Gemeinsam auf der Suche nach dem großen Geheimnis

Nur wenn Menschen sich füreinander öffnen, gelingt das Leben – Ein Interview mit dem „Aussteiger“ Andreas Knapp

Vom Leiter des Erzbischöflichen Priesterseminars zum einfachen Arbeiter: Der Theologe Andreas Knapp (Jg. 1958) drehte im Jahr 2000 seine Karriereleiter um und schloss sich der geistlichen Gemeinschaft „Kleine Brüder vom Evangelium“ an. Seitdem lebt er mit anderen Ordensmitgliedern bei Menschen am Rand der Gesellschaft, seit 2005 in einer Plattenbausiedlung in Leipzig. In seiner Freizeit schreibt er u.a. Gedichte und engagiert sich für andere. Im Interview spricht er darüber, was Menschwerdung für ihn bedeutet.

In Ihrem Gedicht „Wunschzettel“ formulieren Sie, dass Gott – im Gegensatz zu den Menschen – nur einen Wunsch hat: den menschlichen Menschen. Was ist für Sie ein menschlicher Mensch?

Bruder Andreas: Ein menschlicher Mensch ist jemand, der Maß nehmen kann am Beispiel Jesu. Jesus hat vorgelebt, wie Menschen miteinander das Leben sinnvoll gestalten, wie Gemeinschaft möglich ist, wie Konflikte gelöst werden können, wie Versöhnung möglich ist, wie Nähe, Zärtlichkeit, Treue wachsen können und wie man ganz aus einer Beziehung zu Gott lebt. Ein menschlicher Mensch ist für mich jemand, in dessen Leben Gott vorkommt, der ganz im Licht der Nähe Gottes lebt.

Wie meinen Sie das?

Bruder Andreas: Das Besondere bei uns Menschen ist ja – im Unterschied etwa zu den Tieren –, dass wir nicht nur auf die Erfüllung unserer Bedürfnisse hin angelegt sind, sondern uns ausstrecken nach etwas Größerem. Nach einem Leben, das Gott schenkt. Wir sehnen uns nach einer Fülle, die wir nicht finden können in all den materiellen Dingen. Auch in unseren Beziehungen kommen wir immer wieder an Grenzen. Wir sehnen uns nach einer Liebe ohne Ende, nach einer Wirklichkeit, die unser Herz ganz erfüllt. Das ist das typisch Menschliche: Dass wir einen solchen Hunger haben nach Größerem, den diese Welt gar nicht stillen kann. Und in Jesus kann ich erleben, wie ein Mensch sich dann ganz auf die Wirklichkeit Gottes hin ausrichtet und so göttlich und menschlich zugleich ist.

Viele Menschen werden Ihnen heute entgegnen, dass sie für ein gutes Leben, auch für ein mitmenschliches Leben, Gott nicht brauchen. Was ist Ihre Argumentation?

Bruder Andreas: Ich glaube, dass sich so etwas nicht auf der Ebene von Argumentationen lösen lässt. Wenn ich mit Menschen im Gespräch bin, dann kommen wir, wenn es ein tieferes Gespräch wird, schon auf die größeren Themen, wie Hoffnung oder Liebe. Jeder Mensch, so glaube ich, berührt irgendwie dieses größere Geheimnis. Viele Menschen nennen das nicht Gott, weil sie mit diesem Wort nichts anfangen können, weil sie die Sprache unserer christlichen Religion nicht mehr kennen. Aber diese Sehnsucht nach einem erfüllten Leben, die Dankbarkeit für etwas Geschenktes, der Wunsch nach Verzeihen, nach Versöhnung, nach Angenommensein – dieser Wunsch ist in jedem Menschen lebendig.

Wie wird man zu einem menschlichen Menschen Ihrer Ansicht nach?

Bruder Andreas: Indem ich versuche, auf die Stimme meines eigenen Herzens zu hören. Unsere tiefsten Wünsche gehen über das hinaus, was wir uns selbst verdienen und was wir machen können. Es ist der Wunsch nach einer umfassenden Liebe, nach Gemeinschaft, nach Verstandenwerden und Verstehen, nach Beziehung. Wo ich diesem Wunsch Raum gebe, dort wachse ich in meiner Menschlichkeit, weil ich mich öffne für andere.

Braucht es da Gott dazu?

Bruder Andreas: Gott ist in diesem Suchen gegenwärtig. Vielleicht braucht es nicht unbedingt bestimmte Bilder oder Begriffe von Gott. Aber Gott ist in diesem Suchen gegenwärtig – das ist zumindest mein Glaube. Und dort, wo ich für meine Sehnsucht einen Namen finde, ein Bild habe, wo ich ein Gesicht finde, dort kann ich diese Sehnsucht vielleicht intensiver leben. Das ist es ja, was wir an Weihnachten feiern: Dass diese Sehnsucht nach Gott in Jesus ein menschliches Gesicht bekommen hat. Dass wir nicht nur Suchende sind, sondern erfahren, Gott sucht auch uns. Er kommt uns entgegen.

Seit 2005 leben Sie mit anderen Brüdern Ihrer geistlichen Gemeinschaft in einer Plattenbausiedlung in Leipzig. Welche Erfahrungen machen Sie dort im Hinblick auf Menschwerdung?

Bruder Andreas: Wir hatten gehofft, relativ schnell in Kontakt zu kommen mit den Nachbarn, mit Arbeitskollegen. Aber wir haben gemerkt, dass das eine sehr anonyme Gesellschaft ist und auch eine sehr einsame. Es war erst im Laufe von Jahren und mancherlei Bemühungen möglich, mehr in Kontakt zu kommen. Mittlerweile haben wir mit einigen unserer Nachbarn und Freunde sehr gute Kontakte gefunden und es sind sehr intensive Beziehungen gewachsen. Wir sind Beschenkte hier.

Menschwerdung als ein Geben und Nehmen?

Bruder Andreas: Wer beschenkt ist, will etwas weitergeben. Und so gibt es dann ein Hin und Her von Beziehung, von Kontakt, von Gespräch. Wo so etwas fließt – Wort und Antwort, ein Dialog –, dort geschieht nach meiner Erfahrung ein ganz wesentlicher Aspekt von Menschwerdung.

Nämlich?

Bruder Andreas: Nämlich, dass wir erfahren, dass wir Menschen uns nie allein verwirklichen oder vollenden, dass wir ganz ursprünglich auf den anderen angewiesen sind. Und dass genau dieses Zwischen – zwischen dir und mir – auch der Raum ist, wo Gott eintritt. Wo Menschen einander begegnen, wo Versöhnung, Verstehen, Freundschaft möglich sind, da ist immer etwas Größeres dabei, das über unsere menschlichen Möglichkeiten hinausdeutet. Es ist für mich ein Geschenk Gottes.

Interview: Elfriede Klauer, Pfarrbriefservice.de

Weitere Materialien
von

aus: Knapp, Andreas: Mit Engeln und Eseln. Weise Weihnachtsgeschichten. Echter Verlag

In tausend Wünschen
eine endlose Jagd
nach Hülle und Fülle
Sein wie Gott.

Der aber hegt nur einen Wunsch:
den menschlichen Menschen.

Einmal hat Gott sich selbst
diesen Wunsch erfüllt
und wartet seitdem
auf Nachahmung.

Andreas Knapp

Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für Dez. 2018/ Jan. 2019

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Text: Elfriede Klauer
In: Pfarrbriefservice.de