"Das Ziel der Fastenzeit ist nicht das Fasten"
Ein Interview über den Sinn der Fastenzeit mit dem Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranema
Wer heute fastet, tut es häufig dem Körper und dem guten Aussehen zu Liebe. Ursprünglich hatte das Fasten aber religiöse Gründe. Alle Weltreligionen kennen es. Im Christentum ist es besonders die Zeit vor Ostern, in der gefastet wird. Dabei stellt das Fasten keinen Selbstzweck dar, wie der Erfurter Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Benedikt Kranemann betont.
Frage: Wohl jeder hat schon einmal gefastet, meist um überschüssige Pfunde zu verlieren. Warum beginnen die Christen damit an Aschermittwoch?
KRANEMANN: Uns geht es nicht ums Schlankwerden oder körperliche Fitness. Mit Beginn des Aschermittwochs bereiten sich die Christen auf Ostern vor, das Fest der Auferstehung Jesu Christi. Das Fasten hilft, offen zu werden für die Leidensgeschichte Jesu und gleichzeitig zu entdecken, dass Gottes Geschichte mit den Menschen weiter geht: über Leiden und Tod hinaus zur Auferstehung.
Frage: Und das entdeckt man, indem man weniger isst?
KRANEMANN: Fasten meint nicht nur den Verzicht auf Nahrung. Es geht um ein bewusstes Durchbrechen gewohnter Lebensabläufe. So soll bewusst werden, was wirklich im Leben zählt: Zum Beispiel Solidarität, indem man selbst auf Dinge und Vergnügungen verzichtet und das gesparte Geld anderen spendet. Oder die gemeinsame Zeit mit der Familie, weil man das Fernsehen einschränkt. Das können befreiende, also österliche Erfahrungen sein. Und selbstverständlich gehören auch Stille, Gebet und Meditation in diese Zeit.
Frage: Am Aschermittwoch findet in der katholischen Kirche ein archaisch anmutendes Ritual statt.
KRANEMANN: In den Gottesdiensten lassen sich die Gläubigen Aschenkreuze auf die Stirn zeichnen. Ein Brauch aus der alten Kirche, als schwere Sünder bis Ostern nicht an den Gottesdiensten teilnehmen durften. Sie trugen Büßergewänder und es wurde ihnen Asche als Zeichen der Buße auf den Kopf gestreut. Heute erinnert der Asche-Ritus an die Vergänglichkeit des Menschen und daran, dass der Mensch besser lebt, wenn er sich zur Botschaft Jesu Christi bekehrt. Die katholische Liturgie nutzt solche markanten, ja drastischen Zeichen, um wichtigen Inhalten Ausdruck zu verleihen.
Frage: Gibt es noch weitere solcher Zeichen in der Fastenzeit?
KRANEMANN: Die Messgewänder sind violett, die liturgische Farbe der Buße und Vorbereitung. Die Feier der Heiligen Messe wird schlichter, weil die Gemeinde weder das Gloria noch das Halleluja singt. In den Kirchen hängen so genannte Hungertücher, die das Leiden Christi zeigen. Seit einigen Jahren gestalten Künstler aus Entwicklungsländern diese Tücher und erinnern so daran, dass Christus noch heute in den Armen leidet und Solidarität fordert. Und zwei Wochen vor Ostern werden die Kreuze verhüllt. Was auf Zeit den Augen entzogen ist, ermöglicht einen neuen Blick auf das Verborgene und damit eine intensivere Auseinandersetzung.
Frage: Man spricht von 40 Tagen der Fastenzeit, aber bis Ostern sind es tatsächlich 46 Tage.
KRANEMANN: Die Sonntage sind keine Fastentage, weil jeder Sonntag ein kleines Osterfest ist, an dem die Gemeinde zusammen kommt, Gott Dank sagt und den Tod und die Auferstehung Jesu Christi feiert. Das Ziel der Fastenzeit ist eben Ostern und nicht das Fasten selbst. Die Kirche spricht darum auch lieber von der österlichen Bußzeit als von der Fastenzeit, damit sich der Blick nicht auf das Fasten verengt. Denn die österliche Bußzeit ist auch eine intensive Vorbereitungszeit für die erwachsenen Taufbewerber, die in der Osternacht getauft werden, und ihre Gemeinden.
Frage: Und nach den 40 Tagen kommt dann endlich das Osterfest?
KRANEMANN: Das Fest der Auferstehung. Die christliche Existenz auf Erden entspricht der Situation des Karsamstags: Eingespannt zwischen dem Tod am Karfreitag und der Auferstehung der Osternacht, aber im Glauben, dass Ostern Wirklichkeit wird. Der Tod behält nicht das letzte Wort über den Menschen. Aus dieser österlichen Hoffnung heraus kann der Christ leben und die Welt verändern.
Das Interview führte Peter Weidemann, Pressereferent des Bistums Erfurt und Redaktionsmitglied bei Pfarrbriefservice.de
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Text: Peter WeidemannIn: Pfarrbriefservice.de