Fremde
Es reicht nicht aus, nur von Nächstenliebe zu sprechen. Man muss sie auch leben.
Ich glaube, jeder von uns kennt sie, die Geschichten oder Witze über den Eingang in den Himmel: Petrus empfängt die Verstorbenen an der Himmelstür und immer wieder müssen die Einzelnen Fragen beantworten bzw. einen Test absolvieren. Es gibt ganz viele davon.
Hinter diesen Geschichten oder Witzen stecken Ahnungen, Vorstellungen oder auch unbestimmte Ängste: Wie es denn nun einmal sein wird, wenn wir gestorben sind, mit dem Gericht, mit der Ewigkeit, mit dem Himmel oder der Hölle. Wir wissen nicht, wie es sein wird, aber wir spüren unser eigenes Ungenügen, unsere Fehler und Macken und denken schon manchmal darüber nach, ob wir denn die Bedingungen erfüllen, die wir uns als „Eingangskriterium“ vorstellen.
Im 25. Kapitel des Matthäus-Evangeliums finden wir die Schilderung eines „Weltgerichtes“. Der König, also Christus selbst, sitzt zu Gericht und sortiert diejenigen, die dort stehen. Die einen kommen auf die linke, die anderen auf die rechte Seite und diese Zuordnung hat Konsequenzen.
Die einen bekommen zu hören: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, und nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist“. Die anderen hingegen: „Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer.“
"Eingangskriterien" für den Himmel
Die Kriterien für diese Aufteilung sind interessant. Die Menschen werden danach beurteilt, wie sie umgegangen sind mit den Hungrigen, den Durstigen, den Fremden, den Obdachlosen, den Menschen ohne genügend Kleidung, den Kranken oder den Gefangenen.
Nicht die Anzahl der Gottesdienstbesuche, der Wallfahrten oder das Einhalten moralischer Gesetze, nicht die Konfessionszugehörigkeit, ja nicht einmal Religionsgrenzen sind also hier entscheidend für den König, der Gericht hält.
Was zählt also wirklich vor Gott?
Die sehr eindeutige Antwort darauf lautet: Es ist die Liebe; das offene Auge für den anderen und damit auch für Gott. Man muss sich fragen lassen: Wie hast du dich gegenüber denen verhalten, die deine Hilfe nötig gehabt hätten? Und dann erfährt man, dass man in seinen Mitmenschen Gott selbst begegnet und das, was man ihnen tut oder auch nicht tut, Gott tut oder aber ihm vorenthält.
Der Maßstab, den Christus für das Endgericht setzt, sind also die so genannten „Werke der Barmherzigkeit“, die damals wie heute aktuell sind. Es gibt in unserer Welt viele Hungernde, Fremde, Ausgestoßene, Flüchtlinge, Asylsuchende.
In dieser Rede wird deutlich, dass es nicht reicht, fromme Predigten zu halten, die ohnehin viele Menschen nicht erreichen. Entscheidend ist ein Verhalten, das erkennen lässt, dass unser Leben von Gott geprägt und erfüllt ist, ein Leben, das Gottes Liebe für die Menschen erfahrbar macht.
Das fünfte Evangelium
Sie kennen sicher auch die Aussage: „Es gibt fünf Evangelien: Matthäus, Markus, Lukas, Johannes und das Leben der Christen. Viele Leute lesen nie die ersten vier.“ Umso mehr sind wir gefragt, für die Welt das fünfte Evangelium zu sein. Gott lieben, zu Gott eine Beziehung haben wollen, geht nicht über Abkürzungen, die diese Welt ausklammern. Das ist nur möglich über den Weg der Liebe zu den - von Gott geliebten - Mitgeschöpfen.
Aber - wir wissen von uns selbst: Es ist relativ leicht, seine Mitmenschen zu lieben, solange sie nur weit genug von uns entfernt sind. Doch wenn sie uns näher kommen, wird es schwierig.
Seit einiger Zeit erleben wir, dass Flüchtlinge, die in ihren Herkunftsländern aus unterschiedlichen Gründen keine Zukunft mehr sehen, nach Europa kommen und auch zu uns nach Deutschland, was gerade in den vergangenen Wochen eine Reihe von Protesten in der Bevölkerung ausgelöst hat.
Das Unbehagen, die Angst vor den Menschen, die da kommen, den Fremden, die eine andere Religion haben, die anders aussehen, anders leben, wächst stetig.
Angst vor dem Fremden
Man empfindet sie als eine Bedrohung, weil sie unsere gewohnte Lebensweise in Frage stellen. Man merkt an ihnen: man kann auch ganz andere Werte haben, anders leben. Unsere Kultur ist nicht die einzige, und ob sie besser ist als die der anderen, muss sich erst noch erweisen. Das verunsichert viele Menschen. Außerdem haben wir oft das Gefühl, wir hätten ein Recht auf bestimmte Dinge (Arbeitsplätze, Wohlstand, Wohnraum..) und die Fremden nehmen sich, was ihnen nicht zusteht. Und hinzu kommt noch, dass man sich oft erst über seine eigene Identität klar wird, wenn man sich von anderen abgrenzen kann. Man braucht die anderen, um feststellen zu können, dass man selbst (die Gruppe, der man angehört) besser, vernünftiger, moderner etc. ist.
Im ersten Testament in unserer Bibel, das im Grunde ein Buch der Migration ist, ist die Frage des Umgangs mit den Fremden immer auch eine Glaubensfrage. Es gibt sehr viele Aussagen über die Fremden im Volk Israel, und immer wird deutlich, dass den Fremden als Menschen, die in einer besonderen Situation sind, derselbe Schutz gegeben werden muss wie den Witwen und Waisen. An vielen Stellen wird dies zum Ausdruck gebracht. Da heißt es z.B: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.“ (Levitikus 19,34) oder „Wenn ihr die Ernte eures Landes einbringt, sollst du dein Feld nicht bis zum äußersten Rand abernten und keine Nachlese deiner Ernte halten. Du sollst das dem Armen und dem Fremden überlassen.“ (Levitikus 23,22) Und es wird darauf hingewiesen, dass wir im Grunde alle nur Fremde, nur Gäste sind in dieser unserer Welt, die wir zu besitzen glauben: „Denn wir sind nur Gäste bei dir, Fremdlinge, wie alle unsere Väter. Wie ein Schatten sind unsere Tage auf Erden und ohne Hoffnung.“ (1. Buch der Chronik 29,15)
Gäste in der einen Welt
Wenn man sich in dieser unserer Welt so richtig schön eingerich¬tet hat, vergisst man leicht, dass auch man selbst kein Dauerwohnrecht hat, da, wo man seine Heimat glaubt zu haben.
Ich habe neulich eine kleine Anekdote gelesen:
Ein Tourist machte Station in einem Kloster. Er wurde freundlich aufgenommen, und man bot ihm eine Mönchszelle als Schlafquartier an. Darin standen nur ein Bett und ein Stuhl. In der Tür fragte der Tourist erstaunt: „Und wo sind Ihre Möbel?“ „Wo sind denn Ihre?“ erwiderte der Mönch. Verwirrt ant¬wortete der Tourist: „Ich bin ja nur auf der Durchreise.“ Der Bruder lächelte: „Wir auch.“
„Wir sind nur Gast auf Erden“, singen wir in einem Kirchenlied. Ganz alte Lieder sprechen in diesem Zusammenhang vom „Elend“, in dem wir leben. So heißt es in einem Lied aus dem 13. Jahrhundert: „Nun bitten wir den heiligen Geist um den rechten Glauben allermeist, dass er uns behüte an unserm Ende, wenn wir heimfahrn aus diesem Elende.“
Das Wort Elend stammt aus dem mittelhochdeutschen Ellende, das zunächst für „Ausland“,„anderes Land“, „Verbannung“, später dann für Not und Trübsal steht, auch für Vereinsamung oder Ausgestoßensein.
So gesehen sind wir alle in dieser Welt Ausländer, Fremde, die unterwegs sind zu ihrer eigentlichen Heimat. Wenn man sich dessen bewusst ist, relativieren sich die Fremdheiten beträchtlich.
Und wenn wir versuchen, den Fremden in unserem Land Heimat zu geben, dürfen wir – so denke ich – darauf hoffen, dass auch wir einmal zu hören bekommen: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, und nehmt das Reich in Besitz!“ und das ewige Gastmahl feiern zusammen mit all den anderen in unserem endgültigen Zuhause.
Ursula Weinbrenner
Quelle: MESSAGE, Pfarrbrief der Pfarrgemeinde St. Martinus Moers, Ostern 2015, www.st-martinus-moers.de, In: Pfarrbriefservice.de
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Dateigröße: 0,03 MB
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Text: Ursula WeinbrennerIn: Pfarrbriefservice.de