Die Stimme des Herzens hören
Die Erfahrung von Stille gleicht einer Reise zu sich selbst
In einer alten überlieferten Geschichte kann man noch den Wert dessen, was wir „Stille“ nennen, schätzen lernen. Dort wird von einem Mönch berichtet, der drei dürstende Wanderer bittet, aus seinem Brunnen Wasser zu schöpfen, was diese auch sofort und sehr übereilt taten. Hinterher fragte sie der Mönch, was sie denn beim Wasserschöpfen gesehen hätten. Als diese unverständlich die Schultern zuckten, bat er sie nach einer Weile noch einmal, in aller Ruhe Wasser zu schöpfen, dabei aber ganz genau zu schauen, was sie sähen. Die verdutzten Wanderer antworteten, dass sie auf dem Wasserspiegel ganz deutlich ihr Gesicht erkannt hätten. Der Mönch sagte daraufhin: „Das ist die Erfahrung der Stille. Wir erkennen uns selber.“
Mir fällt dazu ein Wort des bekannten Musikjournalisten Joachim Ernst Berendt ein: „Die Reise in uns selbst ist auch im Zeitalter der Raumfahrt das größte menschliche Abenteuer geblieben. Wir brauchen ein Fahrzeug dafür. Wir tragen es bei uns und ahnen nicht, wie weit es uns tragen kann. Es ist unser Ohr.“ Ja, es ist dieses phantastische Organ, unser Ohr, unser Hörvermögen, das uns nicht nur die unzähligen Klänge in unserer Welt wahrnehmen lässt. Es schenkt uns auch die Möglichkeit, uns selber zuzuhören, das Hören nach Innen zu lenken und dabei die Stille hören zu lernen, die uns zur Mitte unseres Lebens führt, tief in die Räume hinein, die uns wie das Erlebnis der Musik zu Gott führen können. Eigentlich ein gefährliches Unterfangen für manchen „modernen“ Zeitgeist, der wohl so etwas wie „Stille“ nicht mehr kennt. Stille, die eigentliche Voraussetzung für das Hören unserer „inneren Stimme“, scheint für diesen Zeitgeist eher „geschäftsschädigend“ zu sein.
Permanente Reizüberflutung
Ein Überangebot an akustischen und optischen Müllbergen, Reizüberflutung, Frühstücksfernsehen, Mitternachtsserien und in jeder noch so kleinen Pause Werbung zum Wiederkäuen. Da wundert es einen nicht mehr, wenn so mancher Moderator, den gespitzten Zeigefinger auf das Fernsehpublikum gerichtet, die eindringliche Bitte äußert: „Bleiben Sie dran! Ich zähl’ auf Sie!“. Von morgens bis abends wird uns hier vorgesagt, vorgezeigt, vorgesungen, vorgedacht, vorgegaukelt, vorgespielt und vorgemacht. Nur ja keine Stille, nur ja nicht selber denken, nicht fragen, nicht suchen, nicht innehalten, nur nicht dahinter schauen. Wenn man bedenkt, was für ein Lärm heute in unsere Seele eindringt, was wir uns nicht alles „um die Ohren hauen“, was wir uns nicht alles so „reinziehen“, dann steht es wahrlich nicht gut für das, was wir Stille nennen.
Die Ohren nach innen richten
Die Stille ist wie ein Raum, in dem wir in Kontakt treten können mit der Welt des Unterbewussten, mit der Welt des Unsagbaren, Übernatürlichen, Grenzenlosen, mit der Welt des Göttlichen. In der alttestamentlichen Gottesbegegnung des Propheten Elias wird Gott nur in der Stille erlebt: „Der Herr antwortete: Komm heraus und stell dich auf den Berg vor den Herrn! Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus …“ (1 Könige 19,11-13).
In der Stille können wir den Atem Gottes spüren. Wir können unsere Ohren nach innen richten, um die Stimme unseres Herzens zu hören, die Stimme unserer Wünsche, unserer Träume und unserer Sehnsucht. „Stille zieht Gedanken an, Lärm verjagt sie“, so der Aphoristiker Ernst Ferstl. Dabei fühlt unser inneres Ohr keine Schallwellen, sondern Gedanken, Stimmungen, Einsichten. Unser inneres Ohr nimmt Kontakt auf mit der Quelle unserer Kreativität, mit dem Ziel unseres Lebens und hört Ideen, Weisungen und die innere Stimme unseres Gewissens. Was der heilige Franz von Sales einmal über die „Meditation“ gesagt hat, lässt sich natürlich auch gut auf die „Stille“ übertragen: „Eine halbe Stunde Stille am Tag ist absolut notwendig, außer wenn man sehr beschäftigt ist, dann braucht man eine ganze Stunde.“
Stanislaus Klemm, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Stanislaus KlemmIn: Pfarrbriefservice.de