Himmel noch mal!
Wo ist eigentlich Gott bei all dem Corona?
Ist Gott der Urheber des Virus? Schickt er es als Strafe? Schickt er es als Prüfung, als Chance für Lernerfahrungen? Oder hat Gott mit dem Virus gar nichts zu tun? Fragen, die mir im letzten Jahr immer wieder direkt oder indirekt gestellt wurden. Die Fragen sind einfach und klar.
Die Antworten sind nicht so einfach; es ist die alte und immer wieder neue Frage, die man als Theodizee-Frage bezeichnet: Warum ändert Gott, der als allmächtig und gut geglaubt wird, das viele Böse in der Welt nicht? Das ist eine Frage, auf die jeder Gläubige eine Antwort finden muss. Und so gibt es auf diese Frage sehr viele Antwortversuche:
Antwortversuche
Martin Luther denkt in dem Zusammenhang an einen „Deus absconditus“, einen „verborgenen Gott“: Gott wird für uns Menschen niemals in all seiner Komplexität verstanden werden können; es wird immer Bereiche seines Handelns in der Welt geben, die uns sinnlos erscheinen. Oder wie Karl Barth es ausdrückt: „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.“
Und dann fällt mein Blick neulich Abend auf den Himmel neben der Kirchturmspitze, und ich erkenne in der Wolkenformation ein Kreuz über den dunklen Bäumen …
In diesem Moment ist das für mich ein Fingerzeig, dass Gott ganz nahe bei mir ist. Und ich spüre der eigenen Begrenztheit nach und ein paar Zeilen von Robert Gernhardt kommen mir in den Sinn und bringen mich zum Schmunzeln:
Ich sprach nachts: Es werde Licht!
Aber heller wurd‘ es nicht
Ich sprach: Wasser werde Wein!
Doch das Wasser ließ dies sein.
Ich sprach: Lahmer, Du kannst gehen!
Doch er blieb auf Krücken stehn.
Da ward auch dem Dümmsten klar,
dass ich nicht der Heiland war.¹
Mit einem Lachen über mein eigenes Unvermögen ist allerdings die Theodizee-Frage nicht geklärt. Obwohl Lachen echt im Leben hilft, reicht es mir bei dieser Frage einfach nicht.
Eine eigene Antwort finden
Meine Antwort darauf habe ich für mich gefunden, aber jeder hat hier das typisch evangelische Recht (und die Pflicht) selbst zu denken und seinen eigenen Weg im Glauben zu finden. Bei den folgenden Zeilen merke ich, wie schwer es mir fällt, mich dazu möglichst kurz und trotzdem stimmig auszudrücken, also sehen Sie mir bitte die Engführung meiner Antwort(en) nach.
Ich gehe diese Frage von der sogenannten „Mitte der Schrift“ her an, also „Was ist das Wichtigste in der Bibel, wovon aus ich alle Bibelstellen beleuchte?“. Und das ist für mich das Wirken des Heilands Jesus Christus. Ich habe seine Geschichten mit den Menschen im Herzen, spüre seiner Art nach, jeden Menschen als Gottes Kind in seiner Würde und Menschlichkeit ernst zu nehmen und ihn einen Schritt zu begleiten.
Da kann ich nicht glauben, dass Christus die Erscheinungsweise eines Gottes ist, der seinen Menschen einen Virus als Strafe oder als Prüfung schickt. Auch wenn ich natürlich um die alttestamentlichen Geschichten weiß – sie aber von Christus und seiner unvorstellbaren Menschenliebe her denke. Dieser Christus, der auf dem Weg zum Kreuz und am Kreuz gelitten hat, sich gottverlassen gefühlt hat, dieser Christus zeigt eine Ohnmacht, in der eine paradoxe Allmacht liegt.
Christus hat seinen Leidensweg nicht verhindert. Er hat in seiner Zeit auf Erden auch nicht alle Menschen auf der ganzen Welt geheilt. Er hat nicht mit einem Fingerschnippen das Paradies einfach für alle neu geschaffen.
Christus ermutigt und zeigt neue Wege auf
Christus ist mit den Menschen seiner Zeit gegangen. Er hat sich ihrer Sorgen angenommen und ihnen Wege gezeigt, oft wunderbare. Er hat neue Wege eröffnet für ihr eigenes Leben inmitten der Welt, in der sie leben. Christus hat Mut gemacht und den Menschen nicht einfach die Lösung aufs Butterbrot geschmiert: bei den Emmaus-Jüngern ist er z.B. einen Tag lang mitgegangen, hat ihnen die Schrift erklärt, hat ihnen Wege gezeigt zu verstehen und hat sich erst am Ende eines langen Weges und langen Tages als der Auferstandene zu erkennen gegeben. Und damit aber auch den Weg über diese Welt hinaus gewiesen, zur Herrlichkeit in Gottes Ewigkeit.
Das ist für mich meine Antwort, mit der ich leben und glauben kann: Christus begleitet mich durch diese Welt. Er zeigt mir Wege, wie ich mein Leben leben kann, im Weinen und im Lachen, im „Zutiefst-von-den-Ungerechtigkeiten-verbittert-sein“ und im „Voll-Hoffnung-Neues-ausprobierend“. Und ich traue ihm die Allmacht zu, mich bis in Gottes Ewigkeit zu geleiten.
Und woher nun genau das Böse in der Welt kommt? Ich weiß es nicht. Für mein Leben, Lieben und Glauben reicht mir, dass ich nicht allein bin und dass das Böse nicht das letzte Wort haben wird.
Ich bete darum, dass jeder seine Antwort auf die Theodizee-Frage findet, mit der er leben, lieben und glauben kann! Und am besten wäre es, wenn jeder auch noch ein wenig Lust zum Lachen findet – aus Freude daran – und an der Sonne, der Wärme und dem wunderbar wachsenden Grün der Bäume, Wiesen, Felder und Blumen!
Pfarrerin Sonja von Aschen
Quelle: Gemeindebrief Frühling/Sommer 2021 der evang.-luth. Kirchengemeinden Untermerzbach/Memmelsdorf, In: Pfarrbriefservice.de
¹ R. Gernhard, Gedichte 1954–1997, Zürich 1999, 52f.
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Text: Pfarrerin Sonja von AschenIn: Pfarrbriefservice.de