„Wenn du nicht komplett dafür brennst, kannst du es nicht machen und solltest es nicht machen.“

Ein Interview mit Carsten Büchner - Spieler der U 24 Ultimate Frisbee Nationalmannschaf

Carsten Büchner. Er ist 21 Jahre alt, kommt aus Würzburg und spielt seit 2018 in der U 24 Ultimate Frisbee Nationalmannschaft. Ein Gespräch mit ihm über Zufälle, Wochenenden in Trainingslagern, gebrochene Schlüsselbeine, ein Studium auf Abstellgleisen, Zeitungen austragen und eine intensive Zeit.

Im April 2018 hast du angefangen Frisbee zu spielen. Seit Mitte 2019 spielst du in der Nationalmannschaft die Weltmeisterschaft. Das ging flott.

Carsten Büchner: Bei mir ging das super schnell. Ich habe es Leuten erzählt, die viel Erfahrung haben und geglaubt hat es niemand so wirklich.

Was war das für ein Gefühl, als du erfahren hast, dass du im Kader der Nationalmannschaft bist?

Ahh, ich war ultra aufgeregt, weil ich wusste, dass ich viel zu wenig Erfahrung habe. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich da mithalten kann. Aber vielleicht ist man für sowas auch nie bereit. Das weiß ich nicht.

Vielleicht muss man ins kalte Wasser geschubst werden.

Ja, es hat sich eingegroovt. Ich habe die Leute gut kennengelernt. Die sind alle mega nett.

Du hast viele Jahre Fußball im Verein gespielt. Hast parallel dazu andere Sportarten gemacht. Jetzt bist du in der Ultimate Frisbee Nationalmannschaft. Wie kam das?

Es war großer Zufall. Ein Kumpel von mir hat vor ein paar Jahren gemeint, dass ich zum Ultimate Frisbee kommen soll, aber ich hab gedacht, Fußball ist das, was ich für immer machen will. Per Zufall bin ich ans Unisportgelände gegangen und hab mir das Training angeguckt. Mein Kumpel ist dort Assistenztrainer. Die Trainerin kam auf mich zu und hat mir gezeigt, wie das Werfen geht. Das sah so gut aus. Ich habe gedacht, so gut muss ich auch irgendwann werfen können. Und bin regelmäßig hingegangen.

In der Unimannschaft hast du jeden Tag trainiert, bist schnell zu den Fortgeschrittenen gekommen. Hast in deinem ersten Jahr 2018 direkt bei der Deutschen Meisterschaft für Männer in der dritten Liga gespielt. Im Herbst bist du zum Auswahltrainingslager der Nationalmannschaft gefahren.

Für die Nationalmannschaft gibt es alle zwei Jahre im Herbst ein Auswahltrainingslager. Das ist offen und mit einer Einladung an alle. Mein Trainer hat gemeint, ich soll hingehen und viel lernen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich erst fünf Monate gespielt.

Und das hat gereicht?

Es waren circa 90 Leute da, die meisten mit dem Gedanken ins Team der Nationalmannschaft zu kommen. Ich habe mir gedacht: Ok, lass so gut spielen, wie es geht. Ich war schnell und ich konnte laufen (lacht), aber so richtig gut werfen konnte ich nicht. Das war echt unangenehm.

Trotzdem hast du dich für die nächste Runde beworben.

Ich habe lange überlegt, weil ich gedacht habe, dass es keinen Sinn macht. Aber ich habe auf dem Fragebogen „ja“ angekreuzt.

Man kann es ja mal probieren.

Genau. (grinst) Drei Wochen später kam die überraschende Nachricht, dass ich in die nächste Runde gekommen bin. Ich konnte es nicht glauben (lacht).

Es gab ein zweites Trainingslager mit 50 Leuten.

Dann ging es ans Eingemachte. 22 Leute wurden ausgewählt. Sie haben wieder gefragt: Wollt ihr ausgewählt werden? Ich habe gedacht, dieses Mal ist es eh wurscht. Ich habe durchgezählt und meiner Meinung nach waren einige besser als ich.  

Aber …

Aber die Trainer haben wohl etwas in mir gesehen und mich ausgewählt. Mit dem Hintergedanken, dass sie noch sieben Monate bis zur Weltmeisterschaft mit uns haben.

Harte Arbeit.

Am Anfang der Saison, Mitte Januar, kriege ich den Trainingsplan zugeschickt, an den ich mich halten sollte. Individualtraining, Krafttraining, Stabilisation, Regeneration, sportfremde Sportarten wie Fahrrad fahren, schwimmen gehen. Und mindestens dreimal unter der Woche normales Frisbeetraining in Würzburg, um die Bewegungsabläufe zu trainieren.

Hast du am Wochenende Pause, um zu regenerieren?

Nein, ab Februar geht’s voll ab. Du hast alle zwei Wochen ein Turnier oder Trainingslager. Da fahren oder fliegen wir über das Wochenende hin und spielen gegen ganz viele Teams aus anderen Ländern. Sonntagabend komme ich fertig nach Hause. Ja, es ist sehr zeitraubend.

Und körperlich anstrengend. Beim ersten Vorbereitungsturnier der WM hast du dich direkt stark verletzt.

Im ersten Spiel, das ich mit der Nationalmannschaft in Warschau gespielt habe, habe ich mich beim ersten Punkt nach der Frisbee-Scheibe geschmissen, bin blöd auf der Schulter aufgekommen und habe mir das Schlüsselbein gebrochen, aber den Punkt habe ich gemacht (lacht). Ich habe mein Soll getan.

Hattest du Angst deswegen aus dem Kader zu fliegen? Ist der Druck in der Nationalmannschaft sehr groß?

Das Gefühl hatte ich dieses Jahr nicht. Als ich gehört habe, dass ich sieben Wochen raus bin, habe ich überlegt, was mit der Nationalmannschaft passiert. Aber mein Trainer hat kein Wort darüber verloren. Es war klar, dass ich erst wieder einsteige, wenn der Arm heil ist. Die WM konnte ich mit Vollgas mitspielen.

Machst du dir selbst Druck?

Bei mir ist es normal, dass ich bei jedem Training so weit wie möglich an die Grenzen gehe. Ich will jedes Mal besser werden. Ich mache das nicht nur beim Frisbee. Wenn ich etwas mache, mache ich es gescheit, dann muss ich es nicht zweimal machen.

Obwohl du in der Nationalmannschaft spielst, studierst du nebenher Physik.

Ja, aber das Studium war zweitranging. Ich habe es auf Abstellgleise gestellt. Freitags bin ich nicht zur Uni gegangen, weil wir frühzeitig angereist sind. Nach Genf, Madrid oder Warschau. Montags habe ich mir eine Pause gegönnt. Wenn ich fit war, bin ich Dienstag, Mittwoch, Donnerstag in die Uni gegangen und habe meine Pflichtveranstaltungen wahrgenommen.

Ist es überhaupt möglich, in der Nationalmannschaft und im Studium tausend Prozent zu geben?

Ich war beim Studium mit dem Kopf nur halb dabei. Ich habe nicht so für den Stoff gebrannt, mich nicht bis 20 Uhr konzentriert und Arbeitsblätter gelöst, wie ich es normalerweise mache. Das habe ich am Ende an den Klausuren gemerkt (lacht), aber das ist für mich vollkommen ok.

Du arbeitest ja auch noch nebenher.

Ich trage seit acht Jahren Zeitungen aus und nicht gerade wenig.

Erhältst du als Frisbee-Spieler kein Gehalt?

Das ist ein riesen Problem. Ich bekomme nur eine ganz kleine Vergütung. Davon kann ich ein Trainingslager bezahlen. Alles andere muss ich selbst zahlen.

Dein Leben – purer Stress.

Es geht. Als ich so viel mit Frisbee unterwegs war, das war Stress. Aber ich habe kein Problem damit. Macht Laune (lacht). Wenn du nicht komplett dafür brennen würdest, kannst du es nicht machen und solltest es nicht machen. Ich genieße, was ich mache.

Es ist eine besondere Zeit, die du gerade erlebst.

Ja. (Pause) Das ist mega. Ich finde es super cool, so viel von der Welt zu sehen. Wir sind extrem viel rumgekommen. Das ist eine intensive und anstrengende Zeit, aber sie lohnt sich auf jeden Fall. Jeder, der die Möglichkeit hat, sollte das machen.

von: Ronja Goj, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Ronja Goj
In: Pfarrbriefservice.de