Das Positive im Blick
Warum Jahresrückblicke sinnvoll sind und was man dabei beachten sollte – ein Interview
Wo fängt man da an? In einem Jahr ist so viel passiert. Wichtiges und Unwichtiges, Schönes und Schweres, Erinnerungswertes und Dinge, die man lieber schnell wieder vergisst. Warum sollte man am Ende eines Jahres darauf nochmal zurückschauen? Ein Gespräch dazu mit Otmar Schneider. Er ist Pastoralreferent für Exerzitien und Spirituelle Arbeit im Referat Geistliches Leben des Bistums Würzburg.
Wenn ich versuche, mich daran zu erinnern, was z.B. im Januar alles war, fällt mir das echt schwer. Und dann denk ich mir: Ist doch egal. Das ist vorbei. Wozu soll das gut sein, da noch mal hinzuschauen?
Otmar Schneider: Bei der Vielzahl an Erlebnissen und Begegnungen innerhalb eines Jahres kann es gut tun, so etwas wie eine innere Inventur zu machen und zu schauen, was an Erinnerungen auftaucht: Was gab es im zurückliegenden Jahr an schönen Momenten, was gilt es zu würdigen, was ist mir da gelungen, vielleicht auch weniger gelungen, was war da vielleicht auch an traurigen Erlebnissen, was war schwierig?
Ja, aber was habe ich davon?
Otmar Schneider: Ein Rückblick bietet mir die Chance, das ein oder andere zu würdigen und noch einmal Momente des Glücks in die Gegenwart zu heben. Ein Rückblick bietet mir auch die Chance, mich mit dem ein oder anderen Ereignis anzufreunden, das nicht so schön für mich war und mich damit zu versöhnen.
Aber ändern lässt sich dadurch nichts mehr.
Otmar Schneider: Was geschehen ist, ist geschehen. Das kann ich tatsächlich nicht mehr ändern. Aber ich kann durch einen Rückblick zu einer anderen Haltung im Blick auf dieses Geschehene kommen. Ich kann die Dinge noch einmal mit neuen Augen anschauen. Vielleicht bekomme ich eine neue Blickrichtung auf das ein oder andere Erlebte und es lässt sich dadurch zum Positiven hin wandeln.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Otmar Schneider: Wenn ich z.B. im zurückliegenden Jahr einen Verlust erlitten habe, vielleicht sogar einen mir nahe stehenden Menschen verloren habe, dann ist am Ende eines Jahres die Trauer über diesen Verlust in der Regel noch da. Bei einem Rückblick kann es hilfreich sein, nochmal das, was ich als positiv mit diesem Menschen erlebt habe, anzuschauen. Ich kann mich fragen, wofür ich, wenn ich an diesen Menschen denke, dankbar bin. Es findet auf diese Weise ein innerer Prozess statt, bei dem ich etwas mehr lassen und loslassen kann. Ich kann mich dadurch ein wenig mehr verabschieden. Ich kann noch einmal ein Foto aufstellen und mich in Dankbarkeit erinnern.
Sie sprachen vorhin von Haltung. Welche Haltung ist Ihrer Meinung nach förderlich für einen Rückblick?
Otmar Schneider: Ich finde es grundsätzlich gut, den Fokus beim Rückblick auf das Schöne und Gelungene zu richten. Denn normalerweise fallen uns ganz schnell eher Dinge und Ereignisse ein, die schwierig waren oder nicht so gelungen sind. Wenn ich aber den Fokus auf das Gute und Schöne richte, dann bekommt das Zurückliegende eine ganz eigene Qualität. Vielleicht erlebe ich dann auch so etwas wie Dankbarkeit für das, was alles war. Mir wird mehr bewusst, was ich im Laufe des Jahres alles an Gutem geschenkt bekommen habe. Da geht mir auf einmal auf: Wow, mir ist so vieles geschenkt worden. Mein Beitrag zum Leben ist das Eine. Zu ganz vielem trage ich aber relativ wenig bei. Ich denke da z.B. an unerwartete schöne Begegnungen und Erlebnisse, an die ein oder andere Feier mit Freunden oder an einen schönen Urlaub mit der Familie, aber auch an materielle Dinge, die mich umgeben und mir einfach jeden Tag aufs Neue geschenkt werden.
Und wenn es ein schwieriges Jahr war?
Otmar Schneider: Wenn der Blick dahin fällt, wo es im zurückliegenden Jahr schwierige Zeiten gab, dann ist es auch gut, da zu verweilen und auf das zu schauen. Vielleicht gab es ja auch Verletzungen, die mir jemand zugefügt hat oder die ich jemanden zugefügt habe. Unser Leben geht nicht ohne Verletzung ab. Auch da kann ich hinspüren: Gibt es bei mir einen Wunsch nach Heilung oder nach Versöhnung? Wo möchte sich etwas zum Positiven hin verändern? Nach was habe ich Sehnsucht? Doch ich brauche nicht in dem Schweren hängen bleiben. Ich darf fragen, was oder wer mir in schwierigen Zeiten geholfen hat. Wer oder was hat mich da gestützt und unterstützt? Wenn ich das für mich entdecke, dann kann es passieren, dass ich zu einer anderen Haltung komme. Ich merke vielleicht sogar, dass ich an der schwierigen Situation gewachsen bin.
Wie schafft man es, sich auch unangenehmen Dingen, wie z.B. Versagen oder Schuld zu stellen?
Otmar Schneider: Unangenehme Dinge kommen, wenn ich mir für einen Rückblick Zeit lasse, automatisch ins Bewusstsein. Wenn ich Muße habe und einen guten Ort für mich gewählt habe, kann ich mich auch dem stellen. Die Chance liegt dann darin, das Unangenehme einfach mal in Ruhe wertfrei anzuschauen. Wenn z.B. eine Freundschaft auseinandergegangen ist, kann ich der Person, die jetzt nicht mehr in meinem Leben da ist, einen Brief oder eine Karte schreiben. Oder ich kann selber für mich niederschreiben, was mir an dieser Beziehung wertvoll war. Ich kann diese Zeilen, wenn ich mag, für eine Weile an einen guten Ort legen oder auch in einem Ritual verbrennen. Wie es für mich passt. Das hilft mir, mehr vom Alten loszulassen und darauf zu vertrauen, dass das Leben für alle gut weitergehen wird.
Ihr Tipp wäre also, bei einem Rückblick vor allem auf das Positive zu schauen.
Otmar Schneider: Wir neigen dazu, uns ins Negative hinein zu vergraben und in dem hängen zu bleiben, was nicht so gut war. Ich lade deshalb gerne dazu ein, das Gewesene in Ruhe anzuschauen und auf alle Fälle die guten Dinge in den Blick zu nehmen. Und selbst, wenn etwas nicht so gut war, kann es letztendlich gut sein. Das klingt ein bisschen paradox. Das hängt wieder mit meiner inneren Haltung zusammen, wie ich auf Dinge schaue. Hilfreich ist dabei, zu mir selber liebevoll, vielleicht auch ein wenig barmherzig zu sein. Ich darf mit liebevollen Augen auf das Zurückliegende schauen und mich dabei auf das Neue ausrichten. Dabei ist mir wichtig: Ich brauche nicht alles alleine schaffen. Da kommt das Gottvertrauen ins Spiel. Ein biblisches Wort, es steht beim Propheten Jesaja, macht mir persönlich immer wieder Mut zum Weitergehen. Da heißt es: Seht her, nun mache ich etwas Neues.
Interview: Elfriede Klauer, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Elfriede KlauerIn: Pfarrbriefservice.de