Innovativ und provokativ

Neuaufbrüche der Orden in Deutschland (1)

Um 6.30 Uhr verlässt Schwester Thekla Schönfeld das Mietshaus in der Heesestraße im Berliner Stadtteil Marzahn-Hellersdorf. Die Sonderpädagogin fährt in die Sankt-Hildegard-Schule, um Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen und spezifischem Förderbedarf zu unterrichten. Die Ordensfrau der Missionsärztlichen Schwestern arbeitete schon vor ihrem Eintritt im Jahr 2008 in dem katholischen Förderzentrum. In ihrem beruflichen Leben habe sich äußerlich nur wenig verändert, zeigt sich Schwester Thekla zufrieden. „Ich habe nach einer Gemeinschaft gesucht, in der ich das leben kann, was ich bin. Ich wollte nicht komplett anders werden müssen. Mein Eintritt sollte kein Schnitt in meinem Leben, sondern eine Weiterführung sein“, meint die 39-Jährige.

Das Ordensleben in Deutschland befindet sich im Umbruch. 54 Prozent, 2.438 der insgesamt 4.532 Ordensmänner, waren laut Statistik der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) Ende des Jahres 2013 über 65. Unter den Ordensfrauen waren es gar 84 Prozent, 15.378 von insgesamt 18.303 Schwestern. Konsequent schlossen die Orden in den vergangenen Jahren zahlreiche Standorte, fusionierten Provinzen, richteten Pflegestationen in ihren Klöstern ein, überführten ordenseigene Werke in unabhängige Stiftungen oder übergaben sie an Diözesen oder andere kirchliche Träger. Einige Gemeinschaften bereiten sich mittlerweile auf das Ende ihrer Präsenz in Deutschland vor.

Ordensleute als „burning persons“

Mit dem von Papst Franziskus ausgerufenen „Jahr der Orden“, das am ersten Advent 2014 begann, rücken Neuaufbrüche in den Blick. 4.400 Ordensleute sind momentan unter 65. Sie stellen sich der Frage, wie Ordensleben in einer modernen Gesellschaft aussehen kann. Der Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz, Abt Hermann-Josef Kugler (O.Praem.), bezeichnet Ordensleute von heute als „burning persons“. Sie können, so ist er sich sicher, eine neue religiöse Dynamik entfachen: in kleinen Konventen mitten unter den Menschen, nah bei jenen, die am Rand von Kirche und Gesellschaft stehen, stets innovativ und provokativ, was ihr Engagement in der Welt betrifft.

Sehnsucht nach spiritueller Gemeinschaft

Erst jüngst, am 11. Juli 2013 erhob Münchens Erzbischof Reinhard Kardinal Marx das Benediktinerinnenkloster Venio zur selbständigen Abtei. Nicht fern der Stadt in Stille und Abgeschiedenheit suchen die Schwestern nach Gott, sondern mitten in München. Die benediktinische Gemeinschaft gibt dem monastischen Leben ein modernes Gepräge. Statt sich hinter Klostermauern der Hostienbäckerei oder der Verzierung von Wachskerzen zu widmen, stehen die Frauen der Abtei Venio im beruflichen Alltag der Stadt als Ärztin, Krankenschwester, Lehrerin, Professorin, Restauratorin. Zwei Schwestern promovieren in Pädagogik und Theologie.

Die Frauen, die heute an die Tür der Abtei Venio klopften, suchten ein intensives geistliches Leben, das sie innerhalb einer geistlichen Gemeinschaft praktizieren können, meint Äbtissin Carmen Tatschmurat. „Es kommen Frauen, die mehr wollen als ,nur‘ in einer Pfarrei mitwirken. Sie wollen radikal ihr ganzes Leben auf eine Karte, auf Gott setzen“, erläutert die Professorin für Soziologie. Die Kandidatinnen kämen heute nicht wie vor einigen Jahrzehnten aus kinderreichen, gut katholischen Familien, sondern aus modernen Ein-Kind-Familien, die der Kirche nicht immer unbedingt nahe stehen. „Diese Frauen haben einen ungleich schwereren Weg als früher, ihrer Ordensberufung zu folgen, da Konflikte mit Herkunftsfamilie und Freundeskreis vorprogrammiert sind.“ Das Eintrittsalter liegt heute in der Regel bei Ende 20 oder älter. Sie bringen eine fertige Ausbildung oder ein Studium mit, stehen fest im Beruf und hatten eventuell auch schon eine Beziehung.

Alfred Herrmann
Quelle: www.orden.de, In: Pfarrbriefservice.de

Hinweis: Bildmaterial für die Reportage finden Sie unter dem Reiter "Bilder".  

Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für Juli 2015

Vor dem Herunterladen:

Datei-Info:
Dateiformat: .doc
Dateigröße: 0,03 MB

Sie dürfen den Text NICHT in sozialen Medien nutzen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, etc.)

Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen

Text: Alfred Herrmann
In: Pfarrbriefservice.de