„Vertrauen in den Sinn dieses Weges, den wir Menschen hier auf der Erde gehen“

Interview mit Christian Jostmann, dem Autor des Buches „Nach Rom zu Fuß“

Mit dem Flugzeug wäre er in weniger als zwei Stunden am Ziel gewesen, zu Fuß benötigte Christian Jostmann zwei Monate für seine Reise von München nach Rom. Unterwegs hat der erfahrene Pilger und Historiker so viel erlebt, dass er anschließend darüber ein Buch geschrieben hat. Darin berichtet Jostmann u.a. von den Herausforderungen, historische und wenig begangene Pilgerwege nachzuwandern, von den unterschiedlichen Begegnungen mit Weggefährten, von der Gastfreundschaft, und davon, wie er die Einsamkeit erlebte.

 

Herr Jostmann, bevor Sie sich zu Fuß auf den Weg nach Rom machten, hatten Sie schon einige Erfahrungen als Pilger auf dem Jakobusweg gesammelt. Gab es für Ihre Pilgerreise in die ewige Stadt einen konkreten Anlass?

Im September 2000 sind meine Frau und ich mit einem Freund den spanischen Jakobsweg von Roncesvalles nach Santiago gegangen, vier Wochen unterwegs – und danach noch drei Tage weiter bis zum Kap Fisterra. Diese letzten drei Tage Gehen auf einem – damals – wenig begangenen Weg haben in mir den Wunsch geweckt, das Pilgern bei nächster Gelegenheit fortzusetzen. Diese bot sich im Sommer 2004, und so bin ich am 1. August jenes Jahres von München aus nach Rom aufgebrochen.

Inwiefern spielten religiöse Motive eine Rolle für Ihre Entscheidung?

Religiöse Motive im traditionellen Sinn, also der Glaube an Heil, das von Reliquien ausgeht, an Ablass von Sünden oder ähnliches, haben für mich keine Rolle gespielt. Aber wenn man Religion im Wortsinn begreift, als „Zurückbindung“ an das Unendliche, aus dem wir hervorgegangen sind und in das wir wieder eingehen werden am Ende unseres Lebensweges, dann schon. Pilgern ist ein Weg der Rückbindung.

Die sehr alte Tradition des Pilgerns war auf dem europäischen Kontinent nach den großen Weltkriegen lange in Vergessenheit geraten. Nun erlebt diese bereits seit einigen Jahren eine kleine Renaissance. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür, dass sich heute so viele Menschen wieder pilgernd auf den Weg machen?

So „klein“ ist diese Renaissance gar nicht. Nach Santiago de Compostela machen sich jedes Jahr hunderttausende Pilger auf den Weg, und das schon seit zwei Jahrzehnten! Und ein Abflauen des Stroms ist nicht abzusehen …Der Mensch ist ja immer schon ein Wanderer gewesen. Sesshaftigkeit ist, menschheitsgeschichtlich gesehen, ein recht junges Phänomen. Unterwegs zu sein tut gut – das spüren die Menschen, das spricht sich herum. Die Pilgerei profitiert von dieser Wiederentdeckung.

Auf Ihrer Pilgerreise sind Sie unterschiedlichen Menschen begegnet. Mit einigen von ihnen haben Sie ein Stück des Weges geteilt. Inwiefern würden Sie diese Begegnungen als wesentliche Erfahrung des Pilgerns bezeichnen?

Für mich ist die Begegnung – mit sich selbst, mit dem Anderen, mit der Natur, mit Gott … – die Kernerfahrung des Pilgerns, also das, worum es eigentlich geht. Als Pilger unterwegs zu sein öffnet die Sinne, öffnet den Geist und ermöglicht neue Begegnungen.

Über große Wegstrecken waren Sie alleine, ohne Begleitung. Wie haben Sie die Einsamkeit erlebt und wie sind Sie damit umgegangen?

Wochenlang allein zu gehen war für mich eine große Herausforderung, an der ich fast gescheitert wäre. Aber es ist gut und vielleicht sogar notwendig, in die Einsamkeit zu gehen, weil sie den Weg bereitet für echte Begegnungen.

In Ihrem Buch beschreiben Sie eindrucksvoll ein spirituelles Erlebnis, das Ihnen während Ihrer Reise zuteil wurde. Wie war das für Sie?

Ich ahne, welches Erlebnis Sie meinen: eine Art Rausch, den ich nach fünfzig Tagen Gehen verspürte. In der Tat eine eindrucksvolle Erfahrung, die ich aber nicht „spirituell“ nennen würde. Jeder, der über längere Zeit Ausdauersport, Yoga oder ähnliches treibt, macht wohl ähnliche Erfahrungen. Das eigentliche spirituelle Ereignis dieser Reise war für mich die Begegnung mit Guido, dem Bauern aus der Emilia Romagna, der seinen Sohn verloren hatte und mich, den einsamen Pilger, bei sich aufnahm. Da ist mir einiges klar geworden, wie einst den beiden Jüngern in Emmaus!

Würden Sie heute sagen, Ihr Glaube hat durch das Pilgern an Tiefe gewonnen?

Wenn Sie unter Glaube das Vertrauen in den Sinn dieses Weges verstehen, den wir Menschen hier auf der Erde gehen, ein Gefühl der Geborgenheit des Unbehausten, dann würde ich sagen: ja!

Die Fragen stellte Christian Schmitt, pfarrbriefservice.de

Christian Jostmann, geboren 1971, ist Historiker. Er schreibt für verschiedene Zeitungen in Deutschland und Österreich.

Das Buch „Nach Rom zu Fuß“ von Christian Jostmann ist 2007 als gebundene Ausgabe im Verlag C.H. Beck erschienen. Die Taschenbuchausgabe ist im Buchhandel erhältlich. Weitere Informationen finden Sie unter www.nach-rom-zu-fuss.de.

Christian Jostmann: Nach Rom zu Fuß - Geschichte einer Pilgerreise
1. Auflage, Juni 2010, 224 Seiten
Euro: 9,90 [D] 10,20 [A] SFr: 14,90
ISBN 978-3-423-34622-1

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Das Buchcover „Nach Rom zu Fuß
Bildporträt des Buchautors Christian Jostmann

 

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Das Schwerpunktthema für Juni 2013

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Text: Christian Schmitt
In: Pfarrbriefservice.de