Die Vielfalt der Schöpfung kennen lernen

Eine Einladung (nicht nur) an Kirchengemeinden

Alle reden von Artenvielfalt. Aber wer kennt heutzutage noch wirklich die Vielfalt unserer heimischen Flora und Fauna? Wer den Boden bearbeitet, sät und erntet, weiß selbstverständlich, welche Pflanzen auf welchem Boden gut gedeihen und auch welche Begleitflora - auch Unkraut genannt - sich, gewünscht oder unerwünscht, wie von selbst einstellt.

Aber was ist mit den Städtern und den zwar auf dem Land lebenden, aber nicht in Saat und Ernte aktiv eingebundenen? Können sie noch einen Spitzwegerich von einem Breitwegerich unterscheiden, oder einen Thymian von einer Minze? Wie unterscheiden sich Frösche und Kröten? Auch zwischen einem Feldhasen und Wildkaninchen zu differenzieren ist oft leider kein "Kinderspiel" mehr. Oder gerade doch? Denn was Kinder spielerisch lernen, ist unbewusste Entscheidungsgrundlage für nachhaltige Lebensstile. Wer die Natur bewusst erlebt hat, wird eher bereit sein, sie zu respektieren und zu schützen. Die so genannten Waldkindergärten, in denen sich die Kinder tageweise oder sogar die meiste Zeit im Freien aufhalten und die Natur erfahren, sind hierfür ein sehr guter Ansatz, der sich auch für kirchliche Kindergärten anbietet.

Alte Bräuche wie die Kräuterweihe zu Maria Himmelfahrt (15. August) sind ein willkommener Anlass, die Wildkräuter wieder kennen zu lernen und, wo möglich, in der Natur aufzuspüren. Neben dem Verschwinden der Arten droht auch das Wissen über die Kräuter und um die Zusammensetzung der Kräuterbüsche verloren zu gehen. Deshalb ist es schön, wenn auf gemeinsamen Spaziergängen Kinder und Jugendliche auf das Wissen der älteren Generationen zurückgreifen können. Eine Anregung dazu könnte auf einem Gemeindefest oder bei einer Familienfreizeit ein Quiz sein. Kleine Preise (z.B. ein Pflanzenbüchlein) motivieren zur Auflösung von Fragen, die sich z.B. um die Verwendung von Pflanzen im Kirchenjahr drehen könnten:

  • Welche Zweige eignen sich als Barbarazweige?
  • Welche Baumarten werden bei uns bevorzugt als "Tannen"-baum genutzt?
  • Welche Pflanze nutzen wir an Palmsonntag als "Palm"?
  • Aus welcher Pflanze wird der Kranz einer Braut gebunden?
  • Welche Kräuter gehören in den Strauß zur Kräuterweihe?

Hätten Sie es gewusst? Traditionell ist die Anzahl der Kräuter in den Würzbüscheln nicht gleichgültig. Je nach Region sind es sieben (als die alte heilige Zahl) oder neun (also drei mal drei) Kräuter, aber auch zwölf oder 24, 72 oder gar 99 werden in manchen Quellen genannt.

Bei einem Pfarrfest in Marburg-Bauerbach (Hessen) wurden nach intensiven Beratungen zwischen Großmüttern und Enkelinnen Johanniskraut, Mariendistel (Kohldistel), Gemeine Schafgarbe (auch Sumpfschafgarbe), Wiesenknopf (Blutköpfchen), Wermut (oder der Beifuß, zumal es Wermut meist nur noch in Gärten gibt), Guter Heinrich und Rainfarn als die richtigen Kräuter herausgefunden.

In den letzten Jahren blüht dieser alte Brauch zu Maria Himmelfahrt wieder neu auf. Nur leider lassen sich längst nicht mehr überall die gewünschten Kräuter einfach am Wegesrand sammeln. Gerade in städtischer Umgebung kann deshalb die Anlage eines Kräutergartens oder der Bau einer Kräuterspirale im Kirchgarten ein schöner Ersatz für die Kräuterwanderung sein (Literaturtipp: Handeln für die Schöpfung. Natur und Umwelt rund um den Kirchturm, Natur- und Umweltschutzakademie NRW in Zusammenarbeit mit den Umweltbeauftragten der (Erz-)bistümer Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn sowie der evangelischen Landeskirchen Rheinland, Westfalen und Lippe), obwohl das geübte Auge auch in der Stadt z.B. auf Brachflächen, an Bahndämmen und selbst in Pflaster- und Mauerritzen so manch ein Kraut entdecken kann.

Durch das Werk der Heiligen Hildegard von Bingen (1098-1179) hat die Anlage eines Kräutergartens eine lange kirchliche Tradition, die in vielen Klöstern gepflegt oder wieder entdeckt wurde. Denn gerade die Heilkräuter mit ihren ätherischen Ölen eignen sich besonders zur Naturerfahrung mit allen Sinnen. Duft und Geschmack zählen zu den Erkennungsmerkmalen dieser Pflanzen. Verschiedene Behaarungen oder Oberflächenstrukturen der Blüten, Blätter und Stängel lassen sich auch durch den Tastsinn erspüren. Dadurch werden Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für Details eingeübt, was eine durchaus meditative Übung sein kann. Gerade auch für Menschen mit Behinderung kann dies ein sehr schönes Erlebnis sein, da z.B. Blinde den Sehenden im Tasten und Riechen oft weit überlegen sind. Zu vielen Bauerngärten gehört solch ein Kräutergarten auch heute noch selbstverständlich dazu. So manche scheinbar verschwundene Pflanzenart oder alte Zuchtform hat hier ihre letzte Zuflucht gefunden.

Im Jahr der Bibel wurde vielerorts der biblischen Pflanzenwelt vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Es entstand hier und dort ein Gärtchen mit Bibelpflanzen oder in Botanischen Gärten wurden Führungen zum Thema "Pflanzen der Bibel" angeboten. Besonders reizvoll sind sicherlich die mediterranen Gewächse wie Wein, Ölbaum, Feige, Dattelpalme und Granatapfel, die aber höchstens in klimatisch begünstigten Lagen wie in den Botanischen Gärten der Universität Bonn auch über Jahre im Freien überleben können. Der Unterhalt von Gewächshäusern für solch einen Garten der Bibelpflanzen bedeutet ungleich größeren Aufwand und verhindert somit für kleinere kirchliche Einrichtungen den dauerhaften Erhalt solcher Pflanzen.

Neben den spektakulären Pflanzenarten werden in der Bibel aber auch Getreide und Gemüsearten genannt, die als einjährige Pflanzen auch in Pfarrgärten oder von Kindergartengruppen und Schulklassen für einen anschaulichen Naturunterricht im Rahmen der Religionserziehung angebaut werden können. Dazu zählen z.B.: Linse (Gen 25,27-34), Puffbohne (2 Sam17, 27-29), Gerste (Joh 6,9-13); Weizen (Dtn 8,8; 1 Kön 5,24-25), Zwiebel (Num 11,5), Lauch (Num 11,5-6) und Schwarzer Senf (Mk 4,30-32).

In biblischer Zeit war Weizen eine der wichtigsten Feldfrüchte. Allerdings handelte es sich dabei nicht um unseren heutigen ertragreichen Weizen (Triticum aestivum), sondern um Hartweizen (Triticum durum) und Emmer (Triticum dicoccum). Bei Triticum dicoccoides, der wilden Urform dieser beiden kultivierten Grasarten, waren die reifen Ähren brüchig, so dass die einzelnen Ährchen vor oder spätestens bei der Ernte zu Boden vielen. Der jahrtausendelangen Auswahl und Zucht der Bauern ist es zu verdanken, dass die Ähren der Kultursorten aufgrund ihrer Stabilität gut geerntet werden können. Solche Zusammenhänge lassen sich durch die Anlage eines kleinen Gärtchens mit wilden Gräsern und alten Getreidearten bereits in Kindergärten oder Schule veranschaulichen. Dadurch kann schon bei den Jüngsten für die Mühen der Landwirte spielerisch Verständnis geweckt werden und manche Eltern werden so über die Kinder auch Altes neu lernen.

Als Biologin kann ich - vielleicht im Gegensatz zu vielen Fachkollegen - sagen, je mehr ich über die Natur erfahre, desto tiefer ist mein Staunen und meine Ehrfurcht vor Gott, dem Schöpfer. Deshalb ist es frohe Botschaft, dieses Wissen weiterzugeben und vielleicht ein kleiner Beitrag dazu, dass "… nicht aufhören Saat und Ernte".

Beatrice van Saan-Klein

aus: "... es soll nicht aufhören Saat und Ernte" (Gen 8,22). Ein Praxisbuch zum Mehr-Wert nachhaltiger Landwirtschaft. Beatrice van Saan-Klein, Clemens Dirscherl, Markus Vogt, Don Bosco Verlag

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Das Schwerpunktthema für August 2011

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Text: Beatrice van Saan-Klein
In: Pfarrbriefservice.de