Der Mensch von nebenan
Es lohnt sich, ins Gespräch zu kommen und Kontakt aufzubauen
Unsere Wohnung befand sich in einem Mehrfamilienhaus in München. Eine richtig gute Lage, nahe Sendlinger Tor und dem angrenzenden Glockenbach- und Gärtnerplatzviertel und dazu auch noch bezahlbar. Ich war gerade mit meinem Freund zusammengezogen, beide waren wir neu in der Stadt. Im Haus wohnten einige ältere Herrschaften, schon seit den 1960er Jahren. Sie waren bemüht, für Recht und Ordnung im Haus zu sorgen. Das Verhältnis zu uns war distanziert und ein wenig misstrauisch. Man grüßte sich, zu einem Gespräch kam es eigentlich nur, wenn es eine Beschwerde gab. Ich weiß noch, wie geschimpft wurde, weil das Fahrrad vor dem Altpapiercontainer stand oder unten an der Eingangstür jemand vergessen hatte, den Schnapper rauszumachen. Wir standen grundsätzlich unter Generalverdacht, Verteidigung zwecklos.
Plötzlich hatten wir uns etwas zu sagen
Und dann änderte sich das Verhältnis von einem Tag auf den anderen. Als ich damals mit meinem drei Tage alten Neugeborenen aus dem Krankenhaus kam, ließ unsere Tochter, kaum war die Tür geöffnet, die ersten zarten Babyschreie erschallen. Als wir die Treppen hinaufstiegen – wir wohnten im vierten Stock – öffneten sich nacheinander in jedem Stockwerk die Türen. Als ob sie nur darauf gewartet hätten, dass wir endlich nach Hause kommen. Die beiden älteren Ehepaare, die alleinstehende Dame, alle gratulierten und freuten sich von Herzen. Mit Tränen in den Augen schauten sie unser Baby an und bemerkten fast ein wenig stolz: „Seit dreißig Jahren gab es hier kein Baby mehr. Aber jetzt endlich.“ Ab diesem Zeitpunkt waren wir im Ansehen immens gestiegen, und egal ob meine Tochter im Hausflur einen kleinen Schrei- und Wutanfall bekam oder die Nacht durchbrüllte: Sie war immer die Prinzessin. „Sie soll sich nur bemerkbar machen“, freuten sich die Nachbarn. Den Kinderwagen durften wir im engen Hausflur vor die Briefkästen stellen. Wenn ich kurz noch einmal eine Kleinigkeit einkaufen musste oder einen Termin hatte, wusste ich, dass ich immer einen Babysitter für meine Tochter finden würde. Als wir aus München wegzogen, schrieben wir uns jahrelang kleine Grußbotschaften, meist legte ich ein, zwei Fotos von unserer Tochter in den Brief mit dazu.
Mit den Nachbarn hat man sich je nach Lebenssituation manchmal mehr, manchmal weniger zu sagen. Hatte ich zuvor kein großes Interesse, nach der Arbeit noch mit den älteren Leuten zu reden und war ganz froh darüber, auf dem Hausflur niemandem zu begegnen, befand ich mich plötzlich in einer ganz anderen Lebenssituation. Ich schätzte die Hilfe, die mir angeboten wurde, und freute mich, ein kleines Schwätzchen zu halten.
Interessen im Gleichgewicht
Eine gute Nachbarschaft sollte im besten Fall ein gesundes Gleichgewicht zwischen den eigenen und den Interessen des Nachbarn bilden. So erklärt der Sozialpsychologe Volker Linneweber von der Universität des Saarlandes: „Gute Nachbarschaft ist eigentlich eine, die offen ist, in der man respektiert, dass es ein Mehr oder Weniger an Nähe gibt. Dass man die Bedürfnisse der Nachbarn akzeptiert, ohne sich dem zu unterwerfen.“
Seine Nachbarn sucht man sich nicht aus, somit gehört ein wenig Feingefühl dazu, zu erkennen, wie die Menschen im Haus oder der Wohnung nebenan ticken. […] Nachbarn müssen und können nicht immer die besten Freunde sein. Es lohnt sich dennoch, ins Gespräch zu kommen und Kontakt aufzubauen – auch um Gemeinsamkeiten zu entdecken. Manchmal kostet es Überwindung und man muss über seinen Schatten springen, um auf den anderen zuzugehen. Nachbarschaftsinitiativen, wie die Internetplattform nebenan.de, sind eine gute Hilfe, um die ersten Schritte zu erleichtern.
Steffi Piening
Quelle: der pilger. www.der-pilger.de, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Steffi Piening, Quelle: der pilger. www.der-pilger.deIn: Pfarrbriefservice.de