"Die Bibel ist ein Angebot, sich selbst und die Sehnsucht des eigenen Herzens zu verstehen"

Elf Fragen zur Bibel an den Erfurter Bischof Joachim Wanke

Die Bibel ist für viele, durchaus auch für Christen, ein Buch mit sieben Siegeln. Das fängt schon mit dem Namen an. Woher stammt eigentlich das Wort „Bibel“?

Bischof Wanke: Das Wort biblia bedeutet im Griechischen „Bücher“. Die Bibel ist das Buch der Bücher. Es ist in der Tat eine Sammlung unterschiedlicher größerer und kleinerer Schriften aus rund 1000 Jahren jüdischer und christlicher Geschichte.

Ohne Zweifel ist die Bibel ein bedeutendes Werk der Weltliteratur. Was kann den Leser außerhalb der Kirchen daran interessieren?

Bischof Wanke: Die Bibel und ihre Inhalte haben die abendländisch-europäische Kulturgeschichte bestimmt und von Europa aus Einfluss auf andere Kulturen der Welt genommen. Wer die großen Werke europäischer Kunst, Literatur und Musik, aber auch der Philosophie verstehen will, muss die Bibel kennen. Auch atheistische Dichter (wie etwa Bertold Brecht) kamen ohne die Bibel nicht aus.

Christen sehen in der Bibel nicht nur ein literarisches Werk, sondern bezeichnen sie als Heilige Schrift, sogar als Gottes Wort. Ist die Schrift heilig, weil Gott selbst der Verfasser ist?

Bischof Wanke: Die Bibel ist zunächst ein schriftliches Werk von menschlichen Verfassern. Manche Autoren sind bekannt, andere sind unbekannt. In diesen Werken sind viele Traditionen verarbeitet, die zuvor nur mündlich überliefert waren. Gottes Wort ist die Bibel, weil diese Texte als inspiriert, von Gottes Geist beeinflusst gelten. Das Verzeichnis (der so genannte Kanon) der zur Bibel gehörenden Schriften ist nach und nach durch praktischen Gebrauch in den Kirchen des Altertums entstanden. Endgültig hat die katholische Kirche im Konzil von Trient (im 16. Jahrhundert) den Umfang des Kanons festgelegt. Man kann sagen: Der Glaube der Kirche hat bewirkt, in den biblischen Schriften die authentische Selbstoffenbarung Gottes zu erkennen.

Wie bewerten Sie dann das Bibelverständnis so genannter bibeltreuer Christen?

Bischof Wanke: Bibeltreu zu sein ist zunächst einmal etwas Gutes. Wenn man freilich darunter versteht, den Bibeltext wortwörtlich zu nehmen, geht man an der Eigenart der Bibel vorbei. Die Botschaft der Offenbarung Gottes ist im Bibeltext enthalten, aber nicht unmittelbar mit dem Bibeltext identisch. Darum braucht die Bibel eine sorgfältige Auslegung, die aufzeigt, was der Autor (oder die Autoren) uns sagen will. Und das sind Aussagen, die für unser ewiges Heil wichtig sind, nicht beispielsweise naturwissenschaftliche Aussagen. Zudem muss man bedenken, dass die biblischen Schriften unterschiedlichen Zeiten entstammen und verschiedene literarische Stile repräsentieren.

Und was sagen Sie jenen, die die Bibel als unhistorisch, unwissenschaftlich und daher irrelevant verurteilen?

Bischof Wanke: Sie müssen sich selbstkritisch fragen, welchen Wissenschaftsbegriff sie vertreten. Die Wahrheit kann nicht nur durch naturwissenschaftliche Forschung erkannt werden. Sie schließt auch die Bedeutung von Fakten für die Kultur und das praktische Leben des Menschen mit ein. Die Bibel ist kein Naturkundebuch, auch kein Lehrbuch der Geschichte oder der Psychologie. Sie will sagen, was für unser Leben und Sterben wichtig ist. Sie sagt uns, woher wir kommen, wohin wir gehen und wie wir richtig und gut leben sollen. Die Bibel ist ein Angebot, sich selbst und die Sehnsucht des eigenen Herzens zu verstehen.

Der Alttestamentler Erich Zenger hat vor einigen Jahren vorgeschlagen, das Alte Testament in Erstes Testament umzubenennen, um einer Herabwürdigung des Alten gegenüber dem Neuen Testament vorzubeugen. Sind die beiden großen Teile der Bibel und die darin erhaltenen Bücher und Schriften gleichrangig? Oder hängt das von der jeweiligen Leserschaft ab, also Juden, Christen, religiös und/oder literarisch Interessierten?

Bischof Wanke: Die Kirche betrachtet die beiden Testamente als gleichrangig und gleichwertig. Sie hat sich immer dagegen gewehrt, das sogenannte „Alte“ Testament aus der Bibel zu entfernen. Die Redeweise vom Alten und Neuen Testament ist freilich eingebürgert. Sie muss aber recht verstanden werden. Ohne Gottes immer neues Handeln am jüdischen Volk hätten wir Christen nicht zum Heil gefunden. Gottes Verheißungen an Abraham und Mose haben sich in Jesus Christus erfüllt. Dieses Bekenntnis trennt Juden und Christen. Aber beide sind darin geeint, dass sie fest daran glauben, dass Gottes Heilszusagen an das jüdische Volk gültig bleiben und nicht aufgehoben sind. Wie Gott dieses Heil bewirken wird, das hat der Apostel Paulus dem Ratschluss Gottes überlassen (vgl. die berühmten Kapitel 9-11 im Römerbrief). Das sollten wir uns auch heute zu Herzen nehmen.

Je nach Buchformat enthält eine Bibel rund anderthalb Tausend Seiten. Salopp gefragt: Hätte es nicht auch ein bisschen kürzer gehen können? Warum gibt es beispielsweise vier Evangelien?

Bischof Wanke: Weil unterschiedliche Perspektiven eine Landschaft, ein Ereignis, eine Persönlichkeit besser ins Licht rücken als nur eine einzige Betrachtungsweise. Zudem ist zu bedenken: Gottes Handeln mit uns Menschen ist einem Weg vergleichbar. Gott will den Menschen nicht zwingen. Wir sollen selbst erkennen, was uns zum Heile dient. Und das muss uns öfter und immer wieder (in jeder Zeit) neu gesagt werden. – Im Übrigen braucht man die Bibel nicht auf einmal hintereinander weg zu lesen. Besser ist es, sich einzelne Schriften oder Schriftkapitel vorzunehmen und (mit Hilfe einer gediegenen Erklärung) zu verstehen suchen.

Die Evangelien nach Markus, Matthäus, Lukas und Johannes sind in das Neue Testament aufgenommen worden, das Thomas-Evangelium und andere Schriften dagegen nicht. Wer hat darüber entschieden, und was spricht gegen ein fünftes oder sechstes Evangelium?

Bischof Wanke: Darüber entschieden hat der Glaubenssinn der christlichen Gemeinden der ersten drei Jahrhunderte, die bestimmte Evangelien z.B. nicht im Gottesdienst gelesen haben. Sie merkten, dass diese Schriften andere Interessen hatten, etwa die Neugier über die Kindheit Jesu zu befriedigen oder einzelne Apostel in ein bestimmtes Licht zu rücken. Im praktischen Gebrauch zeigte sich, was den Glauben an Jesus Christus authentisch zum Ausdruck brachte und was diesem Glauben nicht entsprach. Ich vergleiche die Schriften der Bibel mit Schiffen, die nur auf dem Glaubensstrom des Gottesvolkes schwimmen können. In der Bibel verdichtet sich der Glaube der Kirche. Das Bekenntnis zum auferstandenen Herrn war früher da als das schriftliche Neue Testament. Was diesem Bekenntnis entsprach, wurde rezipiert. Was ihm nicht entsprach, wurde nicht übernommen.

Für Theologie-Studenten fällt die Erstbegegnung mit der Bibelwissenschaft, ihren Methoden und Ergebnissen, oft herb aus, weil auch noch der kürzeste Vers durchleuchtet, zerpflückt und analysiert wird. Muss das so sein?

Bischof Wanke: Es muss – im Vergleich gesprochen – Ärzte geben, die genau das Innere des menschlichen Körpers kennen. Aber nicht jeder von uns muss ein Arzt sein. Die zum Amt der Verkündigung berufen sind, müssen auch die Entstehung und Eigenart der biblischen Texte gut kennen. Wer ein Gemälde oder eine Sinfonie gut interpretieren will, muss mehr wissen als nur ein Hörer, der sich den Farben oder der Melodie des Kunstwerkes hingibt. Und auch für den Theologen, der am Bibeltext gearbeitet hat, gilt: Er muss sich am Ende, wenn er lange genug über dem Text gesessen hat, sich unter das Wort knien und es zu seinem Herzen sprechen lassen. Und vor allem: Diesem Wort mit dem eigenen Leben antworten.

Immer weniger Menschen lesen in der Bibel und kennen sich darin aus. Kann und soll man die Bibel wieder schmackhafter machen?

Bischof Wanke: Unbedingt Ja. Wir verarmen sonst – auch kulturell. Ich bin überzeugt: Was fremd geworden ist, wird auch nach und nach wieder interessant. Für manche ist ein Gleichnis Jesu ein Neuheitserlebnis. Oder sie staunen, dass viele Sprichwörter biblischen Hintergrund haben. Zweimal gab es in Deutschland schon ein „Jahr der Bibel“. Mit interessanten Mitteln und viel Phantasie wurden Menschen an die Bibel herangeführt. Ein solches „Bibeljahr“ sollte bald wieder einmal veranstaltet werden.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Gibt es eine Bibelstelle, die Sie ihr Leben lang begleitet hat oder an der Sie sich nach wie vor „abarbeiten“?

Bischof Wanke: Im ersten Petrusbrief (3,15) heißt es: Wir sollen – in Bescheidenheit – allen Rede und Antwort stehen, die nach der Hoffung fragen, die uns erfüllt. Diese Bibelstelle ist für mich eine Art Lebensmotto geworden – auch für meinen Dienst als Bischof in Thüringen.

Die Fragen stellte Peter Weidemann, Erfurt

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Das Schwerpunktthema für Januar 2009

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Text: Peter Weidemann
In: Pfarrbriefservice.de