„Ich sehe mich und meinen Sohn als Familie, nämlich als Ein-Eltern-Familie“
Ein Interview mit Christina Küchle, die seit der Geburt ihres Sohnes alleine für ihn verantwortlich ist
Christina Küchle ist Referentin für Alleinerziehende im Bistum Freiburg und kennt das Thema aus eigener Erfahrung. Seit der Geburt ihres Sohnes vor elf Jahren ist sie alleine für ihn verantwortlich. Ein Gespräch mit ihr über die Herausforderungen und ihre Wünsche als Alleinerziehende.
Frau Küchle, Sie sagen von sich selbst, nicht repräsentativ als Alleinerziehende zu sein. Welche Lebensumstände sind denn repräsentativ?
Christina Küchle: Die größte Gruppe bilden Frauen, die älter sind als 35 Jahre und die eine längere Beziehung hinter sich haben oder verheiratet waren. Das Klischee von den jungen ledigen Alleinerziehenden stimmt so nicht. Nur vier Prozent der Alleinerziehenden sind jünger als 25 Jahre. Außerdem habe ich das Glück, einer Arbeit nachzugehen, bei der ich die Arbeitszeit relativ flexibel einteilen kann und von meinem Gehalt gut leben kann. Dieses Glück haben viele Alleinerziehende nicht.
Mit welchen Klischees werden Sie konfrontiert?
Christina Küchle: Alleinerziehende werden oftmals nicht als vollwertige Familie gesehen. Bei meiner Wohnungssuche habe ich zum Beispiel gesagt bekommen, man hätte gerne eine richtige Familie. Da dachte ich mir: Eigentlich sehe ich mich und meinen Sohn als Familie, nämlich als Ein-Eltern-Familie. Im kirchlichen Bereich, wenn an Alleinerziehende gedacht wird, geschieht das oft aus einer Mitleidsperspektive auf die ‚armen Alleinerziehenden, die verlassen wurden und versagt haben, die große Probleme haben, wo es die Kinder ganz schwer haben‘. Das gibt es natürlich. Aber Alleinerziehende sind vor allem auch sehr starke Frauen, die ihr Leben trotz aller widrigen Umstände im Griff haben, die für sich und ihre Kinder kämpfen, ihre Bedürfnisse oft hintenan stellen, die sehr handlungsstark sind und viel koordinieren müssen und können. Ich finde, Alleinerziehende werden oft in eine passive Opferrolle hineingedrängt. Viele haben auch Probleme, Arbeitsstellen zu finden, weil sie in ihrer familiären Situation als unzuverlässig und unflexibel gedacht werden.
Was sind die Herausforderungen für Alleinerziehende?
Christina Küchle: Alles, was eine Paar-Familie leistet, müssen Alleinerziehende alleine schultern. Sie müssen Geld verdienen, sich dabei aber auch um die Kinder kümmern, den Haushalt erledigen und was alles noch so dazu gehört.
Was bedeutet es für Sie, alleinerziehend zu sein?
Christina Küchle: Dass ich die Hauptbezugsperson für mein Kind bin, die einzige Verantwortliche und fast alle Entscheidungen alleine treffe. Ich habe niemanden in meinem unmittelbaren Umfeld für eine Rücksprache oder der mal einspringen könnte, wenn ich krank bin. Einmal hatte ich mir das Bein gebrochen, als mein Kind noch klein war. Da brach dieses ganze fragile System aus Kinderbetreuung und Arbeit sofort zusammen, weil ich mein Kind auch nicht mehr zum Kindergarten bringen konnte. Im Endeffekt haben uns dann meine Eltern, die 500 Kilometer entfernt wohnten, abgeholt, weil ich gemerkt habe: Es geht so überhaupt nicht mehr. Als Alleinerziehende bastelt man sich sein Leben so hin, dass alles aufeinander abgestimmt ist. Das funktioniert im Normalbetrieb, alles ist eng getaktet. Tritt eine Störung auf, sei es dass der Kindergarten wegen eines pädagogischen Tages schließt oder in Corona-Zeiten der Unterricht ausfällt, bricht dieses ganze Gebilde zusammen und man muss neu organisieren.
Das heißt also, in diesem Jonglieren von verschiedenen Aufgaben und diesem Allein-Zuständig-Sein läuft man ständig am Limit.
Christina Küchle: Mein Sohn ist inzwischen elf. Dadurch ist vieles einfacher, weil er auch mal alleine zuhause sein kann. Ich weiß, er macht das gut. Gerade eben hat er angerufen, dass er früher aus der Schule heimgekommen ist. Als er noch kleiner war, hätte das meinen ganzen Tag durcheinander gebracht. Wobei ich auch beobachte, dass mein Kind im Vergleich zu Kindern in Paarfamilien stärker gefordert ist, selbstständig zu sein.
Welche Reaktionen der Gesellschaft nehmen Sie wahr, wenn Sie sagen, dass Sie alleinerziehend sind?
Christina Küchle: Sehr unterschiedlich. Im Kindergarten zum Beispiel hatte ich den Eindruck, man wird schnell in eine Schublade gesteckt und man bekommt das Gefühl, beweisen zu müssen, dass man trotzdem eine gute Familie ist und die Kinder nicht zu kurz kommen. Es wird auch erwartet, dass man genauso flexibel ist wie Paarfamilien, beim Elternabend zum Beispiel oder bei Arbeitseinsätzen. Da habe ich überhaupt kein Verständnis für meine Situation erlebt. Was mir auch auffällt: Familienkarten, zum Beispiel für den Zoo oder fürs Schwimmbad, sind immer für Paarfamilien ausgelegt. Als Alleinerziehende profitiert man davon nicht. Zum Glück ändert sich das in jüngster Zeit. Oder Kinderbücher: Viele beschreiben das klassische Modell Vater-Mutter-Kind. Wenn Ein-Eltern-Familien vorkommen, dann wird das oft problematisiert, was ja auch seine Berechtigung hat. Genauso wichtig wäre aber, das Leben in Ein-Eltern-Familien als etwas Selbstverständliches und Gelingendes darzustellen, weil es das eben auch gibt. Erst vor kurzem haben mir Teilnehmerinnen eines Seminars für Alleinerziehende mitgeteilt, wie entlastend es für ihre Kinder war, lauter Ein-Eltern-Familien zu erleben und nicht die einzigen zu sein.
Was wünschen Sie sich als Alleinerziehende?
Christina Küchle: Gute Politik für Alleinerziehende muss Rahmenbedingungen schaffen, die es ermöglichen, die eigene Existenz auch wirklich zu sichern: durch tatsächlich bedarfsdeckende Kinderbetreuung mit Öffnungszeiten in Rand- und Ferienzeiten und einem ausreichenden Personalschlüssel, durch eine familienfreundliche und geschlechtergerechte Arbeitswelt und durch bezahlbaren Wohnraum. Wir brauchen unkomplizierte Unterstützungsmöglichkeiten, etwa durch Haushaltshilfen oder spontane Notbetreuung. Es darf nicht sein, dass Kinder in Armut leben. Es braucht eine Kindergrundsicherung, die den Namen verdient. Das würde auch ganz viel Druck und Stress von Alleinerziehenden nehmen.
Interview: Elfriede Klauer, In: Pfarrbriefservice.de
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Dateigröße: 0,02 MB
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Text: Elfriede KlauerIn: Pfarrbriefservice.de