"Das Telefongespräch ist oftmals für Mobbingopfer der erste Schritt"

Eine Telefonberaterin berichtet

Seit ca. 2 Jahren engagiere ich mich als ehrenamtliche Telefonberaterin bei der Mobbing-Hotline im Bistum Aachen. Während dieser Zeit habe ich mit einer Vielzahl an Menschen gesprochen, die sich hilfesuchend an das Beratungstelefon gewandt haben.

Die Gründe für einen Anruf reichten von dem einfachen Wunsch, Kontaktadressen vermittelt zu bekommen, z.B. von Selbsthilfegruppen, Ärzten, Rechtsanwälten oder Therapeuten, bis hin zu ausführlichen Beratungsgesprächen.

Das Telefongespräch mit den MobbingberaterInnen ist für die Mobbingopfer oftmals der erste Schritt, das Problem außerhalb von Familie und Freunden zu erörtern. Mit zunehmender Anzahl an Gesprächen habe ich feststellen können, dass viele AnruferInnen zunächst einmal einen unparteiischen Gesprächspartner suchen. Daher betrachte ich als eine meiner wichtigsten Aufgaben, den AnruferInnen das Gefühl zu vermitteln, dass ich ihnen Ruhe, Geduld und Verständnis für ihre Situation entgegenbringe.

Wenn zu Beginn eines Gespräches bei mir der Eindruck entsteht, mein Gesprächspartner steht emotional sehr unter Druck, sehe ich meine primäre Aufgabe darin, zunächst einmal nur zuzuhören. Erst im nächsten Schritt werde ich mit Hilfe des Anrufers eine grobe Skizze des Konfliktes erarbeiten. Für das eigene Verständnis mache ich Notizen und stelle die geschilderte Situation auch schon mal zeichnerisch dar. Letzteres ist der Versuch, sehr komplexe Mobbingfälle besser zu erkennen.

An eine Anruferin erinnere ich mich besonders deutlich. Die betroffene Person berichtete von den Schikanen ihrer einstmals guten Beziehung zu Arbeitskolleginnen. Klassische Verhaltensweisen der Mobber, Verstummen der Gespräche bei Eintritt in das Büro, Übertragen von Tätigkeiten die nicht der Ausbildung entsprachen, ließen sie im Laufe der Zeit immer mehr spüren, dass etwas nicht mehr stimmte. Während des gesamten Gespräches weinte die Anruferin und war kaum in der Lage, mir ihre Situation zusammenhängend zu schildern. Nach ca. 50 Minuten, ich wollte langsam das Ende des Gespräches einleiten, teilte mir die Anruferin mit, sie habe vor sich auf dem Tisch alle ihre Medikamente stehen und wäre auch bereit, diese zu schlucken. Dies war für mich eine der unangenehmsten Situationen, die ich bisher erlebt habe.

Was sollte ich machen? Natürlich beendete ich mein Gespräch nicht und versuchte die Frau dazu zu bewegen, die vor ihr aufgehäuften Medikamente wieder dahin zurückzubringen, wo sie sie hergeholt hatte. Ich versuchte ihr zu vermitteln, dass sie mit dem Anruf schon eine große Stärke bewiesen habe und den ersten Schritt zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Problem gegangen sei.

Irgendwann beruhigte sich die Anruferin ein wenig und sagte mir, dass es ihr schon ein wenig besser ginge und dass es ihr nur darum gegangen sei, einmal zu sagen, "Ich kann nicht mehr". Im Prinzip habe sie nicht die Absicht, die Tabletten einzunehmen, aber sie wollte es endlich mal gesagt haben, wie schlecht sie sich fühle.

Meine Situation als Telefonberaterin war in diesem Moment nicht einfach. Ich habe mich gefragt, was ist das Richtige, was muss bzw. darf ich ihr sagen, finde ich die richtigen Worte? Diese Situation hat mich in meiner Meinung bestärkt, dass das Dasein und die Bereitschaft, unvoreingenommen als fremde Person den Schilderungen der Menschen zuzuhören, ihnen eine große erste Hilfe ist.

Mit der Anruferin habe ich vereinbart, dass sie beim nächsten Mobbingberatungstag wieder anrufen solle, auch wenn ich selbst nicht Dienst hätte. Ich glaube, dass ihr das Gespräch in dem Sinne geholfen hat, dass sie den lang aufgestauten Druck zunächst einmal los wurde, und ich hoffe, dass sie die Kraft und den Mut gefunden hat, weitere Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Dieses Gespräch ist ca. ein dreiviertel Jahr her. Das Bild, einen Tisch mit Medikamenten und davor eine verzweifelte Frau, ist mir bis heute sehr präsent. Zum Zeitpunkt des Telefonates waren mehrere meiner KollegInnen anwesend. Die Situation war direkt nach dem Gespräch für mich weniger belastend als einige Zeit später. Ich habe mir schon öfters die Frage gestellt, wie es dieser Frau gehen mag.

Als Telefonberaterin bleibt es mir meist verwehrt, den Prozessverlauf beobachten zu können. Dies lässt offene Fragen zurück und damit muss ich umzugehen lernen. Dem gegenüber steht die bessere Abgrenzungsmöglichkeit bei nur einmalig stattfindenden Gesprächen.

Auch in Zukunft werde ich am Telefon sitzen und Auskünfte zum Thema "Mobbing am Arbeitsplatz" geben, gleichzeitig möchte ich als geduldige und verständnisvolle Gesprächspartnerin für die AnruferInnen zur Verfügung stehen.

Quelle: www.mobbingline.nrw.de  

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Das Schwerpunktthema für Juli 2012

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Text: www.mobbingline.nrw.de
In: Pfarrbriefservice.de