Ein kostbares Geschenk Christi
Interview mit dem Erfurter Bischof Joachim Wanke über das Bußsakrament
Verharmlosend spricht man heute von „Sünden“, wenn eine Diät nicht eingehalten wird, oder bei Delikten im Straßenverkehr. Wo liegt die eigentliche Bedeutung des Begriffs „Sünde“ und wo der Unterschied zur Schuld?
WANKE: Sünde ist ein Spezialfall von Schuld. Sie ist ein Versagen vor Gott und nicht allein vor der Gesellschaft oder den Gesetzen. Die Verdrängung des Wortes „Sünde“ hängt mit dem Schwund eines personalen Gottesbildes zusammen. Die eigentliche Bedeutung von „Sünde“ erfasst man nur, wenn man mit Gott als einem Gegenüber rechnet, vor dem man schuldig werden kann. Also: Der „Unschuldswahn“ der heutigen Zeit hängt mit der Gottvergessenheit zusammen. Dazu kommt, dass es eine fast unausrottbare menschliche Eigenart ist, sich selbst von Schuld frei zu sprechen. Meist sind ja im Ernstfall die „anderen“ schuld, die Verhältnisse, der Staat usw.
Was passiert, wenn ein getaufter Mensch sündigt?
WANKE: Er bleibt hinter dem zurück, was er sein sollte – Gottes Freund und Partner. Sünde ist Vertrauensbruch. Es ist wie bei einer Freundschaft, bei einer Liebe, die von mir willentlich und schwerwiegend verletzt wird. Wer das schon einmal an sich erfahren hat, weiß, dass solch ein „Hintergehen“ des anderen keine Bagatelle ist.
Was geschieht während der Beichte zwischen Mensch und Gott?
WANKE: Es geschieht ein Neuanfang. Gott sagt mir: „Obwohl Du so gehandelt hast, lasse ich dich nicht fallen!“ Die Feier der Versöhnung in der sakramentalen Beichte ist ein kostbares Geschenk Christi für die Seinen. Ein offenes Bekenntnis des eigenen Versagens, der ernsthafte Vorsatz für einen Neuanfang, die Bereitschaft, mögliche Folgen eines Vergehens (besonders wenn andere davon betroffen waren) möglichst wieder gut zu machen – das alles ist die Voraussetzung dafür, die angeschlagene Freundschaft mit Gott neu zu festigen. Die Lossprechung des Priesters ist mehr als menschlicher Zuspruch. Sie verbürgt mir, dass Gott wieder mit mir neu beginnen will. Mir ist es hundertmal lieber, bei einem Priester beichten zu können, der zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, als beispielsweise im Fernsehen „vorgeführt“ zu werden.
Was hat das Sakrament der Versöhnung mit der kirchlichen Gemeinschaft zu tun? Oder: Ist die Bitte um Vergebung für eine persönliche Schuld nicht eine individuelle Sache zwischen Gott und dem Gläubigen?
WANKE: Jedes Fehlverhalten, mag es noch so verborgen sein, hat eine soziale Komponente. Wer zu viel trinkt, schadet nicht nur sich selbst, sondern vielen anderen. Ein Christ, der durch sein Verhalten sich und andere kompromittiert, verdunkelt das Zeugnis der Kirche. Er gibt Anlass, dass über die Kirche gespottet oder gar gelästert wird. Darum ist jede Lossprechung von Schuld eines Einzelnen für die Kirche als „Gemeinschaft der (von Gott) Geheiligten“ Grund zur Freude. Im Übrigen gäbe es die Einrichtung des Bußsakramentes nicht ohne die Kirche. Sie ist in diesem Fall wie bei den übrigen Sakramenten im besten Sinne des Wortes „Dienstleister“.
Es gibt im Glaubensleben der Kirche eine Vielfalt der Formen von Umkehr und Versöhnung. Wann und wie häufig sollte der Gläubige eigentlich beichten?
WANKE: Das Beichtsakrament nutzen sollten wir, weil wir immer in der Gefahr stehen uns etwas vorzumachen. Natürlich gibt es manche anderen Formen, vor Gott „sich an die Brust zu klopfen“ und um einen Neuanfang zu bitten. Das ist wie bei einer angeknacksten Freundschaft, einer brüchig gewordenen Ehe: Die kleinen Zeichen der Umkehrbereitschaft sind wichtig, aber irgendwann braucht es die reinigende Aussprache, das klare und eindeutige Signal: Es ist mir ernst. Die Kirche meint, als Mindestmaß sollte das jedes Jahr geschehen, und zwar in der österlichen Bußzeit. Ich meine, dass ein viermaliges Beichten im Jahr jedem Christen, der sein geistliches Grundwasser nicht zu sehr absacken lassen will, gut täte.
Weshalb ist es so schwer, die heilsame Botschaft dieses Sakramentes den Menschen nahe zu bringen, so dass sie die Beichte für sich wieder entdecken?
WANKE: Das Eingeständnis eigenen Versagens ist den Menschen zu keiner Zeit leicht gefallen. Auch Petrus nicht, der aus Angst Jesus verleugnete. Wir kennen die Episode aus der Passionsgeschichte Jesu. Aber Petrus bekam die Chance, von Jesus barmherzig angeschaut zu werden. So fand er die Kraft, über sich zu weinen. Ich meine: Diese Chance verständnisvoll und mit Erbarmen „angeschaut“ zu werden haben wir auch. Gottlob, auch von Menschen, aber noch mehr und sicherer von Gott. Ich bin fest davon überzeugt, dass die persönliche Beichte von uns katholischen Christen (und vielleicht auch von evangelischen Christen) wieder neu entdeckt wird. Natürlich kann man jahrelang ohne „Hausputz“ leben. Aber wer es wagt, die Dreckecken doch hin und wieder einmal aufzuräumen, lebt „wohnlicher“. Das schließt nicht aus, den „Hausputz“ auch weiterhin mühsam zu finden. Aber steht nicht vor jeder Freude immer auch eine Anstrengung?
Fragen: Alfred Herrmann
Erschienen: Neue Bildpost Nr. 46 vom 10.11.2005, Seite 9.
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Text: Alfred Herrmann, Neue BildpostIn: Pfarrbriefservice.de