Allein, aber nicht einsam

P. Norbert Cuypers SVD lebt als „Hüter der Stille“ in einer Einsiedelei im Sauerland

Als Ordensmann lebte ich über Jahrzehnte hinweg in den unterschiedlichsten Gemeinschaftsformen: mal mit 80 Brüdern aus aller Herren Länder in einem sogenannten ‚Missionshaus‘, ein andermal zu viert in einer Kleingemeinschaft in der Großstadt.

Als Leiter von Exerzitien durfte ich Menschen ein Stück ihres Lebens begleiten – bei Taufen, Hochzeiten oder auch Begräbnissen wiederum als Seelsorger ganzen Familien in ihrer Freude oder in ihrem Abschiedsschmerz nahe sein.

Obwohl ich im Alltag immer von Menschen umgeben war, beschlich mich nicht selten ein Gefühl der Einsamkeit. Heute nun bewohne ich als Eremit eine kleine Klause im Sauerland und erlebe genau das Gegenteil: Ich bin zwar meist allein, aber nicht einsam.

In unserer schnelllebigen Gesellschaft erscheint es vielen Menschen seltsam, wenn man sich bewusst dazu entscheidet, für sich alleine zu leben und die Stille zu suchen. Auch die Besucher, die mich in meiner Klause hier im Sauerland antreffen, verstehen das nicht immer sofort.

Sie können kaum glauben, dass ich weder ein Auto noch einen Fernseher besitze. Immer wieder fragen sie mich, ob ich mich am Abend nicht langweilen würde und einsam fühle. „Nein, das tue ich überhaupt nicht“, lautet dann meine ehrliche Antwort. Meine Erfahrung in der Klause hat mich genau das Gegenteil gelehrt: Je mehr ich bei mir selbst sein kann und durch die Stille um mich herum in mir ruhe – was gar nicht so einfach ist, wie es klingt –, desto mehr spüre ich eine innere Verbundenheit mit Allem und mit Allen. Inmitten des Allein-Seins entsteht nämlich ein Gefühl des All-eins-Seins.

Ich bin überzeugt, dass dieses „In-sich ruhen“ und „Mit sich im Einklang sein“ im Grunde mit der tiefen Sehnsucht eines jeden Menschen nach Einheit und Harmonie zu tun hat. Carl Gustav Jung, der bekannte Begründer der analytischen Psychologie, geht sogar einen Schritt weiter. Er schreibt: „Wenn man versteht und fühlt, dass man schon in diesem Leben an das Grenzenlose angeschlossen ist, ändern sich Wünsche und Einstellungen.“

Dieses Gefühl, mit dem Grenzenlosen angeschlossen zu sein, hat für mich persönlich mit meinem Glauben an Gott zu tun. Als Christ fühle ich mich von ihm, der mir in diesem inneren Frieden entgegenkommt, geborgen und getragen.

Ich bin überzeugt, dass Gott jedem Menschen entgegenkommt – doch sein Anklopfen kann im Alltag allzu schnell überhört werden. Die Stille der Klause ist für mich der Ort, an dem ich seine konkrete Einladung am besten hören kann und wo ich mich immer wieder neu mit ihm, dem Grenzenlosen, verbinde.

P. Norbert Cuypers SVD
Quelle: Katholische Hörfunkarbeit für Deutschlandradio, Bonn, www.katholische-hörfunkarbeit.de, In: Pfarrbriefservice.de

Norbert Cuypers, 1964 in Köln geboren, ist Mitglied der interkulturell aufgestellten Ordensgemeinschaft der Steyler Missionare (SVD). Sein Weg führte ihn im Laufe der Jahre unter anderem nach Papua Neuguinea und nach Österreich. Seit 2011 lebt und wirkt er wieder in Deutschland. Das Thema „Spiritualität“ begleitet ihn seit Jahren: sei es als Exerzitienmeister, als Spiritual im Priesterseminar oder auch als Leiter des deutschsprachigen Noviziats seines Ordens in Berlin. Derzeit lebt er als „Hüter der Stille“ in einer Einsiedelei im Sauerland.

Weitere Materialien
Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für Januar 2023

Vor dem Herunterladen:

Datei-Info:
Dateiformat: .rtf
Dateigröße: 0,01 MB

Sie dürfen den Text in sozialen Medien nutzen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, etc.)

Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen

Text: P. Norbert Cuypers SVD, Quelle: Katholische Hörfunkarbeit für Deutschlandradio, Bonn, www.katholische-hörfunkarbeit.de
In: Pfarrbriefservice.de