„Es gibt keine Schiedsrichter-Instanz. Niemanden, den du betrügen kannst. Entweder du betrügst dich selbst oder alle anderen Spieler.“

Ein anderes Wort für fairen Sport – Ultimate Frisbee

Carsten Büchner. Er ist 21 Jahre alt, kommt aus Würzburg und spielt seit 2018 in der U 24 Ultimate Frisbee Nationalmannschaft. Ein Gespräch darüber, was es heißt, ohne Schiedsrichter zu spielen, Fairplay zu leben, zuhören zu lernen und Gummibärchen zu gewinnen.

Sportler, die sich theatralisch auf dem Rasen krümmen, sich wimmernd den Knöchel halten und schmerzverzerrt in die Fernsehkamera leiden. Die wild gestikulierend mit dem Schiedsrichtern brüllen. Die den Gegner brutal treten, boxen, zerren, foulen. Und im Ultimate Frisbee soll alles besser sein?

Carsten Büchner: Es gibt in meinen Augen keinen Sport, der so fair ist. Der Fairnessgedanke ist im Frisbee wahnsinnig gut. Es ist ein selbstregulierender Sport. Wir spielen ohne Schiedsrichter.

Ohne Schiedsrichter? Wie soll das funktionieren?

Die Spieler entscheiden selbst, wie die Situation auf dem Spielfeld war. Wenn sich jemand durch ein Foul oder durch eine Regelverletzung benachteiligt fühlt, wird das klar kommuniziert. Es gibt verschiedene Wege, das zu klären.

Welche? Stellen sich die Spieler auf den Platz und machen ein Diskussionskränzchen?

Wenn es zu Meinungsverschiedenheiten kommt, diskutieren wir möglichst kurz, weil jeder weiterspielen will. Die Spieler sagen, was passiert ist. Jeder nimmt Stellung.

Auf internationaler Ebene kommen die gegnerischen Mannschaften aus anderen Ländern. Wie verständigen sich die Spieler?

Es gibt verschiedene Handsignale, die die Spieler auf dem Spielfeld machen, um sich über die Sprachbarrieren hinweg klar und deutlich verständigen zu können.

Müssen Frisbeespieler diese Handsignale auswendig können?

Eine wichtige Grundvoraussetzung für einen Frisbeespieler ist, dass er die Regeln gut kennt. Das ist das A und O. Es gibt teilweise nach den Trainingseinheiten Theorieeinheiten mit Regelkunde.

Und wie laufen die Diskussionen mit den Händen ab?

Manchmal sagt der andere sofort „Selbstverständlich war es ein Foul. Ich akzeptiere das.“ Andere beharren vehement auf ihrer Meinung. Aber, wenn du nicht gefoult hast und der andere meint, oh da war ein bisschen Körperkontakt, dann solltest du deine Meinung nicht zu schnell loslassen. Du hast nichts davon, die ganze Zeit Fouls zu akzeptieren, die keine Fouls waren. Das tut dem Spiel nicht gut. Kurz: Wir einigen oder wir einigen uns nicht.

Was passiert, wenn sich die Teams nicht einigen können? Es wird immer Spieler geben, die denken, sie sind im Recht.

Die Mannschaften versuchen das Spiel zurückzuspulen. Wenn ich die Scheibe nicht fangen konnte, weil du mich gefoult hast, du aber sagst, dass es kein Foul war, dann kriegt der die Scheibe zurück, der sie vorher geworfen hat. Wir springen zurück, als wäre das Foul nicht passiert, wiederholen die Situation und spielen weiter.

Angenommen es ist das Finale einer Weltmeisterschaft. Da will doch jede Mannschaft gewinnen.

Mich haben oft Leute gefragt, was passiert, wenn jeder gewinnen will und bei der gegnerischen Mannschaft ständig sagt: Foul, Foul, Foul, Foul. Sowas passiert nicht. Es gibt keine Situation, in der Leute nicht spirited spielen oder nicht fairplay.

Teamplay hat einen hohen Stellenwert.

Das hat mich von Anfang an gepackt. Dieser absolute Teamgedanke und Fairnessgedanke. Sowas habe ich noch nie erlebt. Es ist mega cool, wie du bei diesem Sport integriert wirst. Das wären die ersten Leute, die ich zu meinem Geburtstag einladen würde. So ein gutes Gemeinschaftsgefühl.

Nach jedem Spiel bewerten die Mannschaften gegenseitig, wie spirited sie gespielt haben.

Wir stellen uns zusammen mit den Gegnern in einen Kreis, immer abwechselnd, einer aus dem eigenen Team, einer aus dem anderen Team. Arm in Arm. Das finde ich wahnsinnig toll. Jedes Team sagt ein paar Sätze, wie das Spiel gelaufen ist. Sowohl spielerisch als auch vom Verhalten den Mitspielern gegenüber. Danach bewerten sich die gegnerischen Mannschaften in fünf Kategorien, die den Spirit, diesen Gedanken des fairplays wiederspiegeln sollen.

Welche Kategorien sind das?

Regelkenntnis und Gebrauch, Fouls und Körperkontakt, positive Einstellung und Selbstbeherrschung, Kommunikation und Fair-Mindedness.

Entscheidet das Team, wie viele Punkte es der gegnerischen Mannschaft in den einzelnen Kategorien gibt?

Wir diskutieren kurz. Jeder zeigt mit seinen Fingern, wie viele Punkte er geben will und dann wird die Mehrheitsentscheidung angenommen. Wir schreiben das auf einen Bogen und das wird von der Turnierleitung ausgewertet. Jeder bekommt seine eigenen Ergebnisse, damit er weiß, woran er arbeiten muss.

Es gibt neben dem Turniersieger einen Spirit-Sieger. Was ist das?

Es gibt eine Mannschaft, die den Spirit gewonnen hat und der ist bei vielen Turnieren mindestens genauso angesehen, wie der Turniersieger. Er kriegt dieselben Preise, meistens Gummibärchen (lacht).

Warum funktioniert Fairplay im Frisbee so gut?

Ich glaube, ein ganz wichtiger Faktor ist, dass es diese Schiedsrichter-Instanz nicht gibt. Es gibt niemanden, den du betrügen kannst. Entweder du betrügst dich selbst oder alle anderen Spieler auf dem Spielfeld und das ist nicht verlockend.

Andere Werte sind wichtig.

Ja, wir haben natürlich diesen Konkurrenzgedanken. Wir spielen Team gegen Team und ein Team gewinnt, aber wir lernen Konkurrenz auf einer Ebene zu lösen, die nur auf sportlichen Aspekten liegt. Es geht nicht darum: Ich mache den anderen schlechter, damit ich besser bin.

Wirkt sich diese Haltung auf das alltägliche Leben aus?

Ich glaube, ich versuche bewusster Fairnessentscheidungen zu treffen, ja. Und ich habe gelernt den anderen Leuten zuzuhören, weil es wichtig ist, ihre Position zu verstehen, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können.

von: Ronja Goj, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Ronja Goj
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