Wer ein Buch zur Hand nimmt, verlangsamt seine Welt

Über das Lesen und kirchliche Büchereien als Kulturtankstellen

Ich habe immer einen ganzen Stapel Bücher in der Tasche, auf dem Schreibtisch oder dem Nachttisch. Ich genieße Zeiten, in denen ich ungestört in meine Lesewelten abtauchen kann.
Für mich sind Bücher „Exerzitienmeister“ in einer beschleunigten Welt. Wer ein Buch zur Hand nimmt, verlangsamt seine Welt. Zum Glück ist das Buch wider alle Prognosen nicht verschwunden. Vor 50 Jahren sprach der kanadische Philosoph Marshall McLuhan von der „Gutenberg-Galaxis“. Und dieser Wissens- und Kulturraum existiert dank des Buchdrucks von Johannes Gutenberg weiter. Trotz digitaler Revolution ist ein Ende des Buches nicht abzusehen. Zum Glück!

Hans-Georg Gadamer war ein bedeutender deutscher Philosoph. Gadamer hat in seinem Denken den Begriff des Verstehens zum Schlüsselbegriff erhoben: Das Verstehen sei, so Gadamer, unsere grundlegende Haltung zur Welt. Nur im Verstehen sei uns letztlich die Welt zugänglich.

Sich selbst kennen lernen

Kein Wunder, dass Gadamer auch an den Wert des „besonnenen Lesens“ erinnert. Ihm geht es darum, dass der Mensch nicht nur liest, um zu wissen, wie etwas gewesen ist, sondern vor allem, um zu lernen, wer er selbst ist und was er sein kann. Und genau dies entspricht meiner Erfahrung als Leser: Die „Welten“, die gute Literatur mir eröffnet, sind voll an Wissen und Weisheit, prall gefüllt an Erfahrung und Lebensklugheit, gespickt mit Abgründen und Höhenflügen. Bücher helfen mir, die Welt anders zu sehen.

Wenn ich mal über längere Zeit kein Buch zur Hand nehmen kann, dann bekomme ich schwere Entzugserscheinungen. Ich frage mich manchmal, wie es dazu gekommen ist, dass ich ein solch passionierter Leser geworden bin.

Ich kann mich gut an lange zurückliegende Leseerlebnisse als Kind erinnern: an die drei blauen Bände mit Geschichten von Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer, und von der Wilden 13. Erste rauschhafte Erfahrungen, bei denen ich abgetaucht bin in fiktionale Welten!

Als Heranwachsender hatte ich eine sehr prägende Begegnung mit der Welt der Bücher: Sie geschah in der Pfarrbücherei. Die Regale mit Büchern reich gefüllt entwickelten für mich eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Ich schleppte von dort aus viele Bücher nach Hause. Später kamen Stadtbüchereien, dann Universitäts- und Staatsbibliotheken hinzu.

Kleine, aber feine Bibliotheken

Aber die kleine katholische Bücherei nebenan war in meiner persönlichen Lese-Biographie die wichtige Brücke in den Kosmos der Bücher. Kirchliche Büchereien gibt es auch heute in großer Zahl. Diese Bibliotheken können kein Vollsortiment vorhalten; sie sind in der Regel klein, aber fein. Literaturcafes und Lesewettbewerbe laden ein zu Begegnungen und Gesprächen „über Gott und die Welt“. Ehrenamtliche, die sich hier engagieren, sind echte Bücherfreunde und gute Ratgeber für Leser.

Für mich sind kirchliche Bibliotheken kleine „Kulturtankstellen“. Und ich denke, sie freuen sich über jeden, der zu ihnen kommt, um aufzutanken, um etwas „Schokolade für die Seele“ zu ergattern!

Markus Potthoff, Leiter der Hauptabteilung Pastoral und Bildung im Bischöflichen Generalvikariat Essen, Quelle: www.borromaeusverein.de, In: Pfarrbriefservice.de

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Das Schwerpunktthema für Juli / August 2016

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Text: Markus Potthoff
In: Pfarrbriefservice.de