Harmonie sieht anders aus
Kolumne: Zwischenmenschliches
Bin ich ein friedliebender Mensch? Kann ich auch gut streiten? Womit müsste ich mich einmal so richtig auseinandersetzen? Wo gehe ich dem Streit aus dem Wege? Kann ich Kompromisse machen? Kenne ich „faulen“ Frieden, trügerische Harmonie, verletzendes Streiten?
Es ist für mich immer faszinierend, einem Künstler bei der Arbeit zuzuschauen und dabei zu beobachten, wie aus einem groben Rohmaterial ein zartes und fast zerbrechliches Kunstwerk entstehen kann. Zwischen Rohmaterial und Kunstwerk liegen viele Stationen und oft ein anstrengender Prozess: Da wird abgeschlagen, gemeißelt, gehauen, gehobelt, geschliffen, es fliegen Brocken, Späne, es fließt Schweiß, entstehen Schwielen. All dies ist hinterher vergessen, es scheint der selbstverständliche Preis dafür zu sein, etwas Schönes sehen zu können. Es fällt dabei auf, dass wir diese Vorgänge auch in unserem alltäglichen Zusammenleben kennen und mit ähnlichen Bildern beschreiben und kommentieren. Ich denke da an Sätze, wie: „Man muss sich erst tüchtig zusammenraufen, um sich hinterher gut zu verstehen.“ – „Wo gehobelt wird, da fallen Späne …“ – Wir reden vom „reinigenden Gewitter“.
Es geht um Lösungsversuche, nicht um Vorwürfe
Wenn Entgegengesetztes sich zu einer Ganzheit zusammenfügt, spricht man von Harmonie. Heraklit bestimmt die Harmonie als einen dialektischen Gleichklang von Gegensätzen: „Das Widerstrebende vereinige sich, aus den entgegengesetzten Tönen entstehe die schönste Harmonie, und alles Geschehen erfolge auf dem Wege des Streitens.“ Streiten ist hier allerdings als ein Geschehen von Miteinander, nicht von Gegeneinander oder Auseinander zu verstehen. Dabei geht es nicht um Vorwürfe. Wenn man dennoch mal einen Vorwurf macht, so sollte er eindeutig und genau sein, nicht allgemein. Man sollte auch nicht beim Klagen bleiben, sondern gleichzeitig im Streiten immer eine vernünftige Möglichkeit zur Verhaltensänderung vorschlagen. Man darf sich dabei nicht bei Scheinproblemen aufhalten, sondern zunächst danach suchen, worum es mir und dem Anderen eigentlich, also: wirklich geht.
Vermeiden sollte man sowohl engstirnige Intoleranz als auch aalglattes Verhalten. Eigenen Gefühlen gegenüber darf man genau so offen sein, wie denen auf der anderen Seite. Man sollte nichts unterstellen, sondern immer fragen. Sarkasmus als Streitform ist hinterhältig. Vergangenes sollte vergangen bleiben.
In einem aufrichtigen Streitgespräch zwischen Partnern kann es nie nur einen Gewinner geben. Entweder gewinnen oder verlieren beide. Das richtige Streiten sollte also immer darauf achten, dass Probleme stets konstruktiv gelöst werden, dass es nicht zu einem Machtkampf ausartet, den anderen nicht persönlich herabsetzt oder verletzt. Was beiden Seiten überhaupt nicht guttut, das sind ständige Schuldzuweisungen und Anklagen. Es sollte vielmehr immer von beiden Seiten her das Ziel bleiben, das aktuelle Problem einer Lösung zuzuführen. „Die Harmonie zwischen zwei Individuen ist niemals gegeben, sie muss immer wieder neu erobert werden“, so Simone de Beauvoir.
Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und TheologeIn: Pfarrbriefservice.de