„Durch die Gruppe habe ich meine Stabilität wieder gefunden“

Ein Interview mit Ellen Peiffer, Leiterin einer Selbsthilfegruppe für früh Verwitwete

Ellen Peiffer ist Mitte 30 und hat zwei kleine Kinder, als ihr Mann stirbt. Das war 2006. Was ihr damals geholfen hat, waren die monatlichen Treffen einer Selbsthilfegruppe für früh Verwitwete in Köln. „Durch die Gruppe habe ich meine Stabilität wieder gefunden“, sagt Ellen Peiffer rückblickend. Seit 2011 leitet sie diese Gruppe zusammen mit einer Freundin, die sie dort kennengelernt hat. Im Interview spricht sie über die besonderen Nöte von früh verwitweten Menschen und darüber, wie eine Selbsthilfegruppe helfen kann.

Welche Erfahrungen haben Sie als Betroffene in der Gruppe damals gemacht?

Ellen Peiffer: Mein allererstes Gefühl war Erleichterung. Ich war erleichtert, dort noch andere Menschen in meinem Alter zu treffen, die das gleiche Schicksal hatten wie ich. Ich war Mitte 30 und hatte zwei Kinder mit ein und drei Jahren. Ich fühlte mich dort von Anfang an gut aufgehoben.

Welche Schicksale kommen in Ihrer Gruppe zusammen?

Ellen Peiffer: Es kommen Menschen, deren Partnerinnen und Partner an einer Krankheit gestorben sind oder die sich umgebracht haben oder die durch einen Unfall plötzlich verstorben sind. Wir hatten auch schon einen Fall, wo die Partnerin ermordet wurde. Wir haben die ganze Palette an Todesfällen und die Leute kommen aus allen sozialen Schichten.

Gibt es gemeinsame Problemlagen oder Themen, mit denen alle konfrontiert sind?

Ellen Peiffer: Ja, die gibt es. Zum einen fühlt man sich, wenn man jünger verwitwet ist, sehr exotisch in seiner Umgebung. Die Menschen um einen herum haben alle ihre Partner, gründen gerade ihre Familien, bauen vielleicht ein Haus. Da fühlt man sich dann sehr alleine und auch sehr allein gelassen, weil man die Leute auch gar nicht belasten möchte mit seinem Kummer, wenn man das Glück daneben sieht. Das ist ein Problem, das alle haben. Ebenso beschäftigt alle, die kommen, die Frage: Kann ich wieder glücklich werden? Und gemeinsam ist ihnen auch, dass tatsächlich niemand die Situation verstehen kann, der sie nicht selbst durchgemacht hat.

Wie kann die Selbsthilfegruppe helfen?

Ellen Peiffer: Die, die kommen, sind sehr glücklich, eine Gruppe zu haben, wo sie Menschen ihres Alters treffen können, die alle das gleiche Schicksal teilen. Und dass sie über ihre Situation sprechen können, ohne Angst haben zu müssen, dass jemand sagt: Nun ist aber mal wieder gut. Man kann seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Da ist ja nicht nur die Trauer. Da gibt es auch Wut, Ärger oder Zorn. Oder auch Freude. Manche schämen sich regelrecht dafür, wenn sie auch mal Freude empfinden. Dann kann es sein, dass ein Außenstehender denkt: Ach, dir geht es ja schon wieder gut, dann hast du’s wohl schon überwunden. Das ist natürlich nicht so. Aber Freude gehört genauso zum Leben dazu wie der Kummer. Diese Fülle an Gefühlen ausleben zu dürfen, das ist in der Gruppe möglich. Darüber hinaus werden ganz praktische Hinweise ausgetauscht, wie z.B. für die Suche nach einem guten Psychologen oder bei Computer-Problemen. Man hilft sich gegenseitig mit Tipps. Und ermutigt sich, z.B. etwas durchzuziehen oder sich auch mal alleine ins Cafe zu setzen.

Wie arbeitet Ihre Selbsthilfegruppe?

Ellen Peiffer: Wir treffen uns normalerweise einmal im Monat sonntags zu einem Frühstück. Jetzt in Corona-Zeiten behelfen wir uns mit einer Videokonferenz, hoffen aber darauf, dass wir uns bald wieder real sehen können. Unsere Treffen sind sonntags, weil vielen Verwitweten gerade am Sonntag die Decke auf den Kopf fällt und es ihnen hilft, gerade da ein Angebot zu haben. Man muss sich bei uns nicht anmelden, sondern kann spontan entscheiden, ob man sich in der Lage fühlt zu kommen. Meine Freundin und ich besorgen Brötchen und Kaffee und jeder, der kommt, bringt für sich noch etwas mit. So ist das alles sehr niederschwellig. Durchschnittlich kommen etwa zehn Menschen zusammen. Aber selbst, wenn nur einer käme, hätte sich das Treffen in meinen Augen schon gelohnt. An das Frühstück schließt sich eine Gesprächsrunde an. Dann können sich neue Teilnehmer vorstellen und jeder kann erzählen, was ihm auf dem Herzen liegt. Ich möchte aber betonen, dass wir nicht therapeutisch arbeiten. Wir sind eine Selbsthilfegruppe.

Was wünschen sich früh Verwitwete von anderen Menschen?

Ellen Peiffer: Sie wünschen sich oft mehr Verständnis für ihre Situation, also dass es okay ist, wenn man weint, wenn man Kummer hat oder dass man sich eine Zeit lang einigeln möchte zum Beispiel. Und sie wünschen sich, dass über den Verstorbenen trotzdem gesprochen wird. Das machen viele Außenstehende nicht aus Angst, die Trauer noch zu verstärken. Dabei ist es ein großer Wunsch der Betroffenen, dass die verstorbene Person im Freundes- und Familienkreis präsent bleibt.

Wenn sich Betroffene einigeln, kann das schnell den Eindruck erwecken, als sei kein Kontakt erwünscht.

Ellen Peiffer: Ja, das ist tatsächlich schwierig, weil jeder Trauernde anders ist. Der eine igelt sich ein, der andere möchte gefragt werden, ob er z.B. mit ins Kino will. Ich glaube, am besten ist es, wenn man die Leute direkt fragt und seine eigene Unsicherheit zum Ausdruck bringt, in der Art: Ich möchte dir gerne etwas Gutes tun, ich weiß aber nicht, wie. Das, glaube ich, ist durchaus hilfreich. Und man sollte sich nicht einschüchtern lassen und trotzdem immer wieder mal nachfragen. Gerade am Anfang gibt es ein großes Bedürfnis, die ganze Geschichte des Todesfalles immer und immer wieder zu erzählen. Da ist es schön, wenn das Gegenüber Geduld hat, nachfragt und Interesse zeigt.

Interview: Elfriede Klauer, Pfarrbriefservice.de

Die Selbsthilfegruppe, die Ellen Peiffer leitet, ist eine Regionalgruppe des Vereins VIDU® Selbsthilfe für Verwitwete. Dieser Verein unterstützt die Gründung neuer Selbsthilfegruppen mit Wissen und Material. Einfach eine Mail an regionalgruppen@verein-verwitwet.de senden. Weitere Informationen zum Verein unter www.verein-verwitwet.de.

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Text: Elfriede Klauer
In: Pfarrbriefservice.de