"Burnout"

Chronische Erschöpfung zwischen Normalität und Pathologie

Burnout ist eine ernst zu nehmende körperliche und geistige Überlastungskrise von Menschen, die sehr engagiert leben und dieses Engagement – gemessen am individuellen Energiepotential – über eine zu lange Zeitspanne in zu großem Ausmaß einsetzen.

Dieser Artikel ist eine praxisnahe Auseinandersetzung mit dem umfassenden Thema Erschöpfung. Eine inhaltliche Schwierigkeit beim Thema Burnout ist die bestehende Vielfalt und Uneinigkeit innerhalb der Wissenschaften. Burnout ist eine ernst zu nehmende körperliche und geistige Überlastungskrise von Menschen, die sehr engagiert leben und dieses Engagement – gemessen am individuellen Energiepotential – über eine zu lange Zeitspanne in zu großem Ausmaß einsetzen.

Dieser Beitrag lässt die Unterschiedlichkeit zwischen Männern und Frauen im Burnout-Verlauf außer Acht. Jedoch scheint der persönliche und gesellschaftliche Umgang mit der Burnout-Gefahr geschlechtspezifisch unterschiedlich wahrgenommen und gelebt zu werden. Gleichzeitig sind Erschöpfung und Belastungsgrenzen zum gesellschaftlichen Tabu geworden,und werden deshalb häufig erst wahrgenommen, wenn es zu spät ist. Dann, wenn Körper und Seele streiken.

Burnout – Ausbrennen mit Leib und Seele

Wenn Erschöpfung zum Dauerzustand wird, kommt irgendwann der Zusammenbruch. Neuere Forschung zeigt, dass nicht nur die Seele, sondern auch in starkem Ausmaß Immunsystem, Herz und Gefäße irreversible Schäden durch die permanente Überlastung nehmen. Die Diskussion und das Bemühen um anerkannte Kriterien und Definitionen des Syndroms Burnout ist noch längst nicht abgeschlossen.

Burnout bezeichnet sowohl den Prozess des Ausbrennens über Monate bis hin zu Jahren, als auch den Endzustand von totaler Erschöpfung und chronischer Müdigkeit. In der offiziellen Schulmedizin ist der Begriff (noch) nicht etabliert, gleichfalls im Leistungskatalog der Krankenkassen nicht. Häufig werden Ausweichdiagnosen oder Beschreibungen für den Betroffenen gewählt, wie Depression, Anpassungsstörung oder psychovegetatives Erschöpfungssyndrom.

Was verbindet denn letzten Endes den chronisch erschöpften Lehrer, die frustrierte Hausfrau, den sich in der Versicherungsbranche aufgeriebenen Berater, oder den sich im Gefühl der Aussichtslosigkeit verlorenen Arbeitslosen, Jungakademiker und Künstler auf der Suche nach einer Perspektive? Alles potentielle „Burnout-Betroffene“, die sich mit der Frage konfrontiert sehen, wie sie ihre immerwährende Erschöpfung und Gefühlszustände einordnen sollen.

Manche fühlen sich schuldig, weil sie der Gedanke verfolgt, sich nicht ausreichend engagiert zu haben. Männer und Frauen in entsprechenden Überlastungskrisen haben eher Angst davor, inne zu halten und zur Ruhe zu kommen. Sie denken: „ Ich kann jetzt nicht aufhören, nicht jetzt, später! Ja, ich sehe, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Aber diese Aufgabe, dieses Projekt etc. muss ich noch machen.“ Und der zweite verfolgende Gedanke ist: „Wenn ich jetzt aufhöre, werde ich alles verlieren, wofür ich so hart gearbeitet habe und so viele Entbehrungen in Kauf genommen habe. Es wäre eine Blamage jetzt zu kapitulieren. Was denken Kollegen, Familie, Vorgesetzte über mich, was wird aus meiner Existenz werden wenn ich jetzt aufhöre?,…“.

Also bleibt es gedanklich dabei: “Beiß die Zähne zusammen und halte durch. Mach weiter, bleib dran…! “ Auffallend gemeinsam ist allen Betroffenen, dass sie sich in ihren Tätigkeiten in redundanten Handlungsschleifen, wie oben beschrieben, verbrauchen – dem zur Folge scheitern oder reiben sich auf. Sie geraten in Lagen, denen sie entkommen wollen, jedoch erscheint ihnen der Ausweg versperrt. Das verursacht ein Gefühl der Hilflosigkeit. Fehlende Wertschätzung von Außen und gesteigerte Anforderungen sind nach Expertenmeinung wichtige Quellen von Burnout. Besonders anfällig ist, wer überwiegend aus dem Job sein Selbstbewusstsein speist.

Wer ist Schuld am Burnout-Syndrom? – Die Frage nach Ursachen

Es gibt nicht nur eine Ursache, die für die Entstehung des Burnout-Syndroms herangezogen werden kann. Bei der Beantwortung, wer oder was verantwortlich ist, tauchen Fragen auf, wie: Tragen der Arbeitgeber und die Arbeitsatmosphäre dazu bei, dass Menschen chronisch erschöpfen? Oder sind der Arbeitnehmer, die Umwelt oder die Persönlichkeitsstruktur die einzig Schuldigen an dem Dilemma?

Die Entstehung des Burnout-Syndroms scheint ein Zusammenspiel von Persönlichkeitsmerkmalen und Umweltfaktoren zu sein. Eine Nicht-Passung der Person mit der Umwelt soll die Ausprägung der chronischen Erschöpfung verantworten. Zu hoher Leistungsdruck, unpersönliche Arbeitsatmosphäre, mangelnde Wertschätzung, Konflikte, Termindruck, Rollenunklarheit, Über- und Unterqualifikation können Einflüsse sein, die krank machen. Doch gleichzeitig gilt: Was dem einen zu schaffen macht, schafft dem anderen Befriedigung. Das Burnout-Risiko ist demnach abhängig von der individuellen Struktur. Vermutlich ist die Hypothese: „Burnout kann jeden treffen“ ein weit verbreiteter Irrtum. Es soll bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und Handlungsstereotypien geben, die es begünstigen. Gefährdet sind Menschen mit rigidem Handlungsmuster, d.h. Personen die auf Herausforderungen mit dem gleichen stereotypen Ablauf reagieren. Zu diesen Risiko-Persönlichkeiten zählen u.a. Idealisten, Helfer, Perfektionisten.

Zukünftig wird die Forschung sicher mehr Antworten auch hierzu finden. Burnout ist keine Folge von Stress schlechthin, sondern von unbewältigtem Stress. Hilflos werden Menschen immer dann, wenn sie den täglichen Druck nicht durch Sport, Hobbies, Pausen, Familie, Netzwerke abbauen können. Wird die Belastung zum Dauerzustand, geraten Lebensbereiche aus der Balance. Kraftreserven schmelzen, weil nichts mehr zur Entspannung beiträgt. Die Betroffenen nehmen dies anfangs nicht bewusst wahr.

Die physischen und psychischen Anzeichen des Burnout-Prozesses

Kernsymptome sind Motivationsverlust, chronische Müdigkeit und beeinträchtigte Erholungsfähigkeit. Die Symptome sind vielfältig und können individuell unterschiedlich in Bezug auf Auftreten und Ausmaß sein. Burnout beginnt oft mit Schlafstörungen und Rückzügen aus dem sozialen Leben. Es kann sein, dass die Neigung zu Unfällen, Abhängigkeit von Medikamenten und Nikotin erste Anzeichen sind. Später gesellen sich alle Arten von Herz-, Kreislauferkrankungen, Kopfschmerz, Tinnitus, Allergien, Gewichtsverlust/- zunahme, Infekte, Panikattacken, chronische Schmerzen etc. hinzu. Nicht selten werden über Jahre die Symptome behandelt, ohne dass eine Besserung für den Betroffenen eintritt.

Am Ende des Prozesses ähnelt Burnout der Depression. Die Übergänge sind fließend. Die Differentialdiagnose zwischen Burnout und Depression wird dann praktisch unmöglich. Körperlich haben die meisten „Ausgebrannten“ psychosomatische Beschwerden, wie Herz-, Magen- oder Darmbeschwerden. Sie entwickeln körperliche Störungen, ohne den Zusammenhang zu ihrer Lebenssituation zu erkennen.

Experten entschlüsseln nach und nach, was bei einem Burnout-Prozess im Körper abläuft. Die neurobiologische Basis ist ein hochgefahrenes Stress-System bei gleichzeitigem Absturz des Motivationssystems. Das Stress-System des Körpers gerät außer Kontrolle: Die Ausschüttung des Stresshormons CRH (Corticotropin releasing hormon) und Cortisol wird aktiviert, die der Geschlechtshormone Testosteron oder Östrogen unterdrückt. Gleichzeitig wird die Produktion von Adrenalin und Noradrenalin angeregt. Der Körper befindet sich in „ Dauer-Alarm“, der von der Natur nur für Ausnahmezustände gedacht ist. Hält dieser jedoch lange an, wirkt er schädlich. Herzschlag und Herzrhythmus verändern sich. Das Risiko für Herzinfarkt, Diabetes, Infektanfälligkeit steigt. Gleichzeitig senkt der Organismus die Ausschüttung von Dopamin, da dem Betroffenen Beachtung und Anerkennung fehlen. Das Hormon Dopamin gilt als Katalysator für Leistung und Motivation. Das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken, wird demzufolge geschürt und ein Lebensgefühl von „Nichts-geht-mehr“ ist die Folge.

Möglichkeiten und Hilfen für Betroffene

Menschen bleiben eher auf der Seite größerer Gesundheit, wenn sie ihr Leben in den wesentlichen Bereichen als stimmig und kohärent erleben. Alle neueren Konzepte und deren Anwendung, die der Stressbewältigung, der Salutogenese, der Resilienz, der Lebensbalancen (work-lifebalance) können – genau wie die Möglichkeit zur Kontemplation und Einkehr – dazu beisteuern, dass Betroffene ihre gesundheitsgefährdenden Burnout-Muster, entsprechend ihrer persönlichen Ressourcen, unterbrechen lernen. Zielsetzung sollte sein, den Teufelskreis von chronischer Erschöpfung mit ihren Folgen zu unterbinden, um so zu mehr Selbstverantwortung, Achtsamkeit, Lebensfreude und Gesundheit zu gelangen. Bei der Suche nach der besten Burnout-Therapie bietet die Forschung bislang keine eindeutige Hilfe, da chronische Erschöpfung – wie eingangs bereits erwähnt- häufig mit anderen Diagnosen belegt wird.

Zahlreiche Burnout-Betroffene werden fälschlicherweise rein symptomatisch behandelt, ohne dass die Ursachen beispielsweise der Herz- und Verdauungsstörungen- je ausgemacht werden. Gerade Erschöpfungszustände fordern Betroffene heraus, sich mit dem bisherigen Tun auseinander zu setzen, dies in Frage zu stellen und Konsequenzen zu ziehen. Selbst wenn der Befund Burnout vorliegt, sind die Gründe, die für den Dauerstress und das Ausbrennen verantwortlich sind, zu vielfältig, um nur eine Behandlungsrichtung zu empfehlen. Bei dem einen kann es um die Verbesserung der Konfliktfähigkeit gehen, bei einem anderen um die Veränderung der Wahrnehmungsfähigkeit oder Sinnfindung. Bei Vielbeschäftigten kann es notwendig sein, zwei- bis dreimal sportliche Aktivitäten in der Woche einzuplanen oder einen arbeitsfreien (Familien-)Tag auch wirklich einzuhalten.

„Ausgebrannte“ sollten lernen, ihre Tage zu strukturieren und Freizeit einzuplanen. Es geht um das Erlernen von Wechseln zwischen Belastung und Ruhepausen. Ziel ist es, die Belastungen zu verringern, so dass der Stress nicht chronisch wird. Die Flucht aus dem Job ist damit nicht gemeint. Wer ausscheidet, findet häufig schlecht wieder hinein. Und ein Jobwechsel garantiert nicht unbedingt eine Besserung der Symptome.

Gegenüber anderen seelischen Problemen bietet Burnout einen unschätzbaren beraterischen-therapeutischen Vorteil: Die Ursache ist bekannt, die Auslöser lassen sich begrenzen. Das ermöglicht die Einbeziehung konkreter Hilfen und Angebote aus verschieden Bereichen des Gesundheits-, Wellness-, Beratungs-, Coachings- und Therapiesektors. Denn es nützt langfristig wenig, wenn das Leben auf der Überholspur stattfindet, der Rasende dem Rausch der Geschwindigkeit erliegt. Irgendwann ermüdet das beständigste Material. Genauso ist es mit der Gesunderhaltung. Der Körper und der Geist sollten umso mehr gepflegt werden, je mehr diese beansprucht werden. Und umso mehr sollten Lebensbalancen in Einklang mit den sich ständig verändernden Kontextfaktoren gebracht werden.

Zusammengefasst: Viele Ausgebrannte haben den Schlüssel meist selbst in der Hand. Sie müssen ihn allerdings nutzen, um ihr redundantes, zerstörendes Muster zu unterbrechen. Denn das Schwierige am Umgang mit dem Burnout-Syndrom ist, dass man es sich zunächst nicht gestattet, betroffen zu sein. Chronische Erschöpfung gilt als weitverbreitetes gesellschaftliches Tabu. Viele Betroffene suchen dann einen gesicherten Ort mit Verschwiegenheitsversprechen auf, an dem sie, über ihre persönliche Überforderung und deren Auswirkungen reflektieren können. Menschen, die sich nicht im Gesundheitssystem bei ihrer Symptomatik angesprochen fühlen, nutzen gerne das Angebot der Katholischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien und Lebensfragen. Beratung kann hier als anregender Such- und Lernprozess präventiv und kurativ zur Gesundheit beisteuern.

Birgit Wolter
Quelle: Katholische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen, 50667 Köln
www.elf-koeln.de

 

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Das Schwerpunktthema für Juni 2014

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Text: Birgit Wolter
In: Pfarrbriefservice.de