Der Skandal von Karfreitag
Ein Gekreuzigter als Inbegriff der Liebe Gottes?
Die Vorstellung, dass Gott sich kreuzigen lässt, ist für die Heiden der Antike eine Eselei, für rechtgläubige Juden und Muslime bis heute ein abwegiger, gotteslästerlicher Gedanke, für moderne, liberale Erfolgsmenschen eine Peinlichkeit. Für gläubige Christen ist sie nach wie vor das A und O ihres Glaubens.
Kein Andachtsbild
Die älteste uns erhaltene Darstellung des Gekreuzigten ist kein frommes Andachtsbild, sondern eine Karikatur aus der Zeit der Christenverfolgung: Eine Wandkritzelei auf dem Palatin in Rom zeigt den Gekreuzigten mit Eselskopf, davor einen Beter, darunter die spöttischen Worte: "Alexamenos betet seinen Gott an".
Der heidnische Karikaturist kann offensichtlich nicht verstehen, warum sein Bekannter Alexamenos der Religion des Gekreuzigten nachläuft. Ist Religion nicht dazu da, sich schöne erhebende Gefühle zu verschaffen? Sich von positiven göttlichen Kräften durchströmen zu lassen? Verkörpern die Götter nicht Luxus, Reichtum, Genuss, Lust, Unsterblichkeit?
Versager?
Was soll da eine Hinrichtung am Kreuz? Ein Gekreuzigter ist in den Augen eines tüchtigen römischen Bürgers ein Verbrecher, zumindest ein Versager, jedenfalls ein vom Schicksal Verfluchter und von den Göttern Verlassener. Ein Gott, der sich kreuzigen lässt, muss ein Esel sein. Das Kreuz verkörpert alles Schiefgelaufene, Grausame, Sinnlose in dieser Welt. Ein anständiger Mensch - so der alte Cicero - sollte nicht einmal daran denken.
Der Blick auf die dunkle Seite des Lebens, auf das unvermeidbare Leid, das auch Unschuldige trifft, hat Menschen seit jeher hilflos gemacht.
Flucht
Viele entfliehen dieser Hilflosigkeit, indem sie sich ins Vergnügen stürzen. Andere wollen durch "positives Denken" nur das Schöne und Gute in Welt und Natur wahrhaben. Manche - vor allem esoterisch angehauchte Menschen – versuchen, das Leid "philosophisch" zu erklären, z. B. mit der Lehre von der Wiedergeburt: Gegenwärtige Schicksalsschläge seien nur die "gerechte Strafe" für das Fehlverhalten in früheren Leben. Aber darf man es sich so einfach machen? Wer kann grausam misshandelten Kindern mit gutem Gewissen sagen: Das habt ihr euch selbst "eingebrockt"!?
Christliche Frechheit
Der christliche Glaube kennt keine philosophische Erklärung für das Leid. Auf die oft gestellte Frage, warum ein liebender Gott all das Furchtbare in der Welt zulassen kann, weiß er keine befriedigende Antwort. Er darf bescheiden einbekennen: Ich stehe nicht an der Stelle Gottes. Ich durchschaue Gottes Wege nicht und muss sie daher auch nicht rechtfertigen. Christlicher Glaube "weiß" aber: Gott steht an meiner Stelle. Er ist in Jesus von Nazaret tatsächlich einer von uns geworden ist. Der ewige Gott als sterblicher Menschenbruder. Eine christliche "Frechheit"! Juden und Muslime würden in ihren Aussagen über Gott niemals so weit gehen. Aber Christen wagen es zu sagen: Gott kennt das Menschsein nicht nur "von außen", sondern "von innen", aus eigener Erfahrung. Er hat ein echtes Menschenleben durchlebt und "durchliebt", gerade auch die dunklen Seiten unserer Existenz: das Abgelehnt-Werden, die Enttäuschung, die Angst, die Einsamkeit, die Ohnmacht, das Leiden, das Sterben und - so paradox es klingen mag - sogar die Gottverlassenheit. "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" In diesem Schrei Jesu am Kreuz sammeln sich die lauten und leisen Schreie aller Gequälten aller Zeiten. Gott zaubert die Leiden nicht einfach weg aus der Welt. Aber er versteht jeden Leidenden, nimmt jedes Leid in sein Herz und - so darf der Christ glauben - pflanzt ihm den Keim des ewigen Ostermorgens ein.
Karl Veitschegger
Quelle: http://members.aon.at/veitschegger/, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Karl VeitscheggerIn: Pfarrbriefservice.de