In den Fußspuren Jesu
Ein Reisebericht
Der „Jerusalemweg“ führt abseits konventioneller Pilgerwege hinein in die unmittelbare Begegnung mit der biblischen Landschaft. - Erfahrungen einer Wanderreise von Nazareth über die heiligen Stätten am See Genezareth nach Jerusalem.
Jerusalem war das erste große Pilgerziel der Christenheit, vor Rom und Santiago de Compostela. Pilgerreisen ins Heilige Land haben Tradition – und ziehen in unseren Tagen wieder verstärkt Menschen in ihren Bann. Aus gutem Grund, meint Georg Rößler, der unsere Gruppe führt: „Jesus ist an diesem Ort Mensch geworden. Die Landschaft hier ist ganz zentral für das Verständnis der Bibel und die Botschaft Christi.“ Rößler verweist auf den Kirchenvater Hieronymus, der bereits im 4. Jahrhundert die Landschaft des Heiligen Landes als „fünftes Evangelium“ beschrieb, als Schlüssel zum Verständnis der Heiligen Schrift.
Der Jerusalemweg bringt Pilger in Berührung mit der Mission und Passion Jesu. Er führt durch das in den Evangelien beschriebene Galiläa von Nazareth zum See Genezareth – wo Jesu mit seiner Mission erstmals in die Öffentlichkeit tritt. Und setzt sich fort durch die eindrucksvollen Landschaften der Judäischen Wüste hinauf nach Jerusalem, Ort der Passion Jesu. Am leeren Grab mit seiner Verheißung vom Sieg des Lebens über den Tod endet der Pilgerweg.
Natürlich könne man das Land auch mit dem Bus bereisen, meint Georg Rößler, der den Jerusalemweg erschlossen hat und von dem er immer noch fasziniert ist, obwohl er ihn schon so oft gegangen ist. Zu Fuß sei die Erfahrung viel intensiver. Also werden wir für einige Tage in den Fußspuren Jesu gehen. Die Pilgerwanderung nach Jerusalem durch einige der schönsten Landschaften Israels und Palästinas hat ihren Ausgangspunkt in Nazareth, das zur Zeit Jesu nur ein Dorf war, wie unser Tour-Begleiter erzählt. Die spätere christliche 80.000-Einwohner-Stadt ist heute mehrheitlich von muslimischen Arabern bewohnt, die Oberstadt auf den umliegenden Hügeln von Juden.
Begegnung mit Orten der Bibel
Pflicht für Pilger ist in Nazareth der Besuch der modernen Verkündigungsbasilika aus dem Jahr 1969. Sie ist über der Stelle erbaut, an dem gemäß biblischer Überlieferung der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria erschienen ist. „Beginn einer guten Geschichte für die Menschheit", so Georg Rößler. Nach einem Rundgang durch die Altstadt Nazareths mit ihren engen und steilen Gassen kommen wir nach Zippori, dem antiken Sepphoris, der vielleicht schönsten Stadt Galiläas zu Zeiten Jesu. „Gut möglich, dass Josef von Nazareth nach Zippori gekommen ist, um hier als Schreiner zu arbeiten“, mutmaßt Rößler in seiner biblischen Einordnung.
Von hier geht es - nach einem Picknick unter Olivenbäumen - über etwa sieben Kilometer auf einem leichten Weg nach Kana, das mit seiner franziskanischen „Hochzeitskirche“ an das Weinwunder Jesu erinnert. Der in den Andenkenläden angebotene „Hochzeitswein“ ist übrigens nicht sehr empfehlenswert. Aber mit dem Erlös unterstützt man zumindest einheimische kleine Händler. Übernachtet wird nach dem Pilgertag im Kibbuz Lavi. Gerne gibt man hier Auskunft über dessen Geschichte und Entwicklung. Er ist heute einer der wenigen, der noch nach sozialistisch-religiösen Grundsätzen organisiert ist – zum Beispiel mit kollektivem Besitz.
Der nächste Pilgertag beginnt sehr früh, die übrigen Hotelgäste schlafen noch, Frühstücksboxen und Flaschen mit Trinkwasser sind für uns gerichtet. Während wir wandern, geht die Sonne auf über den Hügeln Galiläas. Eine Stimmung, die uns still werden lässt. Der kleine Pfad ist kaum zu erkennen, und wer unvorsichtig ist, dem zerkratzen Dornenbüsche die Beine. „Pilgern heißt wörtlich, ‚sich über den Acker machen‘, ausgetretene Wege verlassen, Neuland betreten“, hatte Rößler die Gruppe am Abend zuvor auf diese Erfahrung eingestimmt. Der Theologe und Judaist ist vor über 30 Jahren vom Rheinland nach Israel ausgewandert und hat zusammen mit einem Partner die Firma SK Tours in Nature aufgebaut, die vielfältige Reisen im Heiligen Land im Programm hat und zudem als Spezialist für Natur-, Wüsten- und Wanderreisen gilt. Rößler, der mit einer Israelin verheiratet ist, hat noch eine andere Beziehung zum Heiligen Land. Sein Großvater Walter Rößler war während des Ersten Weltkrieges deutscher Konsul in Aleppo – und einer der ganz wenigen, der seine Stimme erhob gegen den Genozid an den Armeniern durch das Osmanische Reich.
Wir machen Pause und trinken frischen Pfefferminztee. Georg Rößler hat immer eine Teekanne mit den notwendigen Utensilien für eine Pause in seinem roten Rucksack dabei. Die frische Minze im schwarz-süßen Tee ist ein Genuss. Dazu gibt es wieder Bibelkunde von ihm: „Jesus ist zunächst nur einer von vielen und lebt ein ganz beschauliches Leben in Nazareth. Doch irgendwann macht er sich auf den Weg – scheinbar völlig unvernünftig.“ Für den nächsten Teil der Strecke gibt uns der Guide Fragen mit auf den Weg: „Warum bricht Jesus auf? Wofür brennt er? Und wofür brennst du in deinem Leben?“
Schweigend unterwegs in den Bergen Galiläas
Den eigenen Gedanken nachhängend, wandern wir schweigend weiter, jeder für sich allein. Der Weg führt vorbei an den „Hörnern von Hittim“. Ein Ort von weltgeschichtlicher Bedeutung. Bei den beiden Berghöhen vernichteten in einer entscheidenden Schlacht die Truppen Sultan Saladins 1187 das christliche Kreuzfahrerheer. Vorbei an alten Olivenhainen, in denen Rinder grasen, kommen wir ins Wadi Chaman, besser bekannt als „Taubental“. Lila Disteln bilden kleine Farbtupfer im grauen Gestein. Ein Schild an einem verrosteten Zaun warnt vor Minen aus vergangenen Kriegen. Kleine Bäche kreuzen den Weg, die mit gegenseitiger Hilfestellung jedoch leicht zu überwinden sind. Das anfänglich noch breite Tal wird zunehmend enger. Die Höhlen an den Seitenwänden des Taubentals waren schon in der Antike bewohnt und dienten auch Aufständischen im Kampf gegen Herodes und später den Römern als Unterschlupf. Rößler: „Diesen reizvollen und gleichzeitig gefährlichen Weg ist Jesus auf seinem Weg zum See Genezareth mit Sicherheit gegangen."
Wir setzen unsere Jesus-Spurensuche am Nordufer des Sees Genezareth fort. Viele der bedeutenden Stätten sind hier - im sogenannten "Jesuanischen Dreieck" - nur einen Steinwurf voneinander entfernt: Tabgha, der Ort der Brotvermehrung, Kapernaum, der Fischerort, aus dem einige der Jünger kommen, und der Berg der Seligpreisungen, auf dem Jesus die berühmte Bergpredigt gehalten hat. In dieser Region habe Christus seine Mission begonnen, erläutert Rößler seinen Mitpilgern am Ufer des Sees in Kapernaum - in Sichtweite der Synagoge, in der Jesus zu Beginn seines Wirkens lehrte, und der modernen Kirche über dem "Haus des Petrus". In Kapernaum habe Jesus für die kurze Zeit seines öffentlichen Wirkens sein “Hauptquartier“ aufgeschlagen. „Jesus ist erfüllt von seiner Aufgabe - er heilt, er hilft, er erzählt von einer anderen größeren Welt." Nach dem Bibelexkurs überlässt Rößler uns der besonderen Stimmung dieses Ortes; die geistlichen Lieder junger Leute passen dazu. Am Abend geht es mit dem Bus durch das Jordantal zum Toten Meer; einige Teilabschnitte des Weges sind wegen des dichten Verkehrs nicht zum Wandern geeignet. Vom Toten Meer aus durchqueren wir dann in zwei Tagen die Judäische Wüste und das Wadi Kelt und blicken schließlich auf Jerusalem.
Durch die Judäische Wüste nach Jerusalem
Wir übernachten in Jericho. Hier heilte Jesus unter anderem den blinden Bartimäus, und in der Nähe soll er 40 Tage in der Wüste gefastet und den Versuchungen des Satans widerstanden haben. Die Evangelien sagen wenig über die Wege, auf denen Jesus unterwegs war. Als er sich von Jericho nach Jerusalem aufmachte, nahm er möglicherweise den historischen „Zuckerweg“ durch die Judäische Wüste, auf dem in der Antike bis in die jüngere Neuzeit Zuckerrohr vom Toten Meer nach Jerusalem transportiert wurde, daher kommt auch der Name.
Gegen vier Uhr morgens – es ist noch stockdunkel – brechen wir auf, um einen Teil des Weges schon in den kühlen Morgenstunden zurückzulegen. Gerade noch rechtzeitig erklimmen wir die steilen Hänge des Jordangrabens am Rande der Wüste und sehen die Sonne über dem Toten Meer aufgehen, das als große silberne Fläche erscheint. Schauen, staunen, durchatmen. Ein unvergessliches Erlebnis. Man will den Ort kaum verlassen, aber wir müssen weiter. Vom Toten Meer bis Jerusalem sind insgesamt 1.300 Meter Höhenunterschied zu bewältigen. Wie ein Märchengebäude taucht Nabi Musa in der weiten Landschaft auf, ein altes Beduinengrab, das von den Muslimen als das Grab des Propheten Moses verehrt wird. Um das Gebäude Gräber, in denen bereits im Mittelalter Pilger ihre letzte Ruhe gefunden haben.
„Auch in der Zeit Jesu sind die Menschen natürlich früh aufgebrochen, um vor der Mittagssonne ausruhen zu können“, so Georg Rößler. Und so machen auch wir es, suchen in einem Hohlweg eine schattige Stelle. Nach Stunden in der Wüste sehnen wir uns nach einer Pause – und nach Schatten. Schon bald summt der Gaskocher, auf dem unser Pilgerbegleiter Tee für die kleine Gruppe kocht. Das ist ein schönes Ritual geworden.
Die Wüste als Sehnsuchtsort
In der Bibel gilt die Wüste als Sehnsuchtsort, als Ort der Erinnerung an die Zeit, in der das Volk Israel und ebenso Jesus immer wieder Gott nahe gekommen sind. Ihre Stille bietet Raum für Gebet und für Erkundungen der eigenen Seele. Bis heute ist sie ein Ort für Sinnsucher. Georg Rößler fügt folgende Erfahrung der Menschen hinzu: „In der Wüste ist der Einzelne verloren, nur in der Gemeinschaft gibt es ein Überleben. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst – die Wüste macht das Gebot greifbar. Man muss auf den anderen Acht geben und ihm die Hand reichen, wenn es nicht weitergeht.“ Diese Erfahrung machen auch wir auf unserem Pilgerweg, und es ist ein gutes, bereicherndes Gefühl.
Am nächsten Tag wandern wir auf abenteuerlich verschlungenen Wegen durch das Wadi Kelt weiter auf Jerusalem zu. Nach starken Regenfällen wälzen sich schon einmal gefährliche Sturzfluten durch den engen Canyon. Als wir unterwegs sind, fließt zwischen den hohen Felsenwänden jedoch nur ein kleiner Bach. Trotzdem wächst meterhohes Schilf im Flussbett und zieht sich wie ein grünes Band durch die ansonsten karge Landschaft. Der Kontrast zu der heißen und nackten Wüste des Vortages könnte nicht größer sein. Wir kommen vorbei an kleineren und größeren Wasserbecken, in denen Fische schwimmen. Stellenweise führt der schmale Weg entlang der Felswände, Steighilfen erleichtern das Fortkommen.
Und dann, irgendwann, Jerusalem. Hinter uns die Judäische Wüste, vor uns diese unvergleichliche Stadt. Jerusalem, Heilige Stadt. Vom Skopusberg pilgern wir an der Westflanke des Ölbergs hinab, durch das Kidrontal vorbei an Grabmälern aus der Zeit Jesu Richtung Jerusalem. Das Löwentor öffnet uns den Zugang zur Stadt, über die langsam die Dämmerung hereinbricht. Über die Via Dolorosa, in der sich noch Touristen, Wallfahrer und Bewohner der Altstadt drängen, nähern wir uns Schritt für Schritt unserem Pilgerziel: dem leeren Grab in der Grabes- und Auferstehungskirche. Ohne diesen Ort wäre alles Pilgern nichts. Georg Rößler lässt uns auf dem Platz vor der Kirche zur Ruhe kommen. Wir sind angekommen. In der Kirche wird noch Gottesdienst gefeiert – und an vielen Stellen gebetet. In vielen Sprachen, von Gläubigen aus allen Weltteilen. Hier ist der zentrale Glaubensinhalt des Christentums verankert: Gottes Sohn ist Mensch geworden und wie ein Mensch gestorben. In der Auferstehung hat er den Tod überwunden und neues Leben verheißen. Das leere Grab als Hoffnungsbotschaft.
Buchtipp: Begleiter für Pilgerweg
„Auf dem Weg nach Jerusalem.“ Das Buch von Georg Rößler lädt ein, ausgetretene Pfade konventioneller Pilgerreisen im Heiligen Land zu verlassen und einzutauchen in die unmittelbare Begegnung mit der biblischen Landschaft, mit ihren Wadis, ihren Bergen, ihrer Zeitgeschichte und ihrer besonderen Atmosphäre. Unbedingt lesenswert, nicht nur für Jerusalempilger.
Georg Rößler, „Auf dem Weg nach Jerusalem. Ein Begleiter für die Pilgerwanderung in die heilige Stadt“, gebunden, 190 Seiten, 20 Euro. AphorismA-Verlag, Berlin
Norbert Rönn, der pilger, www.der-pilger.de, In: Pfarrbriefservice.de
Datei-Info:
Dateiformat: .rtf
Dateigröße: 0,06 MB
Sie dürfen diesen Text für alle nichtkommerziellen Zwecke der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit (z.B. Pfarr-/Gemeindebrief, Plakat, Flyer, Website) sowie für Unterrichtszwecke* nutzen. Die Nutzung ist in dem beschriebenen Rahmen honorarfrei. Sie verpflichten sich den Namen des Autors/-in, als Quelle Pfarrbriefservice.de und ggf. weitere Angaben zu nennen.
*) Ausführliche Infos zu unseren Nutzungsbedingungen finden Sie hier.
Wir freuen uns über die Zusendung eines Belegs an die Redaktionsanschrift.
Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen
Text: Norbert Rönn, Quelle: der pilger, www.der-pilger.deIn: Pfarrbriefservice.de