„Es gibt keine hoffnungslosen Fälle“

Wie suchtkranke Menschen auf den Höfen der Hoffnung zurück ins Leben finden – Ein Gespräch

Moritz Bucher (geb. 1977) leitet einen Hof, der sich Fazenda da Esperança nennt, was übersetzt heißt: Hof der Hoffnung. Dieser Hof befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Klosters Mörmter bei Xanten in Nordrhein-Westfalen. Die Menschen, die dort leben und arbeiten, wollen sich aus Sucht und Abhängigkeit befreien. Moritz Bucher selbst kennt das Leben im Drogenrausch. Ein Gespräch mit ihm über Hoffnung und die Höfe der Hoffnung.

Fazenda da Esperança – Hof der Hoffnung: Das klingt vielversprechend.

Moritz Bucher: Unsere Fazendas sind Orte, wo Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, wieder Hoffnung schöpfen können. Mittlerweile gibt es 141 solcher Höfe weltweit, 15 davon in Europa, 7 in Deutschland.

Wie kamen Sie zu diesen Höfen?

Moritz Bucher: 2011 war ich an einem Punkt angekommen, wo ich für mich selbst keine Hoffnung mehr hatte. Ich befand mich in einer Sackgasse und sah keinen Ausweg mehr. Nach 18 Jahren Heroin- und Alkoholabhängigkeit hatte ich schon viele Therapien hinter mir, die aber nicht nachhaltig waren. Denn sie nahmen mir das, was damals mein Lebenssinn war, nämlich die Drogen. Meine Familie hatte mit mir gebrochen, ich hatte keinerlei Beziehungen mehr. Als ich in einer Entgiftungsklinik lag, erzählte mir ein junger Mann, den ich von früher kannte, von den Höfen der Hoffnung. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar.

Und dann?

Moritz Bucher: Man muss sich bei einem Hof bewerben und in einem Brief schreiben, dass man ein neues Leben beginnen möchte. Ich habe an das Gut Bickenried bei Irsee im Allgäu geschrieben. Mit zwei Plastiktüten, meiner ganzen Habe damals, kam ich am 25. Mai 2011 auf diesem Gut an. Dieses Datum ist für mich wie ein zweiter Geburtstag. Ich erinnere mich noch genau. Als ich aus dem Auto ausgestiegen bin, kamen mir die Männer entgegen, die auf dem Hof lebten. Sie hießen mich herzlich willkommen und halfen mir beim Tragen. Ich spürte sofort, dass hier ein anderer Geist herrscht.

Wie ging es für Sie weiter?

Moritz Bucher: Ich hab mich darauf eingelassen, was mich dort erwartet hat. Ich kam aus keiner gläubigen Familie. Ich war protestantisch getauft, aber im Gottesdienst war ich nur, wenn ich am Schuljahresende hin musste. In Bickenried habe ich dann langsam zum Glauben gefunden, zu einer Beziehung zu Jesus. Wir haben viel über die Liebe gesprochen, was mir am Anfang ziemlich seltsam vorkam, weil ich unter Liebe nur die Liebe zwischen Frau und Mann verstand und nie die Nächstenliebe und die Geschwisterlichkeit. Aber ich habe mich da reingefunden, habe mich darauf eingelassen und habe gespürt, dass es mir gut tut.

Was tut Ihnen gut?

Moritz Bucher: Jeden Morgen treffen wir uns z.B. nach dem Frühstück, beten miteinander den Rosenkranz und suchen aus dem Tagesevangelium das Wort für den Tag. Damit wollen wir den Tag über Erfahrungen machen. Das ist unsere Medizin. Hier auf dem Hof leben keine Ärzte und keine Psychologen. Bei uns ist das Wort Gottes das, was uns frei macht. Als ich mich damals auf Gottes Wort und auf seine Einladung eingelassen habe, von mir wegzugehen und auf die anderen zuzugehen, hat sich bei mir ganz viel geändert. Ich habe wieder Kontakt zu meiner Familie bekommen, Justizprobleme haben sich gelöst. So viele Dinge, die aussichtslos erschienen, haben sich zum Guten entwickelt. Ich bin mittlerweile verheiratet und habe einen Sohn.

Weggehen von sich selber und auf den anderen zugehen – ist das der Weg Ihrer Gemeinschaft, der Sie hoffen lässt?

Moritz Bucher: Genau. Süchtige drehen sich viel stärker als andere Menschen nur um sich selbst. Gottes Wort gibt uns jeden Tag neue Impulse, aus diesem Egoismus herauszugehen und stattdessen den anderen in den Blick zu nehmen. Das wollen wir jeden Tag neu üben. Wenn z.B. jemand einen schweren Moment hat, dann sag ich: Komm, wir bleiben da jetzt nicht stehen. Geh raus. Fang an zu lieben. Tu dem Nächsten was Gutes. Hilf vielleicht dem, der grad Küchendienst hat, die Küche sauber zu machen. Spür dann vom anderen seine Dankbarkeit. Das baut uns gegenseitig wieder auf. Es tut gut, dem Nächsten was Gutes zu tun. Das macht uns zu neuen Menschen.

Was ist für Sie Hoffnung?

Moritz Bucher: Hoffnung ist für mich Jesus Christus. Jesus und das, was in der Bibel steht – das ist mein Fundament, meine Hoffnung. Er enttäuscht mich nicht, er ist mein Halt. Hoffnung machen mir Menschen, die aus dem Glauben heraus versuchen, anderen Gutes zu tun. Für uns hier auf dem Hof ist die Nächstenliebe ein ganz großes Wort. Wir versuchen, den Tag über den Nächsten zu lieben. Das ist unsere Hoffnung. Da sind wir dran, im kleinen Rahmen quasi an einer neuen Welt zu bauen. Wir wollen hier Menschen entlassen, irgendwann nach einem Jahr, die fähig sind, den Nächsten zu lieben. Dass das auch gelingt, das gibt mir Hoffnung.

Gibt es auch Menschen, die es nicht schaffen?

Moritz Bucher: Das gibt es auch, klar. Aber Erfolg ist kein Wort Gottes. Wir sind nicht auf Erfolg aus. Wenn jeder, der zu uns kommt, spürt, dass er hier geliebt und wertgeschätzt wird, so wie er ist, dann sind wir zufrieden.

Gibt es für Sie hoffnungslose Fälle?

Moritz Bucher: Nein. Die gibt es nicht. Bei uns kann man auch wieder zurückkommen. Wenn jemand denkt, er muss gehen, und später merkt, es war vielleicht doch nicht so schlecht hier auf dem Hof, dann sind unsere Türen offen. Ich war für viele damals auch ein hoffnungsloser Fall (lacht).

Wer hat in Sie damals Hoffnung gesetzt?

Moritz Bucher: Die Hofleitung in Bickenried und die Mitbrüder, die schon länger dort waren. Wir sagen, auf der Fazenda gibt es drei Phasen. In der ersten Phase kommt man an, so wie man ist, und man wird von den anderen getragen. Zweite Phase ist: Man lernt selbst zu gehen und man fängt an, Erfahrungen zu machen mit dem Wort Gottes. Und die dritte Phase ist: Man trägt die anderen mit. Ich habe damals am Anfang stark erfahren, dass ich getragen wurde.

Interview: Elfriede Klauer, Pfarrbriefservice.de

Stichwort: Fazenda da Esperança

Die Fazenda da Esperança (deutsch: Hof der Hoffnung) ist ein internationales christliches Projekt, in dem Drogenabhängige und Süchtige einen Weg aus Sucht und Orientierungslosigkeit finden. Es stammt ursprünglich aus Brasilien, in Deutschland gibt es sieben Höfe der Hoffnung. Auf der Homepage www.fazenda.de heißt es: „Wir versuchen den Egoismus der Sucht und die Kälte der Depression in einem familiären Zusammenleben zu heilen, welches von Respekt, Wertschätzung und Nächstenliebe geprägt ist.“ Die Grundpfeiler jedes Hofes sind Gebet, Arbeit und Gemeinschaft. Jeder Interessierte ist auf den Höfen willkommen. Außerdem besuchen (ehemalige) Bewohner auf Einladung Schulen und Gemeinden. Nähere Informationen und Kontakt unter www.fazenda.de.

Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für April 2020

Vor dem Herunterladen:

Datei-Info:
Dateiformat: .doc
Dateigröße: 0,03 MB

Sie dürfen den Text in sozialen Medien nutzen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, etc.)

Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen

Text: Elfriede Klauer
In: Pfarrbriefservice.de