Es geht nicht allein um Texte, sondern um (versehrte) Menschen
Weshalb die vierte Synodalversammlung von heftigen Emotionen geprägt war
Alle bisherigen Synodalversammlungen waren von hohem persönlichem Engagement geprägt. Denn so differenziert und gut die theologischen Texte sind, über die beraten wird, so klar ist auch: Am Ende geht es nicht um Texte, sondern um Menschen. Um Menschen, die im Raum der Kirche teils schwerwiegende Verletzungen erlitten haben: Betroffene von Missbrauch, queere Menschen, Frauen. Da bleiben die wenigsten Synodal:innen cool: Gott sei Dank.
Deshalb waren auch alle bisherigen Teilschritte dieses Reformprozesses von Jubel, manchmal von Tränen der Erleichterung begleitet. Deshalb war der Donnerstagabend der vierten Synodalversammlung ein solches Desaster, als der Text zur Erneuerung der Sexuallehre zwar die große Mehrheit des Plenums, aber nicht die nötige Zweidrittelmehrheit der Bischöfe erreichte. Nicht, weil ein Text abgelehnt wurde. Das gehört zum Spiel. Was abgestimmt wird, kann abgelehnt werden. Ein Desaster war es, weil die Bischöfe, die mit Nein gestimmt haben, sich nicht in den Text eingebracht und ihre Kritik nicht öffentlich vorgebracht hatten. Weil sie kaum inhaltliche Argumente hatten, sondern sich auf formalen Gehorsam beriefen: Mit dem Text sei ein Bruch mit dem „depositum fidei“, dem überlieferten Glaubensgut, verbunden, das die Bischöfe „unversehrt“ zu bewahren geschworen hätten – komme, was wolle.
Unveränderliches Glaubensgut?
Zu diesem angeblich unveränderlichen Glaubensgut zählt beispielsweise, dass homosexuelle Liebe als widernatürlich und unethisch gilt und die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare verboten ist. Dass schwule Priester stets Gefahr laufen, denunziert zu werden. Dass transsexuelle Menschen schlicht nicht vorgesehen sind. Dass bis heute „künstliche“ Verhütungsmittel für Katholik:innen verboten sind – woran sich weniger als ein Prozent der Bevölkerung hält, ob katholisch oder nicht. Dass Scheidung und Wiederheirat aus der vollen kirchlichen Gemeinschaft ausschließen.
Die Ablehnung des Textes, der an diesen Bestimmungen endlich etwas ändern und die Sexuallehre der Kirche mit der Wirklichkeit der Menschen versöhnen sollte, durch 21 Bischöfe war ein fatales Signal an alle, deren Leben nicht in kirchlichen Bahnen läuft, die ihre Sexualität und Partnerschaft verantwortlich gestalten, auch wenn das nicht ins kirchliche Konzept passt. Es war das Signal, dass unversehrte kirchliche Doktrin wichtiger sei als kirchlich versehrte Gläubige.
Angesichts dieses Signals brachen Menschen im Saal zusammen. Sehr viele weinten. Einige verließen den Raum und die Versammlung, weil sie dieses Votum schlicht nicht ertragen konnten, weil sie es als Ablehnung ihrer selbst aufnahmen – was absolut verständlich war.
Julia Knop, In: Pfarrbriefservice.de
Dr. theol. Julia Knop (geb. 1977) ist Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt und Mitglied der Synodalversammlung sowie des Synodalforums „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“.
Der Synodale Weg
Der Synodale Weg ist ein Gesprächsprozess innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland. Er soll der Aufarbeitung von Fragen dienen, die sich im Herbst 2018 nach der Veröffentlichung der sogenannten MHG-Studie über sexuellen Missbrauch in der Kirche ergeben haben. Die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken verantworten gemeinsam diesen Prozess, der auf mehrere Jahre angelegt ist und am 1. Dezember 2019 eröffnet wurde. www.synodalerweg.de
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Text: Julia KnopIn: Pfarrbriefservice.de