Eine übergroße Kraft

Wie man von Menschen in Not lernen kann, was Zuversicht bedeutet

Zuversicht - kein leichtes Thema für den Pfarrbrief. In Zeiten wie diesen ist es viel leichter, pessimistische Themen zu finden, als sich voll positiven Denkens zu äußern. Und so ging ich denn auch mehrere Wochen oftmals leicht grübelnd durch den Tag, überlegte hin, überlegte her, was für mich Zuversicht bedeutet. So recht wollte und wollte mir kein passender Ansatz einfallen. Angesichts des Weltgeschehens, der Nachrichten aus der Ferne, aber auch aus naher Umgebung, angesichts des eigenen, oft sehr anstrengenden Alltags schlich sich immer irgendwann wieder ein „Zuversicht schön und gut, positiv denken, klar – aber …“ ein.

Dann las ich im Urlaub im Ostseebad „Laboe“ am Eingang einer Ausstellung mit dem Thema „Wir kamen übers Meer und fanden Hilfe“ das Zitat:

„Jeder Tag hat zwei Griffe. Wir können ihn am Griff der Ängstlichkeit oder am Griff der Zuversicht halten.“ Henry Ward Beecher (US-amerikanischer Prediger, 1813 – 1887. Er trat für die Gleichberechtigung der Frau und Befreiung der Sklaven ein.)

Zunächst war ich von diesen Worten beeindruckt. Ja, dachte ich, es liegt zu einem großen Teil in unserer Hand, wie wir jeden Tag anpacken. Voller Zuversicht und Vertrauen in das Gute und Schöne oder voller Ängstlichkeit, Abwarten und Verzagen. Jeder Tag birgt eine Fülle von Möglichkeiten, und zu einem sicherlich nicht unerheblichen Teil ist unsere Einstellung für das Gelingen dieses Tages verantwortlich.

Dann betrat ich die Ausstellung und tauchte buchstäblich in die Welt einiger Asylsuchender ein, die ihre Lebenswirklichkeit anhand von Fotos, Gegenständen und authentischen Berichten darstellten. Ganz junge, aber auch ältere Menschen berichteten von den politischen Gegebenheiten in ihrer Heimat, von willkürlicher Inhaftierung und Folter, von Krieg, Ausgrenzung, Hunger und Tod. Jugendliche erzählten von den Toten in ihrer Familie und den Freunden, die verschwanden, gezwungen wurden, dem Militär ihres Landes beizutreten und einen sinnlosen Kampf auszufechten.

Zeilen voller Hoffnung

Sie kamen aus Eritrea, Äthiopien, Syrien und Somalia, nahmen monatelange Flucht und Ungewissheit, Hunger und Qualen, Angst und Krankheiten auf sich. Am Ende ihrer Berichte stand in einigen Zeilen, wo und wann sie in Deutschland angekommen waren, auf welche Wege sie weitergeleitet wurden und wie sie schließlich in und um Laboe ein neues Zuhause fanden. Sie schrieben voller Hoffnung auf eine neue Chance, auf ein menschenwürdiges Leben und eine Zukunft.

Die abschließenden Zeilen eines Vaters aus Eritrea haben sich mir besonders eingeprägt: „Ich erhoffe wenig für mich, bete aber, dass meine Kinder eine Schule besuchen, lernen und hier leben dürfen“. Diesen Satz, diese Bescheidenheit und tiefe Zuversicht eines Vaters auf eine bessere Zukunft seiner Kinder trage ich seitdem in mir, denke immer wieder daran. Diese Begebenheit mag ich gerne mit den Leserinnen und Lesern des Pfarrbriefes teilen, mag etwas von meiner Ergriffenheit über den Mut, die Zuversicht auf eine erträgliche und sichere Zukunft dieser Menschen mit ihnen teilen.

Zuversicht möge uns begleiten durch unser Leben. Manchmal fällt es leichter, manchmal braucht es mehr Kraft dazu. Aber es gibt Menschen in Lebenssituationen, die mir nahezu unerträglich erscheinen, die dennoch diese übergroße Kraft besitzen, jeden Tag wieder den Griff der Zuversicht zu packen.

Christine Wenzel
aus: Die Brücke, Pfarrbrief der Pfarrei Niedernberg, Oktober 2016. In: Pfarrbriefservice.de

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Das Schwerpunktthema für Februar 2017

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Text: Christine Wenzel
In: Pfarrbriefservice.de