großen Augen nach. Irgendwie hat der Schmetterling sie besonders beeindruckt.
Seit diesem Zusammentreffen gibt es bei den Tieren tatsächlich jede Woche einen Sonntag.
Der Esel sitzt stundenlang im duftenden Gras, lässt seinen müden Rücken vom Wind streicheln, und ab und zu schlägt er Purzelbäume.
Die Katzenfamilie marschiert nachmittags zufrieden im Gänsemarsch über die Dächer und plaudert eifrig miteinander.
Der Hahn singt wundersame Lieder und tanzt mit den Hühnern.
Die Ameisen schaukeln auf den Halmen und rasten im Schatten der Blumen.
Und alle freuen sich riesig auf den Besuch bei der Maus, die jeden Sonntag mit größter Sorgfalt für alle Tiere köstlichen Nusspudding kocht.
Wenn sie dort versammelt sind, sind alle besonders glücklich, und die Katzenkinder geben der Maus jedes Mal einen Begrüßungskuss.
Der Esel denkt kein einziges Mal an seine schweren Lasten.
Der Hahn ist ausgeschlafen und strahlt in seinen glänzenden Federn.
Und die Ameisen sind jedes Mal die Letzten, die sich verabschieden. An diesem Tag haben sogar sie es nicht eilig.
Aber ein richtiger Sonntag ist der Sonntag erst, wenn auch der Schmetterling dabei ist.
„Sagst du bitte auch von mir danke, wenn du in den Himmel fliegst?“, quietscht die Maus.
„Und auch von uns!“, rufen die Kätzchen.
Und die Ameisen halten jedes Mal ein frisches Gänseblümchen bereit. „Bring das von uns dem lieben Gott!“, bitten sie den Schmetterling.
Und wenn sie den Schmetterling hoch oben in den Wolken verschwinden sehen, sind alle bis in ihr Herz hinein zufrieden. „War es nicht eine gute Idee, den Sonntag einzuführen?“, sagen sie dann jedes Mal.
Sigrid Zmölnig-Stingl
Quelle: Kath. Kinderzeitschrift Regenbogen Nr. 32 2011/12, Titel: "Sonntags", www.kinder-regenbogen.at
Bildhinweis: Drei passende Grafiken von Karl Salbrechter finden Sie hier.
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Text: Sigrid Zmölnig-Stingl, www.kinder-regenbogen.atIn: Pfarrbriefservice.de