„Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott“
Eine Buchrezension von Markus Tomberg
Ein ungewöhnliches Buch: Im Auftrag des verstorbenen Opas erzählt und schreibt ein Vater für seine Tochter ein Lehrbuch des Islam. Jeden Morgen hält er fest, was er am letzten Abend mit ihr besprochen hat oder am kommenden Abend mit ihr besprechen will. Bis zum Mittagessen hat er Zeit dafür.
Und so entsteht ein Dialog, in dem die Adressatin, die keinen Namen trägt, jede Menge Einwände und Fragen formuliert: Ist naturwissenschaftliche Erkenntnis nicht viel sicherer als religiöse? Warum braucht es Religionen und Offenbarungen, wenn es doch Verstand und Vernunft gibt? Und warum gleich so viele verschiedene? Haben alte Religionen zu aktuellen Menschheitsfragen, zu „Fridays for Future“ etwa oder zu einem Atomkrieg, überhaupt etwas zu sagen?
Kermani gelingt es, von Religion zu erzählen, ohne den Alltag und seine Fragen zu vergessen. Der Islam ist wichtig, schreibt er einmal, aber Nudeln mit Tomatensoße sind es auch. Die Tochter will schließlich essen, wenn sie aus der Schule nach Hause kommt. Und nicht jeden Tag reicht ihr das Butterbrot an Stelle des warmen Essens, das es immer dann gibt, wenn der Vater sich nicht rechtzeitig von seiner Manuskriptarbeit gelöst hat.
Und so erfahren die Leser nebenbei noch die eine oder andere Geschichte: Über Norbert, den blöden Nachbarn, seinen Beagle und dessen Hüppel, seine Hundehaufen vor dem Haus. Über die katholische Religionslehrerin und die Frage, ob auch Jesus in Hundehüppel getreten ist. Oder über einen Verkehrsunfall. Oder, oder, oder…
Dabei sind Alltag und Religion in dieser Erzählung voller Nachdenklichkeiten. Führen Religionen zum Frieden? Wer ist Gott für uns? Was trennt, was eint die Religionen? Was essen wir heute Mittag? Was ist Islam? Wer ist Jesus?
Seinen eigenwilligen Titel hat das Buch übrigens aus einer persischen Geschichte, die sich im Nachlass des Opas gefunden hat. Sie spielt im 11. Jahrhundert: Zur Predigt Abu Saíds waren sehr viele Menschen gekommen, und die Moschee war bis auf den letzten Platz gefüllt. Um noch Platz zu schaffen, bat der Platzanweiser: „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.“ Abu Saíd schloss daraufhin die Versammlung und ging fort. Eine bessere Predigt, als die des Platzanweisers konnte es nicht geben.
Ein ungewöhnliches, nachdenklich machendes, informatives, kurz: ein sehr lesenswertes Buch über Religion und Religionen, über Islam, Christen- und Judentum, über Philosophie und Naturwissenschaft und über Alltagsszenen.
Bibliografische Daten
Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott
Navid Kermani
Hanser
Erscheinungsjahr: 2022
ISBN 978-3-446-27144-9
EUR 22,00 [D]
Markus Tomberg, In: Pfarrbriefservice.de
Datei-Info:
Dateiformat: .rtf
Dateigröße: 0,05 MB
Sie dürfen diesen Text für alle nichtkommerziellen Zwecke der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit (z.B. Pfarr-/Gemeindebrief, Plakat, Flyer, Website) sowie für Unterrichtszwecke* nutzen. Die Nutzung ist in dem beschriebenen Rahmen honorarfrei. Sie verpflichten sich den Namen des Autors/-in, als Quelle Pfarrbriefservice.de und ggf. weitere Angaben zu nennen.
*) Ausführliche Infos zu unseren Nutzungsbedingungen finden Sie hier.
Wir freuen uns über die Zusendung eines Belegs an die Redaktionsanschrift.
Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen
Text: Markus TombergIn: Pfarrbriefservice.de