„Kleidertauschpartys sind die Art und Weise, wie Konsum heutzutage gedacht werden muss.“
Ein Interview mit Veronika Pfeiffer
Kleidertauschpartys: Die veranstaltet Veronika Pfeifer gemeinsam mit ihrer Mitbewohnerin in ihrer WG. Eine im Frühling, eine im Herbst. Seit sechs Jahren. Ein Gespräch mit ihr über die Philosophie des Tauschens, ihr Küchencafé und Veränderungen im Kopf.
Apps, Flohmärkte, Second-Hand-Läden, Kleidertauschpartys. Gebrauchte Kleidung weiterverkaufen, tauschen oder verschenken. Schon ein bisschen öko oder?
Veronika Pfeifer: Nein, die Menschen müssen registrieren, dass die Kleider, die zu einer Kleidertauschparty kommen, hochwertig sind. Es sind Dinge, die nicht mehr angezogen werden, weil sie der Besitzerin zum Beispiel nicht mehr gefallen. Nicht, weil sie nicht mehr tragbar sind.
Du organisierst seit sechs Jahren Kleidertauschpartys in deiner WG. Wie funktioniert so eine Veranstaltung? Gehen die Besucher aufeinander zu und sagen: Mir gefällt der Pulli, den du anhast! Dann ziehen beide ihre Pullis aus und tauschen sie.
Nein, jeder bringt Klamotten mit und wir sortieren sie nach Räumen. In meinem Fall ist das eine Dreizimmerwohnung. In einem Raum werden ausschließlich Oberteile und Jacken getauscht. Im anderen der Rest. Hosen, Schuhe, Schals oder im Winter gerne Mützen und Ähnliches.
Und die Klamotten legt ihr schön zusammen und hängt sie auf einen Bügel?
Nö, für uns geht der Reiz verloren, wenn die Klamotten gefaltet auf einem Tisch thronen. Bei uns liegen sie auf einem Haufen auf dem Boden. Die Leute sitzen im Kreis darum herum, gucken sich alles an, beraten sich gegenseitig und jeder nimmt sich, was er möchte.
Komplett kostenlos? Ohne etwas zu bezahlen?
Ja, die Leute kommen hier her und freuen sich darüber, kostenlos neue Klamotten zu bekommen. Manche kommen mit einem neuen Kleiderschrank nach Hause und haben nichts dafür bezahlt.
Warum tauschen und nicht verkaufen?
Ich möchte, dass das Prinzip als solches unabhängig vom Geld möglich ist. Wenn du Kleidung verkaufst, dann musst du zur Post, dein Päckchen aufgeben oder zum Secondhand-Laden und dort klassisch einkaufen. Das widerspricht dem Prinzip möglichst ressourcenschonend an neue Kleidung zu kommen. Da ist die Hemmschwelle beim Tauschen unschlagbar.
Und: Kaufen ist anonym, Tauschen persönlich. Bei der Kleidertauschparty sehen die Leute, wer ihren Kleidern ein zweites Leben schenkt.
Die meisten sind froh, wenn sie wissen, dass ihre Klamotten in gute Hände kommen. Sie können ein Kleidungsstück, das ihnen sehr am Herzen lag, guten Gewissens hergeben, weil sie es an jemand anderen sehen und sich denken „Mensch sieht das schön an dir aus! Ja, dir gebe ich es gerne.“ Das ist schön.
Das Tauschen macht es möglich, komplett neue Kleidungsstile auszuprobieren.
Ja, bei der Kleidertauschparty kann man auch mal was ganz Anderes anziehen, was man sonst nie anziehen würde. Oder man nimmt Sachen mit, bei denen man sich nicht sicher ist. Und, wenn man sie nicht angezogen hat, bringt man sie zur nächsten Tauschparty wieder mit.
Dir ist es wichtig aus der Kleidertauschparty ein Event zu machen. Zu essen, zu quatschen, zu lachen.
Ja, uns war es von Anfang an wichtig, dass wir daraus eine Party machen und dass es Verpflegung gibt. Die Leute können nicht zwei Stunden am Stück durchtauschen. Da sind sie k.o. und das mag auch keiner. Es ist schön, wenn es immer wieder Pausen gibt, in denen man ratscht und isst.
Woher bekommt ihr das Essen?
Jeder bringt eine Kleinigkeit mit. Ich koche zum Beispiel eine Suppe oder einen Eintopf. Das wird alles in die Küche gestellt und jeder bedient sich.
Die Küche verwandelt sich in Café.
Ich habe zum Beispiel eine Freundin, die mag es nicht, getragene Sachen zu kaufen. Aber sie kommt wegen der Veranstaltung zu uns und wegen der Menschen. Weil sie die Geselligkeit so mag. Sie bringt immer einen Kuchen mit, setzt sich in die Küche und unterhält sich mit den Leuten.
Sind eure Kleidertauschpartys öffentlich?
Nein! Öffentlich laden wir nie ein. Es soll keine Facebook-Veranstaltung werden, bei der dann 1000 Leute vor der Türe stehen. (lacht)
Nicht? (lacht)
(lacht) Nein, ich lade ganz klassisch über Mail die Frauen ein, mit denen ich befreundet bin. Aber jede Freundin kann Bekannte oder Familienmitglieder mitbringen. Gerne auch Kinder. Dieses Mal waren drei Generationen da.
Drei Generationen? Passen die alle in deine WG?
Im Regelfall kommen 20-30 Frauen in einem Zeitraum von 16 Uhr bis 22 oder 23 Uhr. Entweder trudeln sie der Reihe nach ein oder alle kommen auf einmal. (lacht) Ich glaube maximal hatten wir 30 Frauen auf einmal hier. Aber das ist extrem stressig und reizüberflutend, wenn jeder seinen Koffer mitbringt.
Ein Koffer pro Person macht 30 Koffer Kleidung pro Kleidertauschparty!
Es ist nicht dramatisch, wenn viel übrig ist, weil wir die Sachen spenden. Wir bieten das an, damit die Kleider, die beim Kleidertausch eingegangen sind, noch einen Abnehmer finden. Ich bringe die Kleider mit dem Lastenrad meistens zum Caritasladen. Wir haben auch an die Flüchtlingshilfe gespendet oder an ein Frauenhaus.
Laut Greenpeace wurden 2014 mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke produziert. Damit habe sich die Bekleidungsproduktion vom Jahr 2000 – 2014 verdoppelt. Es gibt genügend neue Kleidung. Die Menschen müssen keine gebrauchte tauschen.
Es ist aber aus meiner Sicht die Art und Weise, wie Konsum heutzutage gedacht werden muss. Wir verbrauchen so viele Ressourcen, drei Erdkugeln im Jahr. Wir haben aber nur eine. Das ist auf Dauer kein tragbares System. Für niemanden, der daran teilnimmt. Kleidung ist ein Bereich, in dem man unglaublich ressourcenschonend sein kann.
Kannst du von den zwei Kleidertauschpartys im Jahr leben?
Das ein oder andere Teil kaufe ich mir. Basics wie Strumpfhosen zum Beispiel, aber Hosen oder Oberteile habe ich mir lange nicht mehr gekauft. Ich habe eine Freundin, die kauft sich nichts mehr. Es ist möglich, mit zwei Kleidertauschpartys durchs Leben kommen.
Trotzdem: Ein paar wenige, die Klamotten tauschen, werden die Welt nicht retten.
Ich erhoffe mir, dass den Leuten klar wird, wie viele Dinge sie zu Hause haben, die sie selber nicht mehr brauchen. Und wie leicht man Dinge weiter nutzen kann, die vermeintlich nicht mehr genutzt werden können. Für mich ist das Relevante, dass bei den Leuten im Kopf etwas passiert. Denn diese Veränderung ist auf andere Konsumbereiche übertragbar.
Findet dieses Umdenken bei den Menschen statt?
Bei den Kleidertauschpartys sind immer wieder Menschen dabei, die sehr konsumorientiert wirken. Oder Leute, die noch nie da waren, sich noch nie Gedanken gemacht haben und nur mitgekommen sind, weil eine Freundin hergekommen ist. Ganz oft bekommen wir die Rückmeldung, dass sie die Sache super gut finden. So eine simple Idee, die leicht umzusetzen ist und mit der man etwas erreicht.
Freust du dich darüber?
Voll. Das ist einer mehr, der in diese Richtung denkt. Keiner von uns ist mit einem Bewusstsein für Nachhaltigkeit auf die Welt gekommen. Oft sind es Initialzündungen, die es braucht. Erlebnisse. Bei uns allen hat es mit sowas angefangen.
Nüchtern betrachtet geht es den meisten bestimmt nur ums Geldsparen.
Ja, ich denke das Geld ist der Weg, über den es bei vielen geht.
Schade.
Naja, es ist das Individualistische dabei. Die Leute merken, dass sie plötzlich 50 Euro mehr haben, weil sie bei einer Kleidertauschparty eine Hose gefunden haben. Sie stellen fest: „Oh, ich habe ganz schön Geld gespart.“ Und dann bewegt sich etwas. Es wird ein Prozess angestoßen.
Hat es auch bei dir einen Prozess in Gang gesetzt? Hat sich dein Bezug zur Kleiderindustrie verändert, seit du die Kleidertauschpartys organisierst?
Nein, dieses Bewusstsein war bei mir da, bevor ich Kleidertauschpartys veranstaltet habe. Meine Motivation war: Ich muss etwas in die Hand nehmen und etwas ändern, weil man doch um all die Probleme weiß.
Bei einer Umfrage von Statista aus dem Jahr 2018 wurde danach gefragt, was die Deutschen persönlich unternehmen, um Nachhaltigkeit zu fördern und nachhaltiger zu leben. Rund 68 Prozent gaben an, bewusster einzukaufen und zu konsumieren. Findet ein Umdenken bei den Menschen statt? Oder ist es momentan trendy, nachhaltig zu sein?
Gesamtgesellschaftlich betrachtet habe ich den Eindruck, dass es glücklicherweise ein größeres Thema ist. Dass es viele Veranstaltungen, viele Initiativen gibt, die in diese Richtung denken.
Sollte sich die Kirche engagieren?
Ja. Aus meiner Sicht ist die Kirche in der Pflicht. Sie ist eine Institution und besitzt sehr viel Macht, um so etwas machen zu können. Sie hat andere Möglichkeiten, zum Beispiel Räumlichkeiten. Und, wenn man sich Papst Franziskus anschaut, sind das auch Themen, die für ihn essentiell sind. Aber …
Aber …
Aber, ich finde, jeder sollte sich engagieren. Nachhaltigkeit sollte altersunabhängig und schichtenunabhängig immer ein Thema sein.
von Ronja Goj, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Ronja GojIn: Pfarrbriefservice.de