Offen und ehrlich

Eine Freundin schickt mir ein Foto vom Super-Zeugnis ihrer Tochter. Ich spüre einen kleinen Stich im Herzen. Ich denke an Hausaufgaben-Diskussionen, Lerntherapie und anstrengende Elternsprechtage. Warum läuft es bei ihren Kindern so spielend leicht mit der Schule? Was habe ich falsch gemacht? Ich tippe ein halbherziges „Herzlichen Glückwunsch“ ins Handy und fühle mich schlecht. Ich möchte es doch anderen von Herzen gönnen, dass ihre Kinder gute Noten schreiben, dass sie sich tollere Urlaube leisten können und dass sie ihren Haushalt besser im Griff haben. Stattdessen schleicht sich manchmal der Neid ungebeten ein und findet zielsicher einen wunden Punkt in mir.

Wenn mir das bewusst wird, frage ich mich, was dahintersteckt. Geht es hier tatsächlich um Schulnoten? Eigentlich wünsche ich mir, dass meine Kinder ihren Wert nicht von Bewertungen abhängig machen und ihre Begabungen entfalten können. Ich lege Gott die Punkte hin, an denen ich mich unsicher und verletzt fühle. Eine meiner liebsten Bibelgeschichten ist die von der Heimkehr des verlorenen Sohnes. Sie erzählt am Ende auch vom Neid des Bruders, der sich zurückgesetzt fühlt. Gottes Liebe ist für beide Brüder gleichermaßen da. Ich muss mich auch nicht selbst verurteilen für meine Neidgefühle. Meinen Mangel auszusprechen und ihn Gott zu überlassen, ist eine heilsame Herausforderung. Bei kleinen Dingen fällt es leichter, den Entschluss zu fassen, sich mit anderen mitzufreuen.

Manchmal bleibt trotzdem eine Traurigkeit, weil mir etwas fehlt. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, offen mit diesen Themen umzugehen. Manchmal helfen eher Gespräche mit einer dritten Person. Zu meiner Freundin kann ich aber ehrlich sein und schreibe ihr, dass das Thema „Schule“ für mich gerade anstrengend ist. So kann sie auch Anteil nehmen an meinem Leben.

Martha Jäger
Quelle: FamilyNEXT 4/22, www.family.de, In: Pfarrbriefservice.de