"Die einzige Chance, dass Kirche vor Ort lebendig ist"

Interview mit Dieter Tewes, dem Deutschland-Koordinator der Kleinen Christlichen Gemeinschaften

Was ist das Besondere an Kleinen Christlichen Gemeinschaften (KCG)?

Dieter Tewes: Der Begriff ist etwas irreführend. Er könnte so verstanden werden, dass es um neue Gruppen in einer Pfarrei geht. Das ist aber nicht der Punkt. Das Besondere an Kleinen Christlichen Gemeinschaften ist die damit verbundene Vision von einer Kirche, wie sie auf dem II. Vatikanischen Konzil entwickelt wurde - also weg von einer versorgten Pfarrei hin zu einer Gemeinschaft lebendiger Gemeinschaften, die Christus in die Mitte holen und in denen jeder und jede Getaufte entsprechend seinen Begabungen Verantwortung in der Kirche vor Ort übernimmt. Indem die Menschen miteinander in die Bibel schauen und sich fragen, was ist unsere Sendung heute und entsprechend handeln, leben sie Kirche.

Das Konzept der Kleinen Christlichen Gemeinschaften setzt sehr stark auf die Mitarbeit von Laien. Wie kann das gelingen?

Dieter Tewes: Ein indischer Bischof sagte einmal: Zunächst müssten sich die Hauptamtlichen bekehren. Sie müssten zu der Einsicht gelangen, dass der Heilige Geist auch dort wirkt, wo sie nicht dabei sind. Nötig ist also ein Vertrauen in den Heiligen Geist und in die Begabungen der Menschen vor Ort und ein Vertrauen der Menschen in den Pfarrer, dass er ihr Seelsorger bleibt, auch wenn er sich aus vielen Bereichen zurückziehen muss, weil er sonst die vielen Aufgaben nicht mehr bewältigen kann. Außerdem ist es wichtig, mit den Menschen - und nicht nur im Seelsorgeteam - eine Vision zu entwickeln, wie Kirche vor Ort aussehen soll, also auch im Seniorenkreis oder in der Ministrantengruppe. Erfahrungen zeigen, dass das ein Prozess ist, der zwei bis drei Jahre dauert. Erst dann stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage: Was brauchen wir, um unseren Glauben und Kirche zu leben? Dann erst kommen die Kleinen Christlichen Gemeinschaften ins Spiel.

Welche Chancen bieten sie angesichts größer werdender Pfarreienverbünde und sinkender Priesterzahlen?

Dieter Tewes: Die Pfarrei als kirchenrechtliche Struktur wird in Zukunft so groß sein, dass es in ihr eine Vielzahl von Gemeinden geben wird. Für mich sind Kleine Christliche Gemeinschaften die einzige Chance, dass Kirche vor Ort in diesen Gemeinden lebendig ist, wenn man nicht will, dass Kirche nur noch dort stattfindet, wo der Pfarrer wohnt. Diese Gemeinschaften sind ja nur die (sub-)strukturelle Form einer neuen Art und Weise, Kirche zu sein. Und diese neue Art und Weise ist unterschiedlich, je nachdem vor welchen Herausforderungen sich die Gemeinden gestellt sehen. Vielleicht kommen ja auch neue Gemeinden dazu, z.B. eine Gemeinde am Krankenhaus oder eine Gemeinde am Kindergarten. Wir werden den kirchlichen Betrieb, so wie er jetzt läuft, nicht aufrecht erhalten können. Wir brauchen die Getauften, die aus einer spirituellen Orientierung heraus, wie sie in den KCG gelebt wird, Verantwortung übernehmen und z.B. auch Pfarrgemeinderatssitzungen mithilfe des Bibelteilens leiten.

Wo liegen die Schwierigkeiten?

Dieter Tewes: Voraussetzung für Kleine Christliche Gemeinschaften ist ein spiritueller Prozess, eine Bekehrung hin zur Kirche des II. Vatikanischen Konzils. Doch wir haben viel Angst in Deutschland. Angst davor, dass die Christen ungläubig werden könnten, Angst, die Bibel als Laie nicht verstehen zu können, Angst, Macht zu verlieren, Angst vor veränderten Rollen.

Wie verändert sich die Rolle des Priesters und der Hauptamtlichen im Kirchenverständnis der Kleinen Christlichen Gemeinschaften?

Dieter Tewes: Der Priester ist als Leiter der Pfarrei und als Dienst an der Einheit wichtig. Zentral ist ein Leitungsstil, der nicht dominiert, sondern inspiriert, der motiviert und den Menschen hilft, die eigenen Charismen zu entdecken und zu entfalten. Priester und Hauptamtliche werden Entdecker, Ermöglicher und Begeisterer sein, Ausbilder und Begleiter der Dienste in den großen Pfarreien.

In manchen Bistümern könnte man aktuell den Eindruck haben, dass eine verstärkte Mitarbeit von Laien eher nicht gefragt ist. Was ist Ihre Einschätzung?

Dieter Tewes: Die Mehrzahl der Bistümer, auch die der Priester und Seelsorgeämter, steht der lokalen Kirchenentwicklung hin zu Kleinen Christlichen Gemeinschaften sehr offen und wohlwollend gegenüber. Viele Bischöfe ermutigen diese Prozesse, indem sie sagen: Probiert mal was aus, wir brauchen praktische Erfahrungen, wie es in Verbünden mit vielleicht 10 Pfarreien denn gehen kann. Wenn die Grundoption ist, dass die Kirche vor Ort weiter leben soll, dort, wo die Menschen wohnen und leben, dann braucht es auch dezentrale Wortgottesfeiern am Sonntag, die in einigen Diözesen jetzt noch nicht als not-wendig angesehen werden, weil zur Zeit noch genügend Priester für Eucharistiefeiern da zu sein scheinen.

Dieter Tewes, geb. 1955, Vater von vier Kindern, studierte Theologie und Pädagogik in Frankfurt und Münster. Seit 1992 ist er Diözesanreferent für Missionarische Dienste/missio der Diözese Osnabrück. Er leitet das Projekt „Kleine Christliche Gemeinschaften" im Bistum Osnabrück sowie das missio-Projekt „Spiritualität und Gemeindeentwicklung-AsIPA-Kleine Christliche Gemeinschaften in Deutschland" und ist Mitglied im „Nationalteam KCG Deutschland".

Interview: Elfriede Klauer, www.pfarrbriefservice.de

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Das Schwerpunktthema für September 2012

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Text: Elfriede Klauer
In: Pfarrbriefservice.de