Angst vor dem Sturm auf dem See
Markus Kapitel 4, Verse 35-41
Im Jahr 1976 war ich ein Jahr vor dem Abitur mit unserem Abschlusskurs auf Studienreise in Israel. Achtzehn Tage dauerte der Trip durch das Heilige Land. Eine Station: Tiberias am See Genezareth. Mit dem Schiff fuhren wir von dort über den 200 Meter tiefer als der Meeresspiegel liegenden See ans östliche Ufer nach En Gev, das aus der Bibel als Gerasa bekannt ist. Dort hatte Jesus einen Besessenen geheilt, der in Grabhöhlen hauste und die Menschen nicht nur durch sein Geschrei verschreckte (vgl. Mk 5,1-20). In den frühen Abend hinein fuhren wir mit dem Schiff wieder zurück. Die Sonne ging über der galiläischen Höhe unter. Den ganzen Tag über war es durch den Wüstenwind von Osten her heiß gewesen. Jetzt kamen mit der Abendkühle von Westen, von der galiläischen Höhe her, heftige Fallwinde auf und fielen von dort auf den See herab. Innerhalb kürzester Zeit wurde das Wasser aufgewühlt. Bis zu drei Meter hohe Wellen entstanden und stürzten auf unser Schiff. Wir wurden ganz schön durchgeschüttelt und waren froh, nach einiger Zeit in Tiberias wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Ungewissheit und Bedrohung des Lebens
Seit diesem Erlebnis sehe ich das Evangelium vom Sturm auf dem See mit anderen Augen. Wir fuhren damals mit einem stabilen und seetüchtigen, relativ großen Schiff über den See. Die Jünger und Jesus waren mit einem Fischerboot unterwegs. Verglichen mit unserem Schiff war das wohl eher eine Nussschale. Obwohl die meisten der Jünger Fischer und so mit dem See und den möglichen Wetterlagen vertraut waren, dürften sie bei dem heftigen Wellengang ziemlich Angst gehabt haben. Wer so ein stürmisches Wetter einmal erlebt hat, kann auch nachfühlen, dass die Menschen früherer Generationen die Bedrängnis und Angst in der Ausgesetztheit eines solchen Geschehens als etwas zutiefst Bedrohliches, ja Unkalkulierbares und damit von fremden Mächten Gesteuertes sahen. Das Chaos hat etwas Dämonisches. Die Ungewissheit und die Bedrohung des Lebens lassen Angst entstehen und empfinden. Und darum geht es in diesem Evangelium, um Angst im weitesten Sinn.
Unser Umgang mit Gefühlen der Angst
Angst gehört zu den grundlegenden menschlichen Emotionen. Angst ist zwar ein höchst unangenehmes Gefühl, aber es ist eine lebensnotwendige, angeborene Reaktion auf eine mögliche Gefahr. Gefühle der Angst dienen dazu, gefährliche Situationen als solche zu erkennen und das eigene Handeln der Lage entsprechend anzupassen, um einer Gefahr zu entgehen oder sie zumindest zu verkleinern. Manches Verhalten dazu haben wir von anderen gelernt, andere Situationen vermeiden wir aus einer Art innerem Instinkt. Was aber, wenn dieses Gefühl außer Kontrolle gerät? Was geschieht mit uns, wenn sich die Angst so in uns breit macht, dass wir unfähig werden, mit ihr umzugehen? Was, wenn Angst sich potenziert und zur Angst vor der Angst, vor der Angst wird? Dann kann es Momente geben und Situationen, wo man wie gelähmt ist, wo eine körperliche Reaktion, wie Atembeschleunigung und Herzrasen, es unmöglich machen, überhaupt zu reagieren und man alles daransetzt die auslösende Situation zu vermeiden. Dann entsteht ein sich verstärkender „Teufelskreis der Angst“, der krank macht und in sich zerstörerisch wirkt. Dann ist man beispielsweise unfähig, anderen zu begegnen; man kann nicht mehr auf die Straße gehen, ist nicht in der Lage, bestimmte Dinge zu tun; man wird unfähig, das Leben zu meistern und geht jeder angstbesetzte Situationen völlig aus dem Weg. So etwas bringt einem aus dem Lot. Angststörungen führen zu Krankheiten und zu seelischen Verbiegungen.
An vieles davon haben mich die vergangenen anderthalb Jahre erinnert. Ja, die Covid19-Pandemie: Die Angst vor Ansteckung, die wachsende Ungewissheit, was passieren kann, wenn man sich infiziert, die Einschränkungen des Lebens, der Verlust des normalen Umgangs miteinander, auch Todesangst… Manche waren und sind bis heute so bedrängt, dass ihr Leben sich komplett verändert hat und andere haben so irrational reagiert, dass sie schlicht und einfach die Existenz des Virus leugnen oder andere für die Bedrohung verantwortlich machen, und all das, ohne überhaupt irgendeinen sachgerechten Nachweis für ihre Überlegungen oder Meinungen zu haben. Auch das, so darf man vermuten, ist eine krankhafte Angststörung.
Der Glaube an Gottes Nähe wird angefochten
Kehren wir zu unserem Evangelium zurück und dazu, was hier als frohe Botschaft vermittelt wird. Jesus hatte den Menschen Gleichnisse erzählt. Mit ihnen wollte er die Nähe Gottes und sein Wirken für und mit den Menschen vermitteln. Ebenso wollte Jesus ihnen von seiner eigenen Glaubensgewissheit erzählen, wollte ihnen sein Urvertrauen zum Vater ins Herz pflanzen. Die Gleichnisse sagen: Wo Glaube ist und wo Vertrauen in Gottes Nähe gelebt wird, wächst Glaube, wird Gottes Nähe, sein Reich sichtbar und greifbar. Und am Ende dieser Gleichnisse im Evangelium des Markus (Mk 4,1-34) steht nun die Glaubensgeschichte vom Sturm auf dem See.
Angesichts des entstehenden Sturmes werden die Jünger von ihrer Angst überwältigt. Sie, die Fachleute – sie waren ja Fischer –, wissen nicht mehr weiter und geraten in Panik. Die Fachleute… Man muss das Geschehen auf die Glaubens- und Gemeindesituation des Markus und auch auf unsere heute beziehen. Die Angststörung der Jünger kommt aus ihrem mangelnden Gottvertrauen. Der Sturm ist ein Bild für die bedrohliche Situation, in der der Glaube an Gottes Nähe angefochten ist. Dabei ist Jesus mit ihnen im Boot! Wenn die Jünger untergehen, geht er mit ihnen unter… „Warum habt ihr solche Angst. Habt ihr noch keinen Glauben?“, sagt Jesus (Mk 4,40).
Jesus sitzt mit im Boot
Allgemein betrachtet ist der therapeutische Ansatz, um eine Angststörung zu behandeln, die Suche nach Möglichkeiten, welche die angstmachende Situation mit der Hilfe der Vernunft erklären und verständlich machen. Dann kann man sich dieser Situation neu stellen und sie bearbeiten. In der Situation der Bedrohung des Glaubens ist Jesus selbst der Schlüssel zur Klärung. Das ist die Botschaft des Markus. Jesus stellt sich der Angst, denn er vertraut auf Gott. In ihm kehrt Ruhe ein. Er droht dem Wind und beruhigt den See. Die Problemlösung des Markus gilt auch für uns: Die Besinnung darauf, dass Jesus immer bei seiner Gemeinde, seiner Kirche ist und sein wird – er ist mit im Boot –, wird durch dieses Evangelium besonders betont. Allein mit Jesus können wir uns dem, was Kirche und Glaubensweitergabe auch heute bedroht, stellen. Allein mit ihm können wir die angstbesetzte Situation überwinden und Gottes Liebe fruchtbar leben und weitergeben. Er vertreibt das Böse und vernichtet die Krankheit der Herzen.
Pater Guido Dupont, Predigttext zum 12. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B)
In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Pater Guido DupontIn: Pfarrbriefservice.de