Frauen in der Kirchengeschichte
Frauen als Anwältinnen der Armen – vom 19. bis zum 21. Jahrhundert
Neben dem klassischen Kloster und dem Eheleben boten sich für Frauen bis ins 20. Jahrhundert hinein kaum Möglichkeiten eigenständiger, religiöser Jesusnachfolge. Frauengemeinschaften zwischen Kloster und Welt, die erst seit 1947 als „Säkularinstitute“ kirchlich anerkannt sind, bewegten sich über Jahrhunderte hinweg in einer rechtlichen Grauzone, da sie strenggenommen keine Orden waren. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erfuhren sie eine neue Blütezeit. Es war die Zeit der industriellen Revolution, die eine Verarmung breiter Bevölkerungsschichten mit sich brachte. Hier machten es sich religiöse Frauengemeinschaften zur Aufgabe, den Menschen zu helfen. Klöster waren dazu nicht mehr in der Lage, denn sie waren nach der Französischen Revolution und Napoleons Feldzügen enteignet und geplündert worden. Gleichzeitig brachte die gesellschaftliche und politische Revolution mit ihren Parolen zur Gleichheit aller Menschen auch den Stein für eine Emanzipationsbewegung christlicher Frauen ins Rollen. Sie wurden politisch, schlossen sich aufgrund der „Sozialen Frage“ zu karitativen Gemeinschaften und neuen Orden zusammen. Auch die Kirche merkte, dass sie die eigenständig handelnden Frauen brauchte. Als Beispiel einer apostolisch-karitativ handelnden Frau im frühen 20. Jahrhundert sei hier die Französin Madeleine Delbrêl (1904–1964) genannt. Nach einer atheistischen Phase in ihrer Jugend näherte sie sich der katholischen Kirche an und gründete eine Frauengemeinschaft ähnlich den „Englischen Fräulein“ Mary Wards. Das Wesen ihrer Gemeinschaft bestand in der Verbindung eines Lebens nach den Evangelischen Räten (v.a. Armut, Keuschheit und Gehorsam) mit einem missionarisch-karitativen Wirken in der Welt. Sie wollte in problematischen Lebensbereichen Jesus Christus bezeugen und wirkte deshalb als Sozialarbeiterin in einem verarmten Arbeiterumfeld, das von atheistisch-marxistischen Ideen durchdrungen war und sich schon lange keine Hilfe mehr von der Kirche erhoffte.
Die Kirche stand dieser Arbeiterschaft skeptisch bis offen ablehnend gegenüber. Anders Madeleine, die sich in dieser „Lücke im Apostolat“ der Herausforderung stellte, aus dem Glauben heraus den Randständigen und Armen der Gesellschaft, tatkräftig zu helfen. In ihnen erkannte sie die „Unglücklichen, die von Menschen im Stich gelassen werden, sich von Gott verlassen glauben“ und rief zu wahrer Gottes- und Nächstenliebe auf, die sich nicht nur in frommen Worten erschöpfte, sondern sich auch durch aktives Handeln zeigen sollte. Alles andere brandmarkte sie in ihrer autobiographischen Schrift Auftrag des Christen in einer Welt ohne Gott (1957) scharf als „abbröckelnde Caritas, für die niemand mehr empfänglich ist“. Was die verarmte Arbeiterschaft brauche, sei „das Wort Gottes; Menschen, die sich öffentlich zu Gott bekennen; Menschen, die ihr Leben durch Gott erklären.“
Durch die moderne Wende des 2. Vatikanischen Konzils gab es auch einen Emanzipationsschub der Frauen in Anlehnung an Gaudium et spes 29: „Jede Form einer Diskriminierung in den gesellschaftlichen und kulturellen Grundrechten der Person, sei es wegen des Geschlechts oder der Rasse, der Farbe, der gesellschaftlichen Stellung, der Sprache oder der Religion, muß überwunden und beseitigt werden, da sie dem Plan Gottes widerspricht.“ Tatsächlich hat sich vieles seit dem Konzil verändert. So wurden 1970 erstmals eine Frau auf einen theologischen Lehrstuhl berufen und Mädchen als Ministrantinnen am Altar zugelassen. Noch 1940 etwa galt das Herantreten einer Frau an den Altar als Todsünde. Heute sind Ministrantinnen, Lektorinnen und Kommunionhelferinnen gängig, den Männern kirchenrechtlich jedoch erst seit 2021 gleichgestellt. Die zeitliche Begrenzung ihres Dienstes (CIC 1983, Can. 230 § 1) kann fortan wie bei Männern aufgehoben werden (vgl. Erlass Spiritus domini). Die Zulassung zum sakramentalen Diakonat oder zum Priesteramt bleibt Frauen jedoch weiterhin verboten.
Fazit
Der katholischen Kirche wird heute heftiger denn je vorgeworfen, anhand geschlechtlicher Kategorien Macht über Frauen ausgeübt und sie in unrechtmäßiger Weise herabgewürdigt zu haben. In allen Phasen der Kirchengeschichte gab es aber auch weibliche und sogar männliche Stimmen, die sich für eine Aufwertung der Frauen und ihrer Rechte innerhalb der Kirche einsetzten. Leider wurden sie in ihrem Bestreben, ihrem einzigen Vorbild – Jesus Christus – nachzufolgen, allzu häufig übersehen und ihr öffentliches Eintreten für mehr Gerechtigkeit als Anmaßung zurückgewiesen. Viele ihrer individuellen und manchmal normabweichenden Wege wurden und werden von vornherein
verschlossen oder im Nachhinein versperrt. Dies ist Grund genug, sich noch deutlicher auf historische Spurensuche zu begeben, den bereichernden Schatz weiblichen Engagements zu heben und so den Blick auf Kirche und Welt zu verändern.
Literaturhinweise und Quellen
CYPRIAN, De habitu virginum 22.
DELBRÊL, MADELEINE, Auftrag des Christen in einer Welt ohne Gott (Theologia Romanica, 24), Einsiedeln3 2006.
GRIESER, HEIKE, Gegen alle Konventionen. Die ersten Asketinnen, in: Welt und Umwelt der bibel 4 (2015), 54–59.
HOLZEM, ANDREAS, Mann – Frau – Partnerschaft. Genderdebatten des Christentums. Bilanzen und Perspektiven, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 35 (2016), 15–28.
MARY WARD UND IHRE GRÜNDUNG. Die Quellentexte bis 1645, Bd.1–4 (Corpus Catholicorum, 45–48), hg. v. Ursula Dirmeier, Münster 2007.
PETERSEN, SILKE, Wenn Frauen männlich werden (sollen), in: Welt und Umwelt der Bibel 4 (2015), 36–37.
Michaele Bill-Mrziglod, aus: „Frauengeschichten: Gerecht. Leben. Gestalten“, München 2022, © Landesstelle der Katholischen Landjugend Bayerns, S. 20-26, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Michaele Bill-Mrziglod, aus: „Frauengeschichten: Gerecht. Leben. Gestalten“, München 2022, © Landesstelle der Katholischen Landjugend Bayerns, S. 20-26In: Pfarrbriefservice.de