Voller Zweifel und voller Hoffnung

Vor 50 Jahren starb die Dichterin Marie Luise Kaschnitz

Marie Luise Kaschnitz wird gerne als „sensible Zeitgenossin“ bezeichnet. In ihrem Werk hat die Dichterin viele biografische Bezüge verarbeitet und damit menschliche Erfahrung und eigenes Erleben in dichte lyrische Texte gekleidet.

Aufgewachsen im protestantischen Bürgertum

Marie Luise von Holzing-Berstett, wie sie zunächst hieß, wurde am 31. Januar 1901 in Karlsruhe geboren. Sie war Tochter eines badischen Generalmajors, der kurz nach ihrer Geburt in den Dienst des preußischen Hofes kam. So wuchs Marie Luise Kaschnitz in Berlin und Potsdam auf, wo ihre Familie und sie selbst in den Kreisen der protestantischen Bildungselite verkehrten. Nach dem Abitur absolvierte sie eine Buchhändlerlehre und arbeitete von 1924 an in einem Antiquariat in Rom. 1925 heiratete sie den österreichischen klassischen Archäologen Guido Freiherr von Kaschnitz-Weinberg, mit dem sie in Rom und von 1942 an in Frankfurt am Main lebte, wo ihr Mann eine Professur für Klassische Archäologie innehatte. Jedoch zog es das Paar immer wieder nach Rom. Sie lebten schon damals ökumenisch, ihr Mann war Katholik aus einer traditionellen Familie in Wien. 1956 wurde er schwer krank und starb 1958. In dieser Zeit war Marie Luise Kaschnitz bereits eine gefeierte Autorin. 1955 erhielt sie den Georg-Büchner-Preis, die höchste literarische Auszeichnung in Deutschland.

Erfahrungen des Jahrhunderts

Bereits 1933 hatte sie ihren ersten Roman („Liebe beginnt“) und später zahlreiche weitere Romane, Essays und Gedichte veröffentlicht. Ihre Texte waren gesättigt von eigener Lebenserfahrung, gleichzeitig aber auch von den Fragen und den Themen, die viele beschäftigten. Das 20. Jahrhundert, das Jahrhundert der Extreme, der Kriege und Gewalt, der größten Hoffnungen und tiefster Ernüchterung hat sie vielfältig und teilweise sehr persönlich in ihrer Dichtung verarbeitet. 1947 und 1948 war sie Mitherausgeberin der Monatsschrift „Die Wandlung“. In den 1950er-Jahren schrieb sie zahlreiche Hörspiele. Nach dem Tod ihres Mannes wurden Sterben und Tod sowie die Frage nach einem Leben jenseits des Todes wichtige Themen ihrer Texte. In dem Gedichtband „Dein Schweigen – meine Stimme“ (1962) schrieb sie über den Verlust und die Trauer, zeigte aber auch mit Texten über Themen wie Auferstehung und Zukunft („Manchmal stehen wir auf/ Stehen wir zur Auferstehung auf/ Mitten am Tage/ Mit unserem lebendigen Haar/ Mit unserer atmenden Haut.“) Denkweisen und Sprachbilder auf, wie sie versuchte, den Schock des Verlustes zu verarbeiten.

Auseinandersetzung mit dem Glauben

Marie Luise Kaschnitz ist keine religiöse Dichterin, doch durchziehen viele religiöse Themen offen sowie verdeckt ihr umfangreiches Werk. Sie spricht manchmal voller Zweifel und doch getränkt von einer Hoffnung, die ihr durch die schweren politischen und persönlichen Krisen half. „Seid nicht so sicher/ dass es/ Abend wird/ nicht so sicher/ dass Gott euch liebt“, heißt es in einem ihrer Gedichte. Gott ist für sie nicht fassbar, bleibt der nahe Ferne. In ihren Gedichten hat sie vielen Menschen nicht nur aus dem Herzen gesprochen, sondern ihrer eigenen Auseinandersetzung mit der Frage nach Gott, nach dem, was im Leben zu tragen vermag, eine Stimme verliehen. Marie Luise Kaschnitz starb am 10. Oktober 1974 in Rom und wurde in Bollschweil südlich von Freiburg im Breisgau beigesetzt. Die Evangelische Akademie Tutzing hat 1984 einen Preis nach ihr benannt, mit dem begabte Nachwuchsschriftstellerinnen und -schriftsteller gefördert werden. Im Jahr 2024 erhielt die 1984 geborene Lyrikerin und Prosa-Autorin Anja Kampmann den mittlerweile sehr bedeutenden Nachwuchspreis. Bisherige Preisträger waren unter anderem Sibylle Lewitscharoff, Michael Köhlmeier, Angelika Klüssendorf und Lutz Seiler.

Marc Witzenbacher
aus: Magnificat. Das Stundenbuch 10/2024, Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer; www.magnificat.de In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Marc Witzenbacher, aus: Magnificat. Das Stundenbuch 10/2024, Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer; www.magnificat.de
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