Barmherzig handeln - damit die Welt freundlich bleibt
Barmherzigkeit hat heute kaum Konjunktur. Das Schlüsselwort des heutigen gesellschaftlichen Grundgefühls lautet: Gerechtigkeit. "Ich muss mir meine Rechte einfordern!" - "Das steht mir zu!" Oder auch in der Variante: "Keiner darf diskriminiert werden!" Wir haben heute Gleichstellungsbeauftragte, sogar ein Gleichstellungsgesetz. Ich bedaure heute schon die Richter, die nach Maßgabe von Paragraphen beurteilen müssen, ob jemand diskriminiert worden ist oder nicht.
Nichts gegen Gesetze. Es ist schon gut, wenn die Grundrechte der Menschen, der Behinderten z. B. oder der Kinder gesichert werden. Es ist gut, wenn man sich auch vor Gerichten gegen Willkür und Benachteiligungen wehren kann.
Aber jeder Einsichtige wird zugeben: Allein durch Paragraphen wird unsere Welt nicht menschlicher. Neben der Gerechtigkeit braucht es das Erbarmen, braucht es die Liebe, die dem Nächsten einfach gut sein will – auch wenn dafür keine Belohnung ausgesetzt ist und keine Strafandrohung dies erzwingt. Wie kostbar Erbarmen ist, kann jeder für sich am ehesten durchbuchstabieren, wenn er sich vorstellt, einem unbarmherzigen Menschen ausgeliefert zu sein. Gegen Unbarmherzigkeit helfen in der Regel keine Gesetze und keine Paragraphen. Gegen Unbarmherzigkeit hilft nur eine Umkehr im Herzen.
Es ist gut, dass wir die Heiligen haben. "Elisabeth bewegt!" Das haben wir als großes Motto über das Elisabeth-Jahr unseres Bistums geschrieben. …
Der 800. Geburtstag der hl. Elisabeth, unserer Bistumspatronin, soll nicht nur ein historisches Gedenken bleiben. Elisabeth soll uns in Bewegung bringen. Wir brauchen auch heute etwas von dem Geist ihrer starken Gottes- und Nächstenliebe, damit es hell und menschlich bleibt in der Welt, freundlich und – eben – barmherzig.
Als ich in der vergangenen Woche zusammen mit Weihbischof Reinhard dem Heiligen Vater begegnen durfte, erzählte ich ihm vom Elisabeth-Jahr im Bistum. Er freute sich, von den Aktivitäten zu hören, die wir planen und wünschte allem ein gutes Gelingen. Und dann sagte er im Blick auf unser Elisabethjahr ein Wort, das ich euch gern weitergeben möchte: "Gesichter sind wichtiger als Worte!" Und das meint: Ihr, jeder Einzelne von Euch ist wichtiger als noch so viele schöne Predigten, Reden oder Ausstellungen über Elisabeth.
Elisabeth hat das gleiche Evangelium gehört, das uns heute verkündet wird: Gott ist die Liebe, sagt uns Johannes, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott. Und Matthäus ruft in unsere so geschäftige, vom Geld und den Aktienkursen beherrschten Gesellschaft hinein: Wer den Kleinen und Geringen dient, der dient Christus. Das hat Elisabeth bewegt. Diese Botschaft hat sie sich zu Herzen genommen. Jesu Lebensvorbild wird der Maßstab sein, nach dem unser aller Leben einmal bewertet werden wird. Und da werden manche Große sehr klein aussehen, und manche Kleine, etwa jene, die ehrenamtlich in der Suppenküche mitarbeiten oder Stationsgottesdienste halten oder Kranke besuchen oder alte Eltern pflegen – sie werden groß dastehen.
Bischof Joachim Wanke
Aus seiner Predigt zur Eröffnung des Elisabeth-Jahres im Bistum Erfurt, 18. November 2006. Quelle: www.bistum-erfurt.de
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Text: Bischof Joachim WankeIn: Pfarrbriefservice.de