"Bordellbesitzer werben in Deutschland ganz offen mit ihrem schmutzigen Geschäft."

Interview mit Sr. Lea Ackermann

Dr. Lea Ackermann, Bankkauffrau, Erziehungswissenschaftlerin und Ordensfrau der „Missionsschwestern unserer lieben Frau von Afrika“, engagiert sich seit 1985 gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel in Afrika und Deutschland. Mit ihr sprach Claudia Klein von missio München.

Schwester Lea, wie sind Zwangsprostitution und Menschenhandel in einem Rechtsstaat wie Deutschland überhaupt möglich?

Dr. Lea Ackermann: Schlepper heuern Menschen im Ausland an, dass sie in Deut¬schland arbeiten. Man verspricht ihnen bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld. Und diese Vorgänge des Anwerbens passieren in vielen unterschiedlichen Bereichen. Den Frauen und Kindern, die Hilfe bei unserer Organisation suchen, hat man versprochen, sie könnten einer Arbeit zum Beispiel als Küchenhilfe oder Serviererin nachgehen und das werde gut bezahlt. Mit dem Geld könnten sie ihre Familie im Heimatland unterstützen. Das ist für viele Frauen das auslösende Moment: Geld, um ihre Familie zu unterstützen.

Aus welchen Situationen kommen denn die Opfer?

Dr. Lea Ackermann: Die insgesamt 1772 Frauen, die sich im vergangenen Jahr das erste Mal an unsere Beratungsstellen in Deutschland gewandt haben, kommen aus 108 Ländern. Besonders Osteuropäerinnen sind unter ihnen. Aber auch Frauen aus Afrika, Lateinamerika und Asien. Auch Kinder sind dabei. Das Jüngste, das wir betreut haben, war 13. Wir fanden es in einem Bordellzentrum.

Was kann man über die Strukturen der Schlepper sagen?

Dr. Lea Ackermann: Über die Strukturen der Drahtzieher wissen wir wenig. Sie sind in Deutschland, und auch im Anwerbeland stark vernetzt. Die Ausgangslage der betroffenen Frauen ist immer große Armut. Das nutzen die Menschenhändler aus. In Deutschland angekommen, lässt man die Frauen dann nicht mehr zurück. Wissen Sie, in diesem Handelsgeschäft werden sie zu Waren. Da sagen die Zuhälter: Du gehörst mir, ich habe Geld für Dich bezahlt und wenn ich will, dann verkaufe ich Dich an jemanden. Wenn Du Dich weigerst, dann kauf Dich frei. Wenn Du 40 000 Euro zusammen hast, kannst Du gehen.

...einen Betrag, den sie nie aufbringen können.

Dr. Lea Ackermann: Ja, vor drei Wochen erst kam eine Frau zu uns. Ihr Zuhälter war so brutal, ihr ganzer Körper war mit Narben übersät. Sieben Jahre befand sie sich in der Abhängigkeit vom Zuhälter. Als man ihn wegen eines anderen Deliktes festnahm, rannte sie weg. Sie lebte in einer deutschen Großstadt auf der Straße, hatte kein Geld, konnte kein Deutsch. Eine Straßenbahn riss ihr schließlich ein Bein ab. Nach der Notversorgung im Krankenhaus kam sie zu uns. Kein Mensch hat Interesse an ihr, sie ist illegal und soll jetzt abgeschoben werden.

Welche Gesetze gelten denn bei uns konkret bei Menschenhandel?

Dr. Lea Ackermann: Die gesetzliche Lage hat die Situation in Deutschland seit 2002 verschlechtert. Zusätzlich hat in den Anwerbeländern die Armut zugenommen. Beides kommt zusammen. In Deutschland haben wir auf jeden Fall nicht genügend Strukturen, um solche Verbrechen zu bekämpfen. Im öffentlichen Dienst wird immer mehr gespart. Bei uns in Rheinland-Pfalz haben wir lange dafür gekämpft, dass es eine eigene Einsatzgruppe „Menschenhandel“ bei der Polizei gibt. Aufgrund von Sparmaßnahmen wird diese jetzt wieder mit der Abteilung Drogen- und Waffenhandel zusammen gelegt.

Ja, und Menschenhandel fällt vielleicht auch nicht auf?

Dr. Lea Ackermann: Die Verbrechen finden im Dunkeln statt. Einbruch, Diebstahl oder Mord wird gemeldet. Bei Menschenhandel wird nichts gemeldet. Die Polizei muss aufgrund von Verdachtsmomenten tätig werden. Oft hat die Polizei gar keine Kapazitäten, um diesen Verdächtigungen nachzugehen. Und: Wer soll es denn anzeigen? Die Frauen? Sie wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Sie haben nicht die Möglichkeit, zur Polizei zu gehen. Und ihnen fehlt das Vertrauen zu den Behörden, die im eigenen Heimatland korrupt sind. Soll es der Freier anzeigen? Wendet er sich an die Polizei – das geschieht tatsächlich gelegentlich.

Wie sind denn die gesetzlichen Grundlagen in Deutschland?

Dr. Lea Ackermann: Die Politik hat gesagt: Damit sich das Verbrechen nicht mehr bezahlt macht, müssen wir es legalisieren. 2002 gab es das neue Prostitutionsgesetz. Die Frauen sollten sich wenigstens kranken- und sozialversichern können. Prostitution wurde zu einem Beruf gemacht. Damit ist es noch schwieriger geworden, an die Täter heran zu kommen. Jetzt konnten die Täter in den Wellnessbereich ausweichen und tatsächlich hat die Anzahl der Bordelle zugenommen. Die Besitzer brauchen das nicht einmal mehr zu verschleiern. Sie sagen ganz offen: Wir bieten Wellness und Frauen an. Als die erste Kritik am Gesetz laut wurde, hieß es, man müsse wenigstens die Freier zur Verantwortung ziehen. Daraufhin gab es einige Gesetzesentwürfe. Doch bisher ist nicht wirklich etwas geschehen.

Wie begünstigt das Gesetz die Zwangsprostitution?

Dr. Lea Ackermann: Die Polizei macht schon noch Razzien, wenn auch weniger als früher. Doch wenn Frauen hier in die Prostitution gezwungen werden, hat die Polizei weniger Handhabe. Jetzt können die Polizisten Betroffene nicht mehr so einfach mit auf das Revier nehmen, häufig müssen sie die Frauen im Bordell befragen. Wenn diese dann angeben, sie täten das freiwillig, dann ist es keine Straftat mehr. Das neue Gesetz hat auch dazu geführt, dass neue Kundenschichten angeworben wurden. Stichwort: Flatrate-Bordelle. Bordelle warben damit, dass ein Kunde für 90 Euro so viele Frauen haben, sie gebrauchen und so viel essen und trinken konnte, wie er wollte. Ein anderes Bordell warb mit dem Angebot: 8,90 Euro für eine Frau, ein Bier und ein Würstchen. Und das ist eine Entwicklung, die mich sehr erschreckt. Und mit Menschenwürde kann man nicht dagegen argumentieren, weil Würde ja nicht genau definiert ist.

Ursprünglich waren Sie in Mombasa. Wie waren Ihre Erfahrungen dort?

Dr. Lea Ackermann: Mombasa ist ein Paradies. Doch die Menschen dort sind sehr arm. Und jetzt kommen die im Vergleich reichen Touristen aus der ersten Welt, sie sehen die Armut und das Elend. Und dann profitieren sie davon, indem sie sich für ihr billiges Vergnügen Frauen und Kinder kaufen. Das hat mich wahnsinnig auf die Palme gebracht.

Wie wichtig sind kirchliche Projekte für solche Frauen und Kinder?

Dr. Lea Ackermann: Gerade wir als Christen sagen: Gott ist Schöpfer aller und hat Interesse an jedem Kind Gottes. Wir müssen den Betroffenen zur Seite stehen, denn wir sind Hände, Augen und das Herz Gottes auf Erden. Dann können die Menschen auch glauben, dass Gott sie liebt und dass er anderes mit ihnen vor hat, als sie auszubeuten.

Das Interview führte Claudia Klein, Redakteurin bei missio in München. Erschienen im missio magazin 3/12, www.missio.com In: Pfarrbriefservice.de

Zur Person von Sr. Lea Ackermann:

Kein glückliches Jubiläum: Nach zehn Jahren Legalisierung von Prostitution ist schon längst klar: „In Deutschland ist der Markt 60 Mal höher als in Schweden, wo Prostitution verboten ist.“ Das bestätigt Prof. Dr. Axel Dreher von der Universität Heidelberg in einer EU-Studie zur Legalisierung von Prostitution. „Gleichzeitig hat Deutschland rund 62 mal so viele Opfer von Menschenhandel, wie Schweden“, sagt er. Der Bundeslagebericht 2011 zum Thema Menschenhandel des Bundeskriminalamtes (BKA) spricht von 482 ermittelten Fällen im Bereich Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung. Weniger als zehn Prozent der Täter werden verurteilt. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Arbeit von Sr. Lea Ackermann eine enorme Bedeutung. 2012 wurde sie für ihr Engagement gegen Zwangsprostitution mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 1985 gründete sie in Kenia die Organisation Solwodi (Solidarität mit Frauen in Not). Mittlerweile gibt es auch in Deutschland 15 Beratungsstellen und sieben Schutzwohnungen. Zusätzlich kümmert sich seit 2002 die Organisation Solgidi (Solidarität mit Mädchen in Not) um die Kinder von Prostituierten. Mehr Informationen auch unter www.solwodi.de.

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Text: Claudia Klein, www.missio.com
In: Pfarrbriefservice.de