Erntedank – Auf Kosten anderer leben
Am Ende des Klostergeländes, hinter der Kirche und dem Klostergarten, beginnt Pater Reinalds Reich: Ställe und Melkmaschine, Trecker und große Ballen Grassilage, Kälbchen, Milchkühe, Piemonteser Rinder, auf die er so stolz ist, Puten und Masthähnchen. Pater Reinald ist Mönch und Priester - und Bauer.
Es ist vier Uhr nachmittags, Zeit zum Melken. Beim Mittagsgebet noch im dunklen Habit, sieht Pater Reinald in seiner zerschlissenen Latzhose jetzt gar nicht mehr wie ein Mönch aus. Milchbottich reinigen, die Kühe in den Stall lassen, Schläuche und Düsen an die Euter legen - jeder Griff wirkt routiniert und ruhig. „Melken ist Handarbeit“, nuschelt der Pater zwischen zwei Zügen an seiner Zigarre. „Da kann man schon mal über eine Predigt nachdenken. Oder über den Sinn des Lebens. Das geht im Büro, am Computer nicht.“
Leben in totaler Entfremdung
30 Liter Milch gibt so eine Kuh durchschnittlich am Tag. Genug für die Mönche, und eigentlich auch genug für die Gäste. Die aber bekommen gekaufte Milch. „Wegen der Keime. Wir Brüder gelten als Familienbetrieb und trinken die Milch quasi auf eigenes Risiko. Den Gästen anbieten dürfen wir sie nicht.“ Käse, Eier und Wurst gibt es hingegen für alle aus eigener Produktion. Aber: „Den meisten ist es doch egal, ob der Käse aus der Packung ist oder von hier, Hauptsache billig. Und wer kann noch unterscheiden, ob die Wurst selbstgemacht ist oder aus dem Geschäft kommt? Viele können ja nicht mal Rind- von Schweinefleisch unterscheiden.“ Ein bisschen resigniert klingt er. „So gesehen leben wir in armen Zeiten. Unsere Gesellschaft lebt in totaler Entfremdung, was bäuerliches Leben angeht.“
Auf Kosten anderer leben
Für bäuerliche Schwärmerei ist Pater Reinald nicht zu haben. „Wissen Sie“, sagt er, „der Pute ist es doch letztendlich egal, ob sie an Altersschwäche oder beim Schlachter stirbt. Natürlich sollte das Töten von Tieren ein sensibles Thema bleiben. Wir Menschen müssen aufpassen, uns dabei nicht zu „grobschlächtigen“ Mitgeschöpfen zu entwickeln.“ Das sei doch der Hauptaspekt von Erntedank, fügt er hinzu: Zu erkennen, dass ich auf Kosten anderer lebe. „Und das ist was anderes als bäuerliche Romantik, das hat mit Schuld zu tun. Das ist altmodisch, aber es ist unsere Grundbestimmung, wir werden schuldig, wenn wir leben, immer. Daher der Erlösungsgedanke, wir kommen da allein nicht raus.“
Mit der Wurst wird Gott handgreiflich
Natürlich feiern sie hier im Kloster auch Erntedank. Mit einem Gottesdienst und einem guten Essen hinterher. „Nur alles auf realistische Art, piano, bloß keine Agrarromantik.“ Heute gehe es schließlich nicht mehr um die Furcht vor Trockenheit oder Hunger. Aber man könne dankbar sein, wenn man weiß, wie mühselig es ist, ein gutes Nahrungsmittel herzustellen. Bei allen EU-Normen und sonstigen Bestimmungen.
Wirtschaftlich lohnt sich der Betrieb nicht. Aber es geht ja auch um die Botschaft: „Unsere Wurst ist vielleicht biochemisch gesehen nicht viel anders als die vom Metzger, aber sie ist von Leuten gemacht, die einen Narren an diesem Gott gefressen haben. Mit dieser Wurst wird Gott handgreiflich. Mehr als in einer verkopften Predigt.“ Er legt los: „Das fehlt in unserer Kirche ja so oft: Manche Pfarrer müssten hier mal ein Praktikum machen, dann würden sie besser verstehen, aus welchem Umfeld Jesus kam. Hirte sein heißt nämlich vor allem, sich die Hände dreckig zu machen, sich Sorgen zu machen, Tag und Nacht. Ein Hirte würde niemals ausgrenzen. Nicht die Schwulen, nicht die Geschiedenen und Wiederverheirateten, er integriert, er versammelt.“
Tiefe Freude am Leben
Sein Ausdruck wechselt oft: Mal schimpft der Mönch über verklärte Tierliebe und unsinnige EU-Bestimmungen. Und dann kommen wieder leise Töne, werbend, berührt von dem, was ihn umgibt. „Dass diese Kuh so eine Milch gibt, ist für mich etwas so Wunderbares, da muss jemand dahinter stehen“, schwärmt er und streicht über ihr braunes Fell.
Ob ihm bei aller Mühe seine Arbeit noch Spaß macht, frage ich ihn zuletzt. Pater Reinald antwortet mit seinem polterigen, herzlichen Lachen: „Spaß ist das verkehrte Wort, Spaß habe ich auf dem Schützenfest, aber das ist kurzfristig. Aber tiefe Freude an diesem meinen Leben, mit allem was dazugehört, die habe ich.“
Susanne Niemeyer
aus: Magazin Andere Zeiten 3/2005, www.anderezeiten.de
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Dateigröße: 0,03 MB
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Text: Susanne NiemeyerIn: Pfarrbriefservice.de